Anlässlich der gemeinsamen Sitzung des Präsidiums des Deutschen Bundestages und des Bureau der Assemblée Nationale in Paris übergeben heute die Vorsitzenden der deutsch-französischen Arbeitsgruppe „Kulturelle Vielfalt in Europa" Monika Griefahn und Pierre Lequiller ihren ausgearbeiteten Bericht an beide Parlamentspräsidenten.
Die kulturelle Vielfalt in Europa zu prüfen und zu sichern, dieser Aufgabe stellte sich eine im Februar 2005 eingerichtete Arbeitsgruppe des deutschen Bundestages und der französischen Assemblée Nationale. Nachdem die Bundestagswahlen in Deutschland den Arbeitsplan der Parlamentarier durcheinander gebracht hatte, können nun Ergebnisse vorgelegt werden, die bereits in einem Zwischenbericht zusammengefasst wurden. Dieser Bericht soll in die Berliner Erklärung im Rahmen des Festaktes zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge einfließen. Die Arbeitsergebnisse werden Anstoß sein für die künftige Ausgestaltung der kulturellen Rahmenbedingungen in Deutschland und Frankreich, aber auch in der gesamten EU.
Zunächst ermittelten die deutschen und französischen Parlamentarier jene Aspekte in den beiden Gesellschaften beziehungsweise politischen Systemen, die ihrer Meinung nach den Erhalt der kulturellen Vielfalt garantieren. Meinungsfreiheit, Medienpluralismus, gleicher Zugang zu Kunst und wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnissen und grundsätzlich die Zugangsmöglichkeiten aller Kulturen zu den existierenden Ausdrucks- und Verbreitungsmitteln seien dafür notwendig, so die Überzeugung der interparlamentarischen Arbeitgruppe. Diese Prinzipien und Rechte seien geeignet, um die Unterschiede zwischen den Kulturen Europas zu überbrücken. Dabei gehe es nicht um Gleichmacherei, im Gegenteil. Eine Einheit der genannten Aspekte in der Vielfalt der Kulturen sei eine, wenn nicht die Stärke Europas.
Um Wege zu finden, die Einheit in der Vielfalt zu erreichen, beschäftigten sich die Parlamentarier mit zahlreichen Teilaspekten – und waren sich bei einer Problematik einig: Erforderlich sei vor allem eine Ausgewogenheit zwischen den wirtschaftlichen Prinzipien des Binnenmarktes und den kulturellen Anliegen in Europa. Mit Kultur - Film, Internet, Musik oder andere Bereiche - werde Geld verdient, dennoch dürfe sie nicht nur als Teil des wirtschaftlichen Handels aufgefasst werden. Sie sei gleichzeitig auch Teil des kulturellen Lebens. Als Träger von Identitäten und Werten dürften Kulturgüter also keinesfalls nur auf ihre Rolle als Verbrauchsgüter oder gewerbliche Dienstleistungen reduziert werden.
Ein Aspekt, der auch in die intensive Debatte um GATS und WTO einging, war die Frage wie sich kulturelle Vielfalt auf die neuen Medien übertragen lässt. Sowohl den deutschen als auch den französischen Abgeordneten war wichtig, dass ein über Gebühren finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk - der in beiden Ländern existiert - zum einen erhalten bleibt beziehungsweise in anderen EU-Ländern aufgebaut wird, und zum anderen ebenfalls Angebote in den neuen Medien bereithalten darf. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk sei eine Garantie für Programmvielfalt. Er sei mithin wichtiger Bestandteil der kulturellen Landschaft, würde aber ausbluten, wenn ihm die Bereiche der Telemedien vorenthalten blieben.
Ein weiter Schwerpunkt war die Erörterung neuer Wege bei der Förderung des Films. Die Arbeitsgruppe diskutierte zum Beispiel die Gründung eines europäischen Filmverleihs als Gegengewicht zu den amerikanischen Verleihen sowie die Angleichung der europäischen Filmförderungssysteme, um der Branche in den verschiedenen Ländern Europas gleiche Chancen zu bieten. Beide Maßnahmen würden konkurrenzfähig machen und die innereuropäische Vielfalt sichern. Aber auch die Reform des Urheberrechts sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ist ein wichtiges Anliegen der Arbeitsgruppe. Die Urheber haben Anspruch auf eine angemessene Vergütung ihrer Werke bei Vervielfältigung, war sich die Gruppe einig. Die Unterstützung der Kooperation im Fernsehsektor soll ebenfalls weiter ausgebaut werden. Dafür käme die Zusammenarbeit des Senders Arte mit anderen Rundfunkpartnern innerhalb und außerhalb der EU in Betracht.
Hinzu kam das komplexe und vielschichtige Thema der sprachlichen Vielfalt in Europa. Die Arbeitgruppe fordert die Mitgliedsstaaten der EU auf, das Erlernen zweier lebender Fremdsprachen im Rahmen der Schulausbildung obligatorisch zu machen und die sprachliche Vielfalt in den europäischen und internationalen Organisationen zu wahren.
Die Weiterentwicklung der Kooperation zwischen den nationalen Kulturinstituten sowie die Gründung gemeinsamer europäischer Kulturinstitute sind ein weiteres wichtiges Ziel der Arbeitsgruppe, ebenso wie die Verstärkung und Gründung europäischer und internationaler Schulen. Die Parlamentarier hoffen, dass ihre Arbeitsgruppe nach den französischen Wahlen auch für andere EU-Länder geöffnet wird, um die Aspekte der kulturellen Vielfalt in ganz Europa in die Betrachtungen mit einzubeziehen. Die Erhaltung und Förderung der kulturellen Vielfalt ist ein Garant für Frieden, Sicherheit, Stabilität und Entwicklung in Europa, betonten die Abgeordneten.
Zusammensetzung der Arbeitsgruppe:
Monika Griefahn (SPD), Deutschland, Ko-Vorsitzende
Pierre Lequiller (UMP), Frankreich, Ko-Vorsitzender
Thomas Silberhorn (CDU/CSU), Deutschland, stellvertretender Vorsitzender
Robert Lecou (UMP), Frankreich, stellvertretender Vorsitzender
Michel Herbillon (UMP), Jérôme Lambert (Socialistes), Pierre Cohen (Socialistes), Anne-Marie Comparini (UDF) und Jean-Claude Lefort (Communistes et Républicains), Frankreich
Dr. Günter Krings (CDU/CSU), Kurt Bodewig (SPD), Sibylle Laurischk (FDP), Dr. Lukrezia Jochimsen (Die Linke) und Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), Deutschland