DResden
Dreiklang aus Stadt, Landschaft und Fluss
Die wirtschaftlichen Effekte des Denkmalschutzes kann man auch in Dresden nicht in Euro und Cent berechnen. Aber man kann ihnen hier so gut nachspüren wie in keiner anderen deutschen Stadt. Möglich ist das, weil das berühmte historische Zentrum Anfang 1945 fast komplett von alliierten Bomberverbänden zerstört worden war. Ein Fachmann prophezeite bald darauf, es werde 70 Jahre dauern, die Stadt wieder aufzubauen. Und tatsächlich zieht praktisch jedes bedeutende Bauvorhaben in Dresden bis heute städtebauliche Weiterungen nach sich, die die Anziehungskraft der Stadt in enormen Schüben erhöhen.
Nach der Weihe der Frauenkirche im Oktober 2005 stieg die Zahl der Dresden-Besucher sprunghaft an. Allein im Dezember des Jahres kamen 17 Prozent mehr Menschen in die sächsische Landeshauptstadt als im Vorjahresmonat. Ein weiterer Magnet ist seit Herbst das wiedereröffnete Historische Grüne Gewölbe. Mit rund 3,5 Millionen Übernachtungen verzeichnete die Stadt 2006 im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von 18,9 Prozent. Auch die Zahl der Kongresse hat deutlich zugenommen.
Ohne den Einsatz des vor eineinhalb Jahren gestorbenen Hans Nadler, dem Nestor der sächsischen Denkmalpflege, wäre es nicht möglich gewesen, an den Mythos vom "alten Dresden" anzuknüpfen. Nadler half mit zäher Hartnäckigkeit zu verhindern, was die SED-Führung mit Dresden plante: Für den Traum von einer sozialistischen Vorzeige-Großstadt sollte von dem wenigen, was noch übrig geblieben war, entsetzlich viel abgeräumt werden.
Die Abrissliste der neuen Machthaber umfasste neben der Sempergalerie und dem Westflügel des Schlosses auch die Ruine der Semperoper. Anders als den direkt von Ulbricht angeordneten Abriss der Sophienkirche konnten Nadler und seine Mitstreiter die endgültige Zerstörung dieser Kulturgüter verhindern.
Auch die DDR-Führung erkannte schließlich das Potenzial der Stadt. Chronischem Geld- und Materialmangel zum Trotz begann man mit dem Wiederaufbau von his-torischen Gebäuden. Am 13. Februar 1985, dem 40. Jahrestag der Zerstörung der Stadt, fand nach achtjähriger Bauzeit die Eröffnungspremiere der Semperoper statt. Die Oper ist seitdem sowohl für den Tourismus als auch für die Kunstwelt wieder zum Magneten geworden.
Nur das Projekt Frauenkirche hat eine noch größere Bild- und Anziehungskraft entwi-ckelt. Schon 1953 beschrieb Nadler nach eingehender Überprüfung des Trümmerkegels die Möglichkeit, das Gotteshaus "nach archäologischen Prinzipien wiederherzustellen". Doch der Denkmalpfleger wusste, dass das Jahrhundertwerk eines "archäologischen Wiederaufbaus" der Kirche unter den ideologischen und wirtschaftlichen Bedingungen der DDR nicht möglich sein würde. Trotzdem legte er schon in den 1980er-Jahren sogar für den Nachbau der barocken Bürgerhäuser rund um die Kirche am Neumarkt einen Plan vor.
Dresdner Denkmalschützer sehen ihre Hauptaufgabe indes anderswo: Alle acht Denkmalschutzgebiete der Stadt liegen außerhalb des Zentrums. Stadtteile wie der Weiße Hirsch, Striesen oder das Preußische Viertel haben wenig mit dem so fest im kollektiven Gedächtnis verankerten Mythos Barockstadt zu tun. Doch erst wer diese vornehmlich im 19. Jahrhundert geprägten Villenviertel erkundet, begreift, warum Dresden als Dreiklang aus Stadt, Landschaft und Fluss gepriesen und von Investoren als Wirtschaftsstandort geschätzt wird.
Der Autor ist Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Dresden.