Die Einigung im Ausschuss auf diese Zeugenliste wird überlagert von einem auf Außenstehende eher skurril wirkenden Streit zwischen Koalition und Opposition. Es gehtdabei um das Problem, welche Fragen man denn nun an die Promis richten darf und welche nicht - ein Konflikt, der die Anhörung der Polit- und Geheimdienstgrößen zu belasten droht. Zudem macht Gerhard Schindler, ein Mitarbeiter des Innenministeriums, nicht gerade Appetit auf die Vernehmung seines Ex-Chefs: Der Zeuge will partout nichts Näheres rausrücken über das Treffen Schilys mit Daniel Coats Ende Mai 2004, bei dem der US-Botschafter den SPD-Politiker schon kurz nach El-Masris Freilassung über dessen mehrmonatige Entführung unterrichtete – und der Minister versprach Stillschweigen.
Über vier Stunden müssen sich die Journalisten vor der Tür die Beine vertreten, hinter der die Volksvertreter über ihr Programm bis Dezember ringen. Zuguterletzt spricht Siegfried Kauder (CDU) als Vorsitzender des Gremiums von „kleinen Muskelspielchen über Verfahrensfragen“. Immerhin, der Terminplan steht, und allein die Namen der Zeugen versprechen viel öffentliche Resonanz. Eine Woche nach Schily sind für den 30. November Ernst Uhrlau, Präsident des Bundesnachrichtendiensts, und sein Vorgänger August Hanning geladen, momentan Innen-Staatssekretär im BMI. Am 14. Dezember kommt es zum Showdown mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), zur Zeit des Kidnappings von El-Masri Chef des Kanzleramts, sowie mit dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer. Vielleicht wird die Befragung der drei Politiker im Fernsehen übertragen. Entschieden ist das noch nicht. SPD-Obmann Thomas Oppermann: „Ich halte das für denkbar.“
Unklar ist aber vor allem, mit welchen Fragen die Promis gelöchert werden dürfen. Die Hakeleien zwischen Koalition und Opposition erscheinen auf den ersten Blick reichlich kleinkariert, beleuchten aber den schwelenden Machtkampf zwischen beiden Lagern. Union und SPD insistieren, dass der Ausschuss bis Jahresende den Komplex El-Masri abarbeiten und deswegen Schily & Co. auch nur zu diesem Thema anhören soll. Oppermann wendet sich gegen „Themenhopping“. Kauder meint, man könne den Fall Murat Kurnaz dann von Januar an behandeln. Der aus Bremen stammende Türke war offenbar unter falschem Terrorverdacht mehrere Jahre in Guantanamo inhaftiert.
Auch die Opposition möchte zunächst die Affäre El-Masri abschließen. Eine „Beschneidung des Fragerechts“ akzeptiere man jedoch nicht, betonen Max Stadler (FDP) und Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen). Der Grüne droht sogar mit dem Gang zum Bundesverfassungsgericht, um im Ausschuss die Belange der Minderheit durchzusetzen: „Karlsruhe rückt immer näher an Berlin heran“, wobei er auch in den beschränkten Aussagenehmigungen der Zeugen und in der restriktiv gehandhabten Herausgabe von Regierungsakten Gründe für eine Klage sieht. Oppermann gibt sich gelassen: Ströbele drohe zwar oft mit Karlsruhe, „aber er wird dort nicht hingehen, weil die Rechte der Opposition gewahrt werden“.
Warum will man Steinmeier und die anderen Zeugen nicht nur zu El-Masri vernehmen? Aus Sicht Stadlers wirft die Verschleppung des Deutsch-Libanesen die gleichen Grundsatzprobleme auf wie der Fall Kurnaz oder das Schicksal eines 70-jährigen Deutsch-Ägypters aus München, der mutmaßlich ebenfalls fälschlicherweise unter Terrorverdacht von US-Soldaten verhaftet und in einem bosnischen Lager misshandelt worden war: Wie kam die Regierung ihrer Schutzpflicht gegenüber Entführten nach, wie hat sie sich generell für diese Opfer eingesetzt? Fragen dieser Art zielen ins politische Nervenzentrum, und solche Auseinandersetzungen versprechen mehr Spannung als Nachforschungen, wer wann über welches Detail der Kidnappings unterrichtet wurde. Der Streit über den Umfang des Fragerechts dürfte bei der Anhörung der Prominenz jedenfalls wieder hochkochen.
Nicht eingegrenzt werden die Fragen dieses Mal bei der Vernehmung Gerhard Schindlers. Sonderlich viel zu erfahren ist von diesem Zeugen aber nicht: Immer dann, wenn es um den Inhalt des Gesprächs zwischen Schily und Coats und dessen Umstände geht, zieht sich der Mitarbeiter des Innenressorts auf die Geheimhaltungspflicht zurück und will Näheres nur hinter verschlossenen Türen kundtun. Erzählen könnte Schindler schon manches, war er doch bei dem ominösen Treffen zugegen: Was genau hat der US-Botschafter dem damaligen Minister über El-Masris Verschleppung El-Masris berichtet, welche Vermerke wurden angelegt, was hat es mit der von Schily zugesicherten Vertraulichkeit auf sich?
Immerhin, einiges locken vor allem die Oppositionspolitiker Stadler, Wolfgang Nescovic von der Linkspartei und Ströbele aus dem Zeugen heraus. So meint Schindler, Schilys Schweigen über die Unterhaltung mit Coats habe die im Juni 2004 von der Staatsanwaltschaft München gestarteten Untersuchungen zu El-Masris Kidnapping nicht behindert. Die Ermittlungen seien doch „auf vollen Touren“ gelaufen. Vertreter der Staatsanwaltschaft hatten vor dem Ausschuss erklärt, sie hätten schon gern Kenntnis gehabt von Schilys Gespräch mit Coats. Ende Oktober erschien der Ex-Minister schließlich vor den Münchner Ermittlern. Danach hieß es seites der Staatsanwaltschaft, man sei „in der Sache weitergekommen“. Zum Erstaunen mancher Abgeordneter klassifiziert Schindler die Erläuterungen von Coats gegenüber Schily als „nachrichtendienstliche Information“, weswegen diese Neuigkeit damals nicht an andere Behörden weitergeleitet worden sei. Der US-Botschafter sei aber doch gar kein Geheimdienstler, wirft Stadler ein. Es habe sich aus dem Inhalt des Gesprächs erschlossen, so der Zeuge, dass dies entsprechend einzustufen sei.
Nun war Schily im Mai 2004 auf Inspektionsreise in Afghanistan, und kurz danach wurde El-Masri freigelassen. In Stadlers Frage, ob da ein Zusammenhang existiere, schwingt unterschwellig die Überlegung mit, der Minister könne vielleicht schon vor dem Treffen mit Coats über die Entführung des Deutsch-Libanesen unterrichtet gewesen sein. Nein, meint Schindler, da gebe es keinen Zusammenhang, das sei „Zufall“ gewesen. Häufig aber nimmt der Zeuge eben die Geheimhaltungspflicht in Anspruch. Eine skurrile Situation entsteht bei der Frage eines Abgeordneten, in welcher Sprache denn Schilys Treffen mit Coats stattfand. Zunächst schweigt Schindler. Als dann der Vorsitzende Kauder nachhakt, wenigstens das könne man doch öffentlich mitteilen, gibt sich der Zeuge einen Ruck: Die beiden hätten „überwiegend englisch“ gesprochen. Diese Antwort, so Schindler, „nehme ich auf meine Kappe“. Da huscht ein Lächeln über die Gesichter mancher Parlamentarier.