Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der
Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 14. April 2008)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Handwerk kritisiert geplanten Ausbildungsbonus und warnt vor Lehrstellenmangel in neuen Bundesländern
Das Handwerk lehnt einen Ausbildungsbonus für benachteiligte Jugendliche in der jetzt geplanten Form ab. Der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 14. April) sagte der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hanns-Eberhard Schleyer: „Derlei Maßnahmen bergen immer die Gefahr, nicht passgenau zu sein.“ Bei Arbeitgebern seien Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen, der Bonus könne also für Ausbildungsplätze eingestrichen werden, die ohnehin geschaffen worden wären. „Daran ändern auch die bislang im Gesetzentwurf vorgesehenen Ausschlusskriterien nichts“, betonte Schleyer. Der faktische Nachweis über die Zusätzlichkeit eines Ausbildungsplatzes sei „in der Praxis nicht möglich“.
Der ZDH-Generalsekretär fügte hinzu, es sei außerdem kaum zu verhindern, dass auch solche Auszubildende subventioniert würden, „die nicht Altbewerber und schwer vermittelbar sind“. Deshalb müssten die Kriterien zum Erhalt des Ausbildungsbonus noch enger gefasst werden. Es müsse um „wirklich benachteiligte Jugendliche gehen“. Das seien solche, „die seit zwei Jahren auf der Suche und lernbeeinträchtigt oder sozial benachteiligt sind“.
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf, der am 24. April in erster Lesung im Bundestag beraten wurde, Unternehmen ermuntern, zusätzliche Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche zu schaffen. Der Ausbildungsbonus in Höhe von 4.000 bis 6.000 Euro für jede zusätzliche Lehrstelle soll dann gewährt werden, wenn die eingestellten Jugendlichen die Schule mindestens bereits im Vorjahr verlassen haben, sich schon früher um einen Ausbildungsplatz bemüht haben und keinen, einen niedrigen oder einen schlechten mittleren Schulabschluss besitzen oder lernbehindert sind.
Schleyer sagte, dass nicht alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz fänden, liege auch daran, dass viele Altbewerber „in ihrer Ausbildungsfähigkeit und auch in ihrer Ausbildungsbereitschaft zu wünschen übrig“ ließen. Das könne nicht der Wirtschaft angelastet werden. „Dass ein Drei-Mann-Betrieb Deutschunterricht erteilt, kann man nicht verlangen“, unterstrich Schleyer. Betriebe arbeiteten in erster Linie wirtschaftlich: „Sie sind keine sozialen Einrichtungen, die unbegrenzt Versäumnisse ausgleichen können.“ Er fügte hinzu: „Wir erleben in den Betrieben täglich, wie überfordert Schulen damit sind, Jugendlichen das zu vermitteln, was in den Familien versäumt wird.“ Deshalb sei es „unerlässlich“, dass der für Herbst geplante Qualifizierungsgipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten „Resultate zeitigt“.
Zugleich warnte der ZDH-Generalsekretär im Interview mit „Das Parlament“ vor einem absehbaren Mangel an Lehrlingen. In den neuen Bundesländern gebe es bereits heute eine Umkehr des Verhältnisses von Nachfrage und Angebot; die alten Länder würden in zwei bis drei Jahren folgen. „Das ist positiv für junge Leute, die einen Ausbildungsplatz suchen – aber problematisch für Betriebe, die Nachwuchs suchen“, sagte Schleyer. Auch hier sei die Politik „dringend gefordert“.
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament:Der aktuelle Berufsbildungsbericht stimmt einerseits leicht optimistisch: Erstmals seit 2001 wurden vergangenes Jahr mehr als 600.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Andererseits sind immer noch bis zu 300.000 Jugendliche seit zwei Jahren und mehr auf der Suche. Warum?
