Es gilt das gesprochene Wort!
In der heutigen Plenardebatte zum Jahresbericht 2006 des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages erklärte die Ausschussvorsitzende Kersten Naumann (DIE LINKE.):
„Über das Berichtsjahr des Petitionsausschusses kann ich zunächst bilanzieren, dass die Anzahl der Petitionen – wenn auch in geringem Umfang – zurückgegangen ist. Statistiker, die sich nur daran erfreuen, wenn alles größer wird, mögen jetzt aufschreien. Für die Bürgerinnen und Bürger dagegen wäre es das Schönste, wenn gar keine Bitten und Beschwerden erforderlich wären. Das hätte natürlich – bezogen auf das Arbeitspensum - auch sehr große Vorteile für die Bundesregierung und deren Behörden.
Dies wird jedoch nur ein Traum bleiben. Das belegen die Zahlen des Berichtsjahres 2006:
Insgesamt wurden 16.766 Eingaben verzeichnet. So oft hat der Seismograf des Parlaments ausgeschlagen. Im gleichen Zeitraum wurden vom Ausschuss jedoch 20.299 Petitionen behandelt, also 4.000 mehr als im Berichtszeitraum eingingen. Dies lag daran, dass noch eine große Anzahl an Überhängen aus den Vorjahren abgearbeitet werden konnte. Die nach wie vor hohe Zahl der Eingaben zeigt, dass der Petitionsausschuss des Bundestages in der Bevölkerung einen wichtigen Stellenwert besitzt und die Bürgerinnen und Bürger großes Vertrauen in seine Arbeit haben.
Etwa 35 Prozent der Eingaben – rechnet man die Erledigung von Anfragen mit der Bitte um Rat oder Zusendung von Material hinzu - konnten im vergangenen Jahr positiv für die Petenten abgeschlossen werden.
Der Jahresbericht 2006 des Petitionsausschusses belegt in seinen Beispielen eindrucksvoll, wo bei den Bürgerinnen und Bürgern der Schuh drückt. Täglich gingen im Durchschnitt ca. 65 Zuschriften beim Petitionsausschuss ein. Davon befassten sich 6.411, das sind ca. 40% mit Bitten zur Gesetzgebung. Mit einem Viertel aller Eingaben ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das am stärksten betroffene Ressort. Dabei waren die dominierenden Themen die Rentenversicherung, gefolgt von Eingaben zur Sozialhilfe. Dies verdeutlicht, dass das Thema Rente nicht nur ein allgemein viel diskutiertes ist, sondern inzwischen in der Betroffenheitsskala einen vorderen Rang eingenommen hat - und dies schon seit mehreren Jahren.
Viele der Eingaben aus diesem Bereich konnten im Berichtszeitraum jedoch noch nicht abgeschlossen werden, so zum Beispiel die Eingaben, die die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre betrafen.
Mit 13 Prozent der Eingaben nimmt das Bundesministerium für Gesundheit die zweite Stelle ein. Besonders stark wirkte sich die geplante Reform zur Stärkung des Wettbewerbs bei den gesetzlichen Krankenkassen auf der Eingabenseite des zweiten Halbjahres aus.
Ein Dauerbrenner war und – das muss ich mit Bedauern hinzufügen - sind die kritikwürdigen Zustände in manchen Pflegeheimen. Hier sind dem Petitionsausschuss jedoch die Hände gebunden, da für das Heimrecht nicht der Bund sondern die Länder zuständig sind.
Das alles überragende Thema war allerdings der Nichtraucherschutz, der auch im Rahmen öffentlicher Petitionen in einer öffentlichen Ausschusssitzung mit Petenten diskutiert wurde. Mir ist natürlich bewusst, dass es auch in diesem Hause einige gibt, die unter den neuen Beschlüssen leiden. Der Ausschuss konnte jedoch in der Bevölkerung einen überwiegenden Zuspruch zu den neuen und zu den geplanten Regelungen feststellen.
Der größte Rückgang in Bezug auf den Eingang von Petitionen war 2006 beim Bundesministerium des Inneren zu verzeichnen. Von fast 4.000 Eingaben in 2005 auf nunmehr 1.348 im Jahre 2006. Stark rückläufig waren dabei Petitionen, die sich auf das Asylrecht bezogen, während einen Schwerpunkt nach wie vor das öffentliche Dienstrecht bildete.
Ein Beispiel aus dem Bereich des BMI ist die Forderung, ein Gesetz zum Schutz der deutschen Sprache zu beschließen oder ins Grundgesetz den folgenden Artikel aufzunehmen: „Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch“. Soweit mochte der Ausschuss dem Vorschlag nicht folgen, allerdings sah er in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, dass die Bundesregierung ihre Bemühungen verstärkt fortsetzt, um der deutschen Sprache innerhalb der EU – entsprechend der europäischen Bedeutung – einen angemessenen Stellenwert zu verschaffen.
Dass der Petitionsausschuss sozusagen am Puls der Bürger ist, zeigt sich auch daran, dass manche der auf den ersten Blick „kleinen Wehwehchen“ für den Betroffenen selbst jedoch enorme Auswirkungen auf seine Lebensumstände haben, und der Petitionsausschuss als höchste Rettungsinstanz in der Not gesehen wird. Bedauerlicherweise kann der Ausschuss nicht alles zusammenfügen, was vorher auseinanderbrach. Entscheidungen des Ausschusses können nicht mit einem Gerichtsurteil gleichgesetzt werden. Er kann Empfehlungen abgeben und glücklicherweise führen diese oft dazu, dass Entscheidungen, Gesetze und Regeln überdacht werden, um gegenüber dem Allgemeinwohl verträglichere Lösungen zu finden.
