Grundeinkommen und Bürgergeld
Ein Überblick über das breite Spektrum unterschiedlicher Modelle und alternativer Gesellschaftsformen jenseits von Hartz IV
Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und die daraus resultierende Verteilungsungerechtigkeit sind längst nicht nur Probleme zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern. Sie betreffen die Industrieländer selbst. Das hängt nicht zuletzt mit einer dauerhaft hohen Arbeitslosigkeit zusammen. In Deutschland lauten die Stichworte dazu: Hartz IV, Nationaler Armutsbericht und Unterschichtendebatte. Die noch vor einigen Jahren populäre Diskussion um eine Verschlankung des Staates und weiteren Sozialabbau scheint zu einem vorläufigen Stillstand gekommen zu sein. Statt dessen geraten neue sozialpolitische Modelle in den Vordergrund.
Eines der zurzeit am heftigsten diskutierte Modelle, ist das des Grundeinkommens. Die Grünen veranstalteten im letzten Jahr dazu einen eigenen Kongress. Das Spektrum der Befürworter reicht dabei von FDP-Positionen in Form von Bürgergeld, über den Gründer der dm-Drogeriemärkte Götz W. Werner, der ein einheitliches Grundeinkommen von 1.400 Euro vorschlägt, bis hin zu Attac und weiten Teilen der Linkspartei. Wie der Journalist Kai Ehlers in seinem neuen Buch nachweist, ist das Thema jedoch keineswegs neu, sondern reicht bis in das 19. Jahrhundert und davor zurück.
Die wichtigsten Merkmale des Grundeinkommens sind, dass es unabhängig vom Erwerbseinkommen bezahlt werden soll und auch Formen der Naturalwirtschaft um-fasst. Ein frühes Beispiel hierfür findet Ehlers bereits in den Dorfgemeinschaften Russlands ("Mir") des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, welche sich in modernem Gewand im heutigen Russland in Form der Datschen und neu formierten Kolchosen großer Beliebtheit erfreuen.
Vorstufen des Grundeinkommens haben sich auch in Deutschland bereits herausgebildet. So ist etwa das so genannte Regionalgeld, das inzwischen in vielen Landkreisen und einigen Städten Deutschlands existiert, aus dem Bedürfnis heraus entstanden, Geld möglichst in der Region zu halten. Ehlers führt als Beispiel den "Chiemgauer" an, dessen nützliche Funktion inzwischen sogar von Großbanken anerkannt wird.
Als weitere konkrete Beispiele stellt Ehlers die Internetplattformen des Verbraucherschutzforums und Tauschbörsen vor, wo Bücher und andere Gegenstände getauscht und über ein Mitgliederkonto abgerechnet werden können. Ausführlich werden außerdem alternative landwirtschaftliche Organisationen, wie der Buschberghof und der Kettendorfer Hof, beide im Raum Hamburg, skizziert.
Als komplexeres Modell analysiert Ehlers die Kommune Niederkaufungen. Das Dorf bei Kassel mit 75 Einwohnern vereinigt so unterschiedliche Einrichtungen wie einen Dorfladen, eine Schlosserei, eine Sattlerei, eine Schreinerei, eine Altentagesstätte, einen Kindergarten, ein Tagungshaus und zwei Beratungsbüros für Konfliktbewältigung und gemeinschaftsbezogenes Wirtschaften in sich. Die Schilderung des Alltags in der Kommune durch den Kommunarden Uli, die auch über eine gemeinsame Kasse verfügt, macht deutlich, dass es offenbar seit über 20 Jahren möglich ist, erfolgreich Gemeinschaft auf mittlerer Ebene zu leben. Die im Buch noch genannte Pflichteinlage von 20.000 D-Mark pro Bewohner in die Kommune, wird nach deren Auskunft inzwischen nicht mehr erhoben. Ein wichtiger Grund hierfür ist sicherlich die Überlegung, dass Langzeitarbeitslosen und anderen sozial Schwachen die Aufnahme praktisch versperrt wäre, da diese in der Regel nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen und dies auch nicht durch Kredite auszugleichen vermögen.
Es überrascht nicht, dass Hartz IV vom Autor keine positive Bewertung erfährt und von ihm als "Verfolgungsbetreuung" deklariert wird. Folgerichtig setzt Ehlers für die Einführung eines Grundeinkommens eine andere Gesellschaft voraus, deren Grundzüge er beschreibt. Als konkreten Zwischenschritt dahin, plädiert der Autor vor allem für die Bildung von Netzwerken mit ökologischer Ausrichtung. Doch an dieser Stelle hätte Ehlers ausführlicher werden müssen. Zum einen, um die Ausführungen Götz W. Werners um ein alternatives Konzept zu ergänzen. Zum anderen, weil dessen Forderung nach einem einheitlichen Grundeinkommen vom 1.400 Euro die Frage nach der Bezahlung medizinischer Leistungen sowie die Problematik der mit 50 Prozent Mehrwertsteuer belasteten Verbraucherpreise offen lässt. Gerade die weitere Entwicklung von konkreten Zwischenschritten ist jedoch notwendig, wenn das Konzept Grundeinkommen zu einem ernsthaften Gegenmodell neoliberaler Wirtschaftspolitik entwickelt werden soll.
So ist Ehlers Forderung nach einer Dezentralisierung in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen als allgemeiner politischer Richtungsweiser zweifellos zu begrüßen. Eine solche Prämisse sollte jedoch mehr die aktuelle soziale und demografische Lage der westlichen Industrienationen - mit ihrem hohen großstädtischen Bevölkerungsanteil oder den sinkenden Geburtenraten - berücksichtigen.
Die Stärken des Buches liegen vor allem in einem guten Einstieg in die Thematik, der zu weiteren Diskussionen anregt, in der Skizzierung einer Verknüpfung des Grundeinkommensvorschlags mit alternativen, zumeist anthroposophischen Ansätzen und in der Darstellung alternativer Lebensformen, deren konkrete Lebenswirklichkeiten anschaulich und in lebendiger Sprache beschrieben werden.
Grundeinkommen für alle. Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft.
Pforte Verlag, Dornach 2006; 218 S.,14 ¤