Schleyer: Dass die Ausbildungszahlen steigen, ist erfreulich, aber angesichts der verbesserten Konjunktur nicht überraschend. Betriebe, die eine Zukunft haben, tun sich leichter, eine zusätzliche Lehrstelle zu schaffen. Dass es trotz erheblicher Anstrengungen nicht gelingt, allen Jugendlichen einen Platz anzubieten, hat mit etwas Anderem zu tun: Viele Altbewerber lassen in ihrer Ausbildungsfähigkeit und auch in ihrer Ausbildungsbereitschaft zu wünschen übrig. Das kann man der Wirtschaft nicht anlasten.
Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer Qualifizierungsinitiative jetzt einen Ausbildungsplatzbonus einführen: Betriebe, die zusätzlich schwer vermittelbare Jugendliche ausbilden, erhalten bis zu 6.000 Euro. Ein richtiger Schritt?
Ich bin skeptisch – und habe das der Bundesregierung auch sehr deutlich gemacht.
Warum?
Derlei Maßnahmen bergen immer die Gefahr, nicht passgenau zu wirken. Bei den Arbeitgebern sind so genannte Mitnahmeeffekte nicht auszuschließen – ein Bonus für Plätze, die ohnehin geschaffen worden wären. Daran ändern auch die bislang im Gesetzentwurf vorgesehenen Ausschlusskriterien nichts. Ein faktischer Nachweis über die Zusätzlichkeit eines Ausbildungsplatzes ist in der Praxis nicht möglich. Auf Seiten der Auszubildenden ist kaum vollständig zu verhindern, dass auch solche subventioniert werden, die nicht Altbewerber und schwer vermittelbar sind. Insgesamt sind die Kriterien besser als jene vorangegangener Modelle. Wir glauben aber, dass sie noch etwas enger gefasst werden sollten. Es muss dezidiert um wirklich benachteiligte Jugendliche gehen. Und das sind nur solche, die seit zwei Jahren auf der Suche und lernbeeinträchtigt oder sozial benachteiligt sind. Man muss nämlich auch sehen, dass schon der demographische Wandel die Zahl der Altbewerber in Zukunft deutlich sinken lassen wird.
Manche Bildungsforscher bezweifeln das – und sprechen nach dem Lehrstellenmangel der vergangenen Jahre von einer verlorenen Generation, die mehrere 100.000 Jugendliche umfasst.
Ich kann dem weder qualitativ noch quantitativ zustimmen. Wir werden nie 100 Prozent eines Jahrgangs ausbilden können; genau wie nie 100 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung einen Arbeitsplatz finden werden. Dennoch erleben wir in den neuen Bundesländern bereits heute eine Umkehr des Verhältnisses von Nachfrage und Angebot; die alten Länder werden in zwei bis drei Jahren folgen. Das ist positiv für junge Leute, die einen Ausbildungsplatz suchen – aber problematisch für Betriebe, die Nachwuchs suchen. Der Fachkräftemangel steht vor der Tür. Auch hier ist die Politik dringend gefordert.
Inwiefern?
Familien- wie Bildungspolitik müssen einen ganz anderen Stellenwert bekommen, und zwar in einem ganzheitlichen Konzept, das niemanden auslässt. Zentral ist dabei zweierlei: Erstens muss es Frauen leichter gemacht werden, Beruf und Familie zu verbinden. Zweitens muss es gelingen, die geringere Zahl von Schulabgängern besser auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten und damit auch fit für den immer stärkeren internationalen Wettbewerb zu machen.
Die Qualifizierungsinitiative hat so einen umfassenden Ansatz: von der Halbierung der Schulabbrecherzahl bis zur Heranführung von Frauen an technische Berufe...
Abgesehen von den Bedenken zum Ausbildungsbonus begrüßen wir sie auch außerordentlich. Man muss aber auch sagen, dass sie überfällig ist – und sie ohne das nachhaltige Bemühen der Wirtschaft nicht zu Stande gekommen wäre. Dazu kommt: In der Bildungspolitik müssen die Länder mit ins Boot. Wir erleben in den Betrieben täglich, wie überfordert Schulen damit sind, Jugendlichen das zu vermitteln, was in den Familien versäumt wird. Dass der für den Herbst geplante Qualifizierungsgipfel der Kanzlerin und Ministerpräsidenten Resultate zeitigt, ist unerlässlich!