Ich möchte betonen, dass es dabei nicht damit getan ist, eine Anfrage zum Sachverhalt an die jeweils zuständige Institution zu versenden und die Stellungnahme dann als unabänderliche Tatsache hinzunehmen. Die Mitglieder des Ausschusses – und ich glaube, da kann ich für alle sprechen - sehen ihre Aufgabe darin, alles nur erdenklich Mögliche für den oder die Petenten zu erreichen. Hier ist oft sehr viel Fingerspitzengefühl, gepaart mit einem hohen Anteil an Kreativität gefragt.
Die Nutzung aller Möglichkeiten, die dem Petitionsausschuss gegeben wurden – von der unmittelbaren Einbindung von Vertretern der Bundesregierung in Berichterstattergesprächen über öffentliche Anhörungen bis zum Ortstermin - um ein eigenes, unbeeinflusstes Bild aufzunehmen und in den Beschluss einzubringen, helfen den Mitgliedern des Petitionsausschusses, sachkundige Entscheidungen zu fällen.
Bereits an dieser Stelle möchte ich mich als Vorsitzende bei den Ausschusskollegen aller Fraktionen für dieses Engagement zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger bedanken.
Nun darf ich noch auf einige bereits Ende 2005 begonnene Neuerungen im Petitionswesen aufmerksam machen, mit denen wir im Ausschuss erst im vergangenen Jahr ausgiebige Erfahrungen sammeln konnten.
Erstens können jetzt Petitionen auch auf elektronischem Wege per E-Mail eingereicht werden. Hier spricht eine Zahl für sich: bereits über 10 Prozent aller Eingaben kamen im letzten Jahr auf diesem Weg zu uns.
Die zweite Neuerung ist, dass auf der Internetseite des Deutschen Bundestages sogenannte öffentliche Petitionen eingereicht, mitgezeichnet und diskutiert werden können.
288 öffentliche Petitionen wurden 2006 ins Netz gestellt und von über 450.000 Unterstützern mitgezeichnet sowie mit mehr als 17.600 Kommentaren im Diskussionsforum versehen. Hier sind wir im Zeitalter von Internet und e-democracy auf dem richtigen Weg, der gern von den Petenten angenommen und künftig noch erhebliche Steigerungsraten verzeichnen wird.
Zum Dritten wurde für die sogenannten Sammel- und Massenpetitionen erstmals die Möglichkeit eingeräumt, eine Anhörung mit einem oder mehreren Petenten in einer öffentlichen Ausschusssitzung vorzusehen. Die Bedingung dafür ist, dass die Petition innerhalb von drei Wochen von wenigstens 50.000 Mitzeichnern unterstützt wird. Dies schaffte im vergangenen Jahr jedoch nur eine Petition.
Mit ihr forderten 103.000 Unterstützer die teilweise Abschaffung der Entfernungspauschale im Steueränderungsgesetz.
Auch für diese Neuerung ist für die kommenden Jahre mit erheblichem Zuwachs zu rechnen, besonders im Hinblick darauf, dass die Testphase dieses Projektes in Kürze abgeschlossen sein, und der darauf folgende Regelbetrieb noch übersichtlicher und auch reibungsloser funktionieren wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hinweisen, dass ein Blick auf die Seiten des Petitionsausschusses im Internet unter www.bundestag.de Ihnen die enorme Spannweite der verschiedenen Themen vermittelt, die den Ausschuss beschäftigen, und für die eine Lösung gefunden wurde oder noch ansteht.
Dieses Medium der Seiten des Bundestages trägt zu einem großen Teil dazu bei, die Öffentlichkeitsarbeit des Petitionsausschusses zu unterstützen. Wir werden aber künftig verstärkt versuchen, unserem Bild bei der Bevölkerung noch stärkere Konturen zu geben, und weiterhin auch „vor Ort“ für Fragen und Anregungen zur Verfügung stehen, so wie das meine Kolleginnen und Kollegen und ich schon intensiv tun.
Gestatten Sie mir zum Abschluss meiner Ausführungen denen zu danken, ohne die wir als Ausschussmitglieder dem enormen Arbeitspensum hilflos ausgeliefert wären: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und Abgeordneten.
Ohne ihr engagiertes Wirken hinter den Kulissen wäre die Bearbeitung der fast 16.000 Eingaben des vergangenen Jahres nicht möglich gewesen. Daher sehe ich dem laufenden und geplanten Stellenabbau bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages mit Sorge entgegen.
Wenn man bedenkt, dass täglich über 270 Briefe an Petentinnen und Petenten nach intensiver Beschäftigung mit dem Sachverhalt den Ausschussdienst verlassen, wird, wenn auch nur ein kleiner Teil, des Arbeitsaufwandes mehr als deutlich.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, für die kommenden Jahre erhoffe ich mir von den Mitgliedern unseres Parlaments weiterhin eine über alle Fraktionsgrenzen hinausgehende konstruktive Zusammenarbeit, um unsere Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger weiterhin so effektiv zu gestalten.
Ich danke Ihnen.“