Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. Oktober
2009),
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung
–
SPD-Fraktionsvize Gernot Erler warnt seine Partei vor einem überzogenen Kurswechsel in der Opposition. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. Oktober) bezeichnete es der bisherige Staatsminister im Auswärtigen Amt als „wichtige Aufgabe für die SPD“, ihr Profil wieder zu schärfen. Dies dürfe aber „nicht bedeuten, dass wir zu Wendehälsen werden, die sich plötzlich um 180 Grad drehen“.
Es könne nicht sein, dass die Sozialdemokraten jetzt „in einen Überbietungswettbewerb populistischer Parolen eintreten, zum Beispiel in der Konkurrenz zur Linkspartei“, mahnte Erler. Diesen Wettbewerb könne die SPD nicht gewinnen. Sie müsse „bisherige Positionen korrigieren“, dürfe aber nicht zulassen, „dass plötzlich gering geschätzt wird, was wir in elf Jahren Regierungsverantwortung geleistet haben“.
Mit Blick auf die Linksfraktion stellte der SPD-Politiker zugleich klar, dass es „keine Koalitionen in der Opposition“ gebe: „Das ist eine Konkurrenz“, sagte er. Dabei handele es sich um eine sehr selbstbewusste Konkurrenz, nachdem sowohl die Grünen wie Die Linke bei der Bundestagswahl zugelegt hätten, während die SPD „Federn gelassen“ habe.
„Wir werden alle drei als Opposition um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ringen müssen“, . fügte Erler hinzu. Opposition sei „häufig eine Arbeit ohne sichtbare Folgen“ und „eher der Versuch, wieder einen politischen Standort zu finden“. Insofern könne Opposition „auch frustrierend sein“, sei aber unverzichtbar: „Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, wenn man die Oppositionsrolle nicht nur als ständiges Geschimpfe über die Regierung versteht, sondern als konstruktiv-kritische Begleitung des Regierungshandelns.“
Herr Erler, Sie waren bei der Bundestagswahl der einzige
Gewinner eines Direktmandats der SPD in Baden-Württemberg. Ist
es da nicht besonders bitter, wenn Sie sich nun in der Opposition
wiederfinden?
So richtig Freude konnte über
diesen Erfolg nicht aufkommen, weil jetzt so viele vertraute
Gesichter fehlen. Es scheiden viele Kolleginnen und Kollegen aus,
sodass ich mich eher einsam fühle. Es bleibt mir aber nichts
anderes übrig, als diese neue Rolle, die ich von früher
schon kenne, anzunehmen.
Franz Müntefering hat 2004 gesagt:
„Opposition ist Mist“. Stimmt das? Wie wollen Sie in
den kommenden vier Jahre in der Opposition Politik
machen?
Opposition ist häufig eine Arbeit ohne
sichtbare Folgen. Es ist eher der Versuch, wieder einen politischen
Standort zu finden. Insofern kann Opposition natürlich auch
frustrierend sein. Aber sie gehört zu unserem politischen
System und ist unverzichtbar. Es ist eine verantwortungsvolle
Aufgabe, wenn man die Oppositionsrolle nicht nur als ständiges
Geschimpfe über die Regierung versteht, sondern als
konstruktiv-kritische Begleitung des Regierungshandelns.
Ist es auch eine Chance für die SPD, ihr Profil
wieder zu schärfen?
Natürlich, das ist
eine wichtige Aufgabe für die SPD. Aber das darf nicht
bedeuten, dass wir zu Wendehälsen werden, die sich
plötzlich um 180 Grad drehen. Es kann nicht sein, dass wir
jetzt in einen Überbietungswettbewerb populistischer Parolen
eintreten, zum Beispiel in der Konkurrenz zur Linkspartei. Diesen
Wettbewerb können wir nicht gewinnen. Wir müssen
bisherige Positionen korrigieren, dürfen aber nicht zulassen,
dass plötzlich gering geschätzt wird, was wir in elf
Jahren Regierungsverantwortung geleistet haben.
Wie werden Sie mit der Linken in der Opposition
zusammenarbeiten?
Es gibt keine Koalitionen in der
Opposition, sondern das ist eine Konkurrenz. Dabei handelt es sich
um eine sehr selbstbewusste Konkurrenz – sowohl die
Grünen wie Die Linke haben bei der Bundestagswahl zugelegt,
während die SPD Federn gelassen hat. Wir werden alle
drei als Opposition um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
ringen müssen.
Die Rechte der Opposition wurden in der vergangenen
Legislaturperiode von der Großen Koalition gestärkt.
Halten Sie diese für ausreichend?
Ich glaube,
wir müssen jetzt besonders aufpassen und die Rechte des
Parlaments bewahren. Ich habe gehört, dass vielleicht am
Parlamentsvorbehalt gekratzt werden soll. Bisher benötigt
jeder einzelne Bundeswehreinsatz im Ausland einen
Parlamentsbeschluss. Das hat sich bewährt, auch wenn es
manchmal aufreibend ist. Wir müssen aufpassen, dass nicht aus
Übermut über den großen Wahlerfolg an den Rechten
des Parlaments gerüttelt wird. Dagegen würden wir uns mit
aller Kraft wehren.
Die SPD hat ein Drittel ihrer Mandate verloren, darunter
profilierte Außenpolitiker, aber auch Wirtschafts- und
Finanzpolitiker. Bedeutet das nicht auch einen großen
Kompetenzverlust?
Wir haben 76 Abgeordnete weniger
und dadurch deutlich eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten.
Wir werden viele kompetente Mitarbeiter nicht weiter
beschäftigen können. Dadurch verringert sich auch die
Expertise, die uns bisher zur Verfügung stand. Dabei sind wir
sofort gefordert. Wir werden uns daher schon in der Endphase der
Regierungsbildung möglichst kompetent äußern
müssen.
Führt das nicht auch zu einem Generationswechsel in
der SPD-Fraktion?
Der fällt nur
eingeschränkt aus, weil unter den 146 SPD-Abgeordneten nur 28
neue Fraktions-Mitglieder sind. Viele junge Kandidatinnen und
Kandidaten, die auf den Listen standen oder auf ein Direktmandat
hofften, sind nicht in den Bundestag hinein gekommen. Insofern
verzögert sich die personelle Erneuerung durch das schlechte
Wahlergebnis. Aber auf dem kommenden Parteitag werden wir
sicherlich entsprechende Veränderungen erleben.
Der nächste Außenminister wird vermutlich
Guido Westerwelle heißen. Erwarten Sie Veränderungen
oder wird sich die Kontinuität der deutschen
Außenpolitik auch jetzt fortsetzen?
Es spricht
viel für diese Kontinuität. Mir sind keine
programmatischen Aussagen des mutmaßlichen nächsten
Außenministers bekannt, wo er völlig neue Akzente setzen
will. Aber in der internationalen Politik gibt es ständig neue
Herausforderungen wie die Georgien-Krise im Sommer 2008. Insofern
bleibt eine Ungewissheit über den Kurs der künftigen
Außenpolitik, auch wenn in der Koalitionsvereinbarung vieles
vertraut klingt.
Können Sie dafür konkrete Beispiele
nennen?
Nehmen Sie die Frage der EU-Erweiterung und
unsere Verpflichtungen gegenüber den Staaten des Westbalkan
oder der Türkei, mit der seit 2005 Verhandlungen laufen. Diese
stehen jetzt offenbar auf dem Prüfstand. Es wird spannend
werden, wenn wir bald sämtliche Bundeswehreinsätze, auch
in Afghanistan, im Parlament diskutieren. Da werden wir sicherlich
einige Auseinandersetzungen und ein Ringen um gemeinsame Positionen
erleben.
Der Wahlkampf wurde ja vor allem von der Innenpolitik
dominiert. Das klingt so, als erwarteten Sie jetzt mehr
außenpolitische Debatten im Bundestag?
Man
kann schwer voraussagen, ob die Außenpolitik stärker in
den Vordergrund treten wird. Die globale Krise wird auf jeden Fall
eine große Rolle spielen. Außerdem steht zur Debatte,
was von der Entwicklungszusammenarbeit übrig bleibt. Da sind
sehr kontroverse Debatten denkbar, die auch innenpolitische Fragen
miteinbeziehen.
Wie werden Sie als erfahrener Außenpolitiker mit
einem Außenminister Guido Westerwelle
zurechtkommen?
Ich weiß nicht, wie sich
Westerwelle auf diese Position vorbereitet hat. Ich weiß nur,
dass ihn viel Arbeit erwartet. Wenn man noch zusätzliche
Aufgaben hat, etwa in der Innenpolitik als Vizekanzler oder die
eigene Fraktion zusammenhalten muss, dann ist das eine große
Herausforderung. Ich bin gespannt, wie Westerwelle das alles
unter einen Hut bringen wird.
Die niedrige Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass sich
immer mehr Menschen von der Politik abwenden. Welche
Möglichkeiten sehen Sie im Parlament, die Bürger wieder
stärker für das, was im Bundestag geschieht, zu
interessieren?
Das geht eigentlich nur, wenn man
politische Projekte anbietet, die auch für junge Wähler
interessant sind. Es ist nicht leicht, Bürger für
Einzelentscheidungen und Details zu interessieren. Aber die Idee
einer globalen Verantwortungspartnerschaft ist etwas, für das
man auch junge Leute begeistern kann. Ich glaube nicht, dass die
Jugend unpolitisch ist, ganz im Gegenteil. Im Wahlkampf war das
Interesse gerade an Schulen sehr groß. Aber man hat nur
eine Chance, wenn man von etwas begeistert ist.
Brauchen wir also mehr Politiker mit Visionen? Helmut
Schmidt hat ja einmal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum
Arzt gehen.“
Ich fand diesen Scherz von Helmut
Schmidt schon immer sehr amüsant. Aber die SPD war immer eine
Partei, die Visionen entwickelt hat - schon 1925 die Vision eines
geeinigten Europas, aber auch die Vision von sozialer
Gerechtigkeit, auch im Weltmaßstab. Es gab immer diesen
internationalistischen Ansatz bei der SPD. Ich glaube, in dieser
Spur müssen wir bleiben.