Die EU will weiter die Avantgarde in der Klimaschutzpolitik sein. "Wir sind entschlossen, unsere Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll zu erfüllen", sagte Umweltkommissar Stavros Dimas am 29. November in Brüssel. "Hier geht es um unsere Glaubwürdigkeit. Mit den Kürzungen, die wir vorgenommen haben, zeigen wir, dass man sich im Klimaschutz auf Europa verlassen kann."
Die Kommission hatte zuvor ihr Urteil über die ersten zehn nationalen so genannten Allokationspläne gefällt. In diesen nationalen Zuteilungsplänen wird die Gesamtmenge und die Verteilung der CO2-Emissionen festgelegt, die die Mitgliedstaaten den Unternehmen gewähren. Die Unternehmen können diese Zertifikate dann handeln. Die Pläne gelten für die zweite Periode des europäischen Emissionshandels von 2008 bis 2012: Fast alle genügten ihren Maßstäben nicht. Denn von 2008 bis 2012 darf die EU nur noch acht Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990. Eine Projektion, die die Kommission im September vorgelegt hat, zeigt, dass dieses Ziel nur mit zusätzlichen Maßnahmen erreicht werden kann. 2004 hatten zumindest die 15 alten EU-Staaten ihre Emissionen erst um weniger als ein Prozent zurückgeführt.
Die Kommission ist deswegen entschlossen, den Druck auf die Mitgliedsstaaten zu erhöhen. Die In- dustriebetriebe, die am Handel mit CO2-Emissionsrechten teilnehmen müssen, sollen ab 2008 sieben Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen als im letzten Jahr. Die meisten EU-Staaten wollten ihren Firmen das nicht zumuten und genauso viele Emissionsrechte ausgeben wie im letzten Jahr. Die dafür geltenden Ansätze wurden von der Kommission deutlich reduziert. Besonders drastisch fiel die Kürzung für die Letten und Litauer aus. Sie dürfen nur 3,3 bzw. 8,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausstoßen, statt der beantragten 7,7 und 16,6 Millionen Tonnen. Nur der britische Antrag auf 246,2 Millionen Tonnen wurde unverändert genehmigt. Dimas begründete die Kürzungen damit, dass in der laufenden Handelsperiode (2005-2007) zuviel Emissionsrechte ausgegeben wurden. Ein erneuter Preisverfall müsse nach 2008 verhindert werden. Im Frühjahr war die Notierung für die Emissionsrechte eingebrochen. "Der Emissionshandel funktioniert nur, wenn das Angebot knapp ist", sagte Dimas. Diese Rechnung scheint aufzugehen. Gegenwärtig muss man für eine Tonne Kohlendioxid etwa neun Euro bezahlen. Emissionsrechte für die nächste Handelsperiode (2008-2012) sind doppelt so teuer.
Auch die Bundesregierung darf weniger Emissionsrechte ausgeben als sie geplant hat: 453,1 Millionen Tonnen. Im Juni hatten sich Umweltminister Gabriel und Wirtschaftsminister Glos auf 482 Millionen Tonnen verständigt. Allerdings hatte Gabriel danach eine Senkung der deutschen Emissionen auf 465 Millionen Tonnen angeboten. Gabriel geht davon aus, dass die "strittigen Fragen im weiteren Verfahren einvernehmlich geklärt werden können". In Brüssel ist man der Meinung, dass die deutsche Industrie ihre Anlagen klimafreundlicher einsetzen kann als sie der Bundesregierung glauben macht. In Berlin hält man die von der Kommission unterstellten Fortschritte bei der Abgasminderung für unrealistisch.
Umstritten ist vor allem, dass die Deutschen neue Anlagen begünstigen wollen. Neue Kraftwerke sollen die notwendigen Emissionsrechte 14 Jahre lang gratis erhalten. Sie sollen auch nicht gekürzt werden. Das sei logisch, sagt der Staatssekretär im Wirtschaftsminis- terium, Joachim Würmeling, denn neue Anlagen erzielten bereits die niedrigsten Emissionswerte. Die Zuteilungsmengen der Kommission für Deutschland seien "ein Schlag ins Gesicht Lissabon-Strategie"(mit der Brüssel die Wettbewerbsfähigkeit der EU verbessern will). Im Wirtschaftsministerium wird eine Nachbesserung des deutschen Allokationsplanes abgelehnt.
Die Kommission droht den Deutschen dagegen mit dem europäischen Beihilfenrecht. Sollte die Bundesregierung Emissionsrechte über das Jahr 2012 hinaus zusagen, würde man das in Brüssel als unerlaubte Subvention betrachten. Die Unternehmen müssten diese Subventionen zurückzahlen. Kritik an den Plänen der Bundesregierung übten auch die Grünen im Europaparlament. "Wer, wie der deutsche Umweltminister, die Zertifikate verschenkt, spült enorme Profite in die Taschen der Energiekonzerns", sagte die grüne Abgeordnete Rebecca Harms. Auch der Unionsabgeordnete Peter Liese erklärte, Deutschland habe sich nicht ausreichend um den Klimaschutz gekümmert. "Wir hängen im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern immer noch zu sehr von fossilen Brennstoffen wie Kohle und Gas ab."