Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 25. August 2008)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Zu Georgien: „NATO will keine ungelösten Territorialkonflikte importieren / Kritik an Polens Premier Kaczynski
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU) spricht sich für eine internationale Friedenstruppe im Kaukasus-Krieg aus, um den Waffenstillstand abzusichern: „Das setzt allerdings voraus, dass der Waffenstillstand eingehalten wird, alle Konfliktparteien dem zustimmen und der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes Mandat erteilt.“ Russland sei hier als Konfliktpartner und UN-Mitglied doppelt gefragt. Polenz bezweifelt allerdings, „dass Russland dem überhaupt zustimmt.“ Eine Debatte über eine deutsche Beteiligung an einer potenziellen Friedenstruppe hält Polenz daher für verfrüht.
Zur Frage eines möglichen NATO-Beitritts von Georgien stellt der Ausschussvorsitzende klar: „Die NATO will keine ungelösten Territorialkonflikte importieren.“ Darüber hinaus müsse sich Georgien dafür zunächst „durch rechtsstaatliche und demokratische Reformen qualifizieren“.
Deutliche Kritik übt Polenz am Verhalten des polnischen Präsidenten Kaczynski, der den Vertrag über die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems in Polen mit der Lage in Georgien in Verbindung gebracht hatte: "Es war völlig neben der Sache, denn die Raketenabwehr ist nicht gegen Russland gerichtet.“
Insgesamt sei die Energiesicherheit Europas durch den Kaukasus-Konflikt berührt, erklärte Polenz, „denn Georgien ist das Transitland, auf das Europa angewiesen ist, wenn es auch Öl und Gas über Pipelines aus Zentralasien bekommen will, ohne dass diese Pipelines durch russische Territorien verlaufen.“
Das Interview mit Ruprecht Polenz im Wortlaut:
Herr Polenz, welche Möglichkeit der Befriedung
sehen Sie in der Kaukasusregion nach dem Krieg in
Georgien?
Zunächst einmal muss jetzt der
Sechspunkteplan erfüllt werden, den ja beide Seiten
unterschrieben haben. Danach sollte dieser Waffenstillstand
international beobachtet werden – etwa durch die von 200 auf
300 Mann aufgestockte OSZE-Mission. Und dann wird es um die Frage
gehen, ob eine internationale Friedenstruppe diesen Zustand
absichern sollte. Das setzt allerdings voraus, dass der
Waffenstillstand eingehalten wird, alle Konfliktparteien dem
zustimmen und der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes Mandat
erteilt. Russland ist hier also doppelt gefragt.
Soll sich Deutschland auch mit Soldaten an einer
potenziellen Friedenstruppe beteiligen?
Ich glaube,
es ist zu früh heute über diese Frage zu spekulieren,
denn es ist durchaus zweifelhaft, ob Russland einer solchen
internationalen Friedentruppe überhaupt zustimmt.
Wie wird sich die Kaukasuskrise auf die
Nato-Beitrittsperspektive Georgiens auswirken?
Die
Bundeskanzlerin und der Außenminister haben deutlich gemacht,
dass der Beschluss des Nato-Gipfels von Bukarest weiter gilt.
Danach wird Georgien Nato-Mitglied, allerdings ist offen, wann das
der Fall sein wird, denn Georgien muss sich dafür durch
rechtsstaatliche und demokratische Reformen noch qualifizieren.
Außerdem will die Nato keine ungelösten
Territorialkonflikte importieren.
Wird also durch diesen nun heißen Konflikt die
zeitliche Perspektive doch hinausgeschoben?
Nein,
dass wäre ein falsches Signal, weil Russland sich dadurch
bestärkt fühlen könnte, durch ein bestimmtes
Vorgehen Einfluss auf Nato-Entscheidungen nehmen zu
können.
Wie ist Ihre Haltung zu den Verhandlungen der EU
über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland? Sollen sie
angesichts der russischen „Bestrafungsaktionen“ in
Georgien auf Eis gelegt werden?
Das Partnerschafts-
und Kooperationsabkommen ist so etwas wie die Grundlage für
das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und
Russland. Die Verhandlungen darüber liefern eine
vorzügliche Gelegenheit herauszufinden, ob Russland wirklich
zu Europa gehören will oder ob es nur im geografischen Sinne
ein europäisches Land ist. Wenn man politisch zu Europa
gehören will, ist auch ein gleiches Verständnis von Recht
und Werten notwendig.
Der Nato-Rat hat aber die Zusammenarbeit mit Russland
ausgesetzt. Ist das ein richtiger Schritt?
Dieser
Schritt soll mit Nachdruck auf die russische Verpflichtung zum
Rückzug der Truppen in Georgien auf die Linien vom 7. August
hinwirken. Das hat Russland zugesagt, insofern hängt es von
Russland ab, wann die Gespräche im Nato-Rat wider aufgenommen
werden können.