Was muss sich in den Schulen tun?
Wir wissen zum Beispiel längst, dass in Zukunft jeder dritte Erstklässler einen Migrationshintergrund hat – und es gelingt immer noch nicht, diesen die nötigen Sprachkenntnisse für einen erfolgreichen Start in die Schule mitzugeben. Auch die flächendeckende und für alle Schulen verbindliche Einführung nationaler Bildungsstandards ist überfällig. Und wir benötigen mehr Kooperation von Schule und Wirtschaft. Es genügt nicht, Schüler drei Wochen vor ihrem Abschluss mit einem Berufsberater zu verabreden. Wir brauchen dauerhafte und partnerschaftliche Kontakte zwischen Schulen und Betrieben; mit regelmäßigen Praktika, Betriebsbesuchen und Ähnlichem. Die Wirtschaft ist dazu bereit. Die Schulen sind es längst nicht immer.
Die Handwerkskammern in Baden-Württemberg überraschten vor einiger Zeit mit der Forderung nach der Abschaffung der Hauptschule. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, dass regional verschiedene Antworten gefunden werden müssen. In manchen Flächenstaaten schafft schon die normative Kraft des Faktischen ein neues System - weil es dort aus demographischen Gründen unmöglich ist, drei Schultypen aufrecht zu erhalten. In Stadtstaaten ist die Lage völlig anders. Grundsätzlich erfreulich ist, dass die Debatte über das richtige Schulsystem in den vergangenen Jahren entideologisiert worden ist. Entscheidend für Qualität der Bildung ist eine ganz andere Frage, nämlich: Gelingt es, jedes Kind angemessen zu betreuen und zu fördern?
Inwieweit ist auch die Wirtschaft in der Pflicht zu nachholender Integration – in Form von Sprachunterricht, Mentoring oder Ähnlichem?
Dass ein Drei-Mann-Betrieb Deutschunterricht erteilt, kann man nicht verlangen – um das einmal ganz deutlich zu sagen. Aber: Das Handwerk macht seit Jahrzehnten auch Jugendliche mit Startschwierigkeiten fit. Der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an unseren Auszubildenden steigt; auch die Vermittlung von Grundwissen an Leistungsschwächere in der betrieblichen Ausbildung ist längst Usus. Man muss aber auch sehen, dass Betriebe in erster Linie wirtschaftlich arbeiten. Sie sind keine sozialen Einrichtungen, die unbegrenzt Versäumnisse ausgleichen können.
Sozusagen am anderen Ende der Skala Ihres potenziellen Nachwuchses stehen immer mehr Jugendliche, die an die Universitäten drängen. Geht Ihnen auch deswegen der Nachwuchs aus?
Ich stimme zu, dass der Wettbewerb um den weniger werdenden Nachwuchs insgesamt schärfer wird. Das gilt allerdings nicht nur zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung, sondern auch zwischen den einzelnen Segmenten. Ein Ziel der Zukunft muss deswegen ein Bildungssystem sein, das mehr Durchlässigkeit ermöglicht und neben formalen Abschlüssen auch stärker auf in Beruf und Ausbildung erworbene Kompetenzen setzt. Der Deutsche Handwerkskammertag ist bereits federführend mit der Erstellung eines Nationalen Qualifizierungsrahmens befasst, in dem es genau darum geht: Wir wollen Nachweise entwickeln, die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse dokumentieren und so auch zwischen den Bildungswegen und Berufen zu mehr Vergleichbarkeit und Mobilität führen. Der Nationale wird in einen Europäischen Qualifizierungsrahmen einfließen – denn natürlich ist die Vergleichbarkeit von Erlerntem angesichts der zahllosen verschiedenen Systeme in einer zusammenwachsendenGemeinschaft unerlässlich.