Die päpstliche Türkei-Politik seit dem 16. Jahrhundert war stets kühn und mit weltpolitischem Kalkül geführt. Handeln ist hier immer effektiver gewesen als abwarten. Im religionspolitischen Puzzle der Päpste war dieses Land als Mittelmeer-Anrainer eine wichtige Größe. Daher bestand hier auch früher nie abgrundtiefe Fremdheit, besonders deshalb, weil die Türkei noch bis vor 100 Jahren zu einem Drittel christlich war.
Der jüngste Besuch des Papstes in der Türkei sollte zunächst einen innerchristlich-ökumenischen Charakter haben. Doch im Laufe der Vorbereitungen bekam - nicht zuletzt wegen der Regensburger Rede des Paps-tes, aber auch wegen der in jedem Land des Nahen Ostens momentan schwierigen Situation - das weltpolitische und interreligiöse Element den Vorrang. Welche Bedeutung hat der Dialog mit dem Islam? Er kann Gemeinsamkeiten feststellen und gemeinsames Handeln vorbereiten. Im Gespräch mit dem türkischen "Religionsminister" Ali Bardakoglu scheint es dem Papst gelungen zu sein, eine Gesprächsebene überhaupt zu finden, wo zuvor nur Abneigung signalisiert wurde, und konkrete gemeinsame Interessen auszumachen. Und das in einer Situation, in der die Konfrontation von Christen und Moslems weltweit dramatische Ausmaße gewonnen hat. Das ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil Religion - insbesondere der Islam - in den vergangenen Jahren ein primärer Faktor der Weltpolitik geworden ist. Die großen Themen der internationalen Politik haben alle mit dem Islam und seiner politischen Macht zu tun (Israel, Afghanistan, Irak, Iran, Sudan). Die westliche Politik, insbesondere die der USA, zeigt in der Regel wenig Verständnis für die religiöse Dimension der Politik in diesen Ländern. In dieser Situation leistete der Papst einen religiös affirmativen und einen kritischen Beitrag. Der Papst betonte die Gemeinsamkeit des Glaubens an den einen Gott und hob in Ephesus besonders die Bedeutung der Mutter Jesu - Maria - auch für Moslems hervor. Denn das Haus Marias in Ephesus wird auch von Moslems verehrt. Ähnliches gilt übrigens für die Marienverehrung von Moslems an dem großen katholischen Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien-Herzegowina. Religiös affirmativ waren auch die Aufforderungen des Papstes zu gemeinsamem Handeln in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Hier liegen übrigens große Potenziale des Korans, von Christen meist verkannt.
Islamkritisch war der Beitrag des Papstes zum Verhältnis von Religion und Politik. In der Ansprache vor dem Diplomatischen Korps sagte der Papst: "Dies beinhaltet sicher, dass die Religionen ihrerseits nicht versuchen, direkt politische Macht auszuüben, weil sie dazu nicht berufen sind, und im Besonderen, dass sie absolut darauf verzichten, den Rückgriff auf Gewalt als legitimen Ausdruck der religiösen Praxis zu rechtfertigen." Zum letzteren Punkt erhielt der Papst eine positive Resonanz seitens seiner Gesprächspartner. Zur Frage des EU-Beitritts der Türkei äußerte sich der Papst im Prinzip positiv, auch wenn er sagte, in dieser Frage keine politische Kompetenz zu haben. Das deutet auf einen Wechsel des Vatikans in dieser Frage hin. Seine neue Haltung kann man als "wohlwollende Neutralität" bezeichnen.
Zieht man das Resümee aus der politischen Seite des Papstbesuches, so gilt: 1. An der Türkei entscheidet sich - für alle anderen moslemischen Staaten beispielhaft -, ob das Zusammenleben von Christen und Moslems jetzt und in Zukunft friedlich gelingen kann. Durch seine immer wieder bezeugte Hochachtung vor dem Islam hat der Papst die von beiden Seiten einzuhaltende Grundbedingung genannt, eben die Achtung des anderen. 2. Der Papst kam nicht als Anwalt einer für die Wahrheit blind gewordenen Toleranz. Auch nicht als Vertreter des Westens, denn das Christentum stammt von noch etwas weiter östlich her, "einmal um die Ecke". 3. Der Papst hat offen eine Religionsfreiheit gefordert, die verfassungsmäßig garantiert und effektiv respektiert wird. Dafür, dass das auch geschieht, ist freilich sein Besuch keine Garantie. Aber der Fuß ist in den Türspalt gesetzt.
In einer religiös und politisch brisanten Situation hat der Papst die von beiden Religionen geforderte Friedfertigkeit exemplarisch demonstriert. Das ist um so bedeutsamer, als der Papst in ein Land mit 98 Prozent Moslems und ganz wenigen Christen gereist ist. Wenn der Papst in ein moslemisches Schlüsselland reist und dort den Dialog mit Politikern führt, dann bedeutet das: Wenigstens der Papst erkennt die große Bedeutung von Religion in der weltpolitischen Situation an. Er ist sachverständig in dieser entscheidenden Dimension der Politik. Von den übrigen christlichen Politikern kann man das kaum sagen. Die Welt kann und soll erkennen, dass der Islam das Feld der Politik nicht monologisch allein regeln kann, sondern dass die Christenheit hier sprach- und dialogfähig ist. Insofern enthält die Papstreise in die Türkei eine wichtige Botschaft für die Politiker des Westens: Glaubt nicht, dass ihr in der Politik auf den Beitrag des Christentums, insbesondere des Papstes, verzichten könnt. Hier habt ihr den Experten in Sachen Religion und den geborenen Gesprächspartner für diese entscheidende Seite der Weltpolitik.
Dass der Papst zum "Patriarchen von Konstantinopel" gereist ist, knüpfte an den Besuch Johannes Paul II. von 1979 an. Angesichts der seit tausend Jahren in Ost und West geteilten Christenheit bedeutete das mehr als Höflichkeit. Die Übereinstimmungen zwischen Ostkirche und Westkirche sind in der Dogmatik umfassend. Rom redet denn auch von der Schwesterkirche im Osten. Probleme bereitet stets nur die Autorität des Papstes. Ihn anzuerkennen ist für die Ostkirchen extrem schwierig, da sie sich alle als autokephal (unabhängig, mit eigenem Oberhaupt) verstehen. Deshalb ist es ebenso notwendig wie bedeutsam, wenn der Papst eben selbst persönlich dem Patriarchen die Ehre erweist, und zwar just zum Fest des heiligen Andreas, des Bruders Petri unter den Aposteln und Schutzheiligen von Byzanz. So hatte Benedikt den Mut, die "vollständige Einheit" zu fordern. Das scheint - im Vergleich zur möglichen Einigung mit protestantischen Gemeinschaften - kinderleicht. Seine Gesprächspartner auf orthodoxer Seite dürften die so genannte Ratzinger-Formel in guter Erinnerung gehabt haben, die bereits der Kardinal formuliert hatte: Dass den Ostkirchen nur ein Papsttum in Gestalt des Primats Roms im 1. Jahrtausend zuzumuten sei. Die Fülle der Einzelheiten wird derzeit in Geheimverhandlungen mit allen einzelnen Ostkirchen erörtert.
Der Besuch des Papstes hat auch Bedeutung für das Verhältnis von Orthodoxie und Islam: Der Papst tritt auf als Beschützer, ja als Anwalt der orthodoxen Chris-ten und darüber hinaus als Patron der bedrängten orientalischen Christen überall im Nahen Osten. Denn der Papst ist eine Welt-Autorität, ganz anders als orthodoxe und andere Erzbischöfe. Aus diesem Grund flüchten schon seit geraumer Zeit östliche Kirchen unter den Schutzmantel Roms. Die Zugehörigkeit zur Weltkirche und die Verbindung mit der Autorität des Papstes ist für sie eine Überlebensgarantie. Die orthodoxe Christenheit ist aufgrund ihrer nationalen Strukturen und der damit verbundenen Rivalitäten kaum zu einem derart mächtigen Schutz in der Lage. Das gilt auch für die Orthodoxen in der Türkei, deren Patriarch traditionell romfreundlicher ist als alle anderen orthodoxen Patriarchen.
Als Beter in Ephesus hat der Papst deutlich gemacht: Was Christen untereinander wie auch Moslems und Christen gemeinsam benötigen, gerade auch als Basis des Dialogs, ist glaubwürdig praktizierter Glaube, oder, kürzer gesagt: Heilige. Denn vor Pries-tern und Mönchen, die demütig sind, zeigt bereits der Koran größte Hochachtung.