Können Sie EU-Länder mit Ostblock-Erfahrung
verstehen, die einen harten Kurs gegen Russland
fordern?
Ich kann das verstehen. Ich höre nur
kaum konkrete Vorschläge, worin diese Härte im Einzelnen
bestehen soll, damit sie auch zielführend ist. Es geht uns ja
um gemeinsame politische Ansatzpunkte, das russische Verhalten
positiv zu beeinflussen. Ich kann nicht erkennen, dass ein
Unterbrechen von Gesprächskontakten dieser Sache dienen
würde.
War es klug, den Vertrag über die Stationierung des
US-Raketenabwehrsystems in Polen in Verbindung zur Situation in
Georgien zu setzen?
Das hat nur Präsident
Kaczynski gemacht, es war völlig neben der Sache, denn die
Raketenabwehr betrifft Russland nicht, sie ist nicht gegen Russland
gerichtet, allerdings sieht Polen in der Stationierung von
amerikanischem Begleitpersonal eine zusätzliche Garantie
seiner Sicherheit.
Moskau spricht vom Selbstbestimmungsrecht der
Völker in Bezug auf die abtrünnigen georgischen
Republiken und zieht damit Parallelen zum Kosovo. Gibt es solche
Parallelen?
Nein. Das Selbstbestimmungsrecht der
Völker bedeutet nicht das Recht auf einen eigenen Staat.
Soweit würde auch Russland als Vielvölkerstaat nie gehen.
Parallelen zum Kosovo bestehen aus einer ganzen Reihe anderer
Gründe ebenfalls nicht. Die Osseten und Abchasen wurden zum
Beispiel nicht jahrzehntelang in Georgien unterdrückt wie die
Albaner von den Serben.
Können Sie die Reaktion Russlands in diesem
Konflikt verstehen?
Ich kann nachvollziehen, wie die
russischen Bewertungen sind, aber ich verstehe nicht, warum
Russland die Nato immer noch so sieht, als wäre sie die Nato
des Jahres 1988, als sie in der Tat ein Verteidigungsbündnis
gegen die Sowjetunion war. Die Nato des Jahres 2008 ist eine
Allianz für Sicherheit und Stabilität und Russland hat
von der Nato nicht nur nichts zu befürchten, sondern wirkt
über den Nato-Russlandrat an Nato-Beratungen mit. Hinzu kommt:
Die sichersten Grenzen hat Russland mit Mitgliedstaaten der Nato;
denn das sind Demokratien, die rechtsstaatlich verfasst sind und
von denen keine Bedrohung von den Nachbarn ausgeht.
Was sagen Sie zu dem russischen Argument, Russland
müsse seine Staatsbürger vor Verfolgung
schützen?
Es gibt selbstverständlich die
Verpflichtung eines Staates, seine Staatsbürger zu
schützen und ihre Interessen wahrzunehmen, aber das meint den
konsularischen Schutz durch die jeweiligen Botschaften und
Generalkonsulate – nicht das Recht zur militärischen
Intervention. Hinzu kommt, dass Russland durch massives Ausgeben
von russischen Pässen an Abchasen und Südosseten in
georgische Souveränitätsrechte eingegriffen hat. Das ist
völkerrechtlich auch nicht erlaubt.
Hat auch Georgien Fehler gemacht?
Sicher,
Georgien hat sich in der Spirale von Provokation und
Gegenprovokation zu einem Angriff auf südossetisches Gebiet
hinreißen lassen. Es wird noch zu klären sein, ob die
Vorwürfe zutreffen, dass das georgische Militär auch
zivile Ziele angegriffen hat, also unterschiedslos gegen
militärische und zivile Ziele, etwa in der südossetischen
Hauptstadt, vorgegangen ist. Da gibt es noch eine Menge
Fragezeichen, die erst aufgeklärt werden können, wenn
internationale Beobachter und eine internationale
Untersuchungskommission sich diesen Fragen zuwenden.
Sehen Sie die Energiesicherheit Europas durch diesen
Konflikt gefährdet?
Sie ist auf alle Fälle
davon berührt, denn Georgien ist das Transitland auf das
Europa angewiesen ist, wenn es auch Öl und Gas über
Pipelines aus Zentralasien bekommen will, ohne dass diese Pipelines
durch russische Territorien verlaufen.
Gab es nach dem Ausbruch der Krise Kontakte zwischen
deutschen und russischen Abgeordneten?
Das kann ich
für den gesamten Bundestag nicht beantworten. Allerdings
fährt eine Delegation des Auswärtigen Ausschusses unter
meiner Leitung mit den außenpolitischen Sprechern aller
Fraktionen am 1. September für acht Tage nach Russland. Diese
Reise wurde lange geplant und bei den Gesprächen in Moskau
werden die Fragen, über die wir jetzt geredet haben,
sicherlich auch zur Sprache kommen.