Residenzschloss
Beim Wiederaufbau setzen die Sachsen auf einen Mix aus wissenschaftlicher Rekonstruktion und Inszenierung
Dresdner können unglaublich stur sein, wenn es um die Geschichte der Stadt und ihre steinernen Zeugen geht. Das gilt besonders für die Bauten des augusteischen Zeitalters der sächsischen Geschichte im späten 17. und 18. Jahrhundert, als den Wettinerfürsten kein Schloss und keine funkelnde Pretiose zu teuer waren. Macht und Bedeutung wurde in Sachsen stets mit Prunk demonstriert, nicht mit militärischen Muskelspielen. Diese Eigenart muss man kennen, um zu begreifen, warum die Dresdner so vehement um den Erhalt ihres kulturhistorischen Erbes kämpfen.
Beim Dresdner Residenzschloss, das nach 1230 als Kastell angelegt und im Laufe der Jahrhunderte ständig erweitert und umgebaut wurde, bevor es durch den Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges völlig ausbrannte, gilt das in besonderem Maße. "Das sozialistische Dresden braucht weder Kirchen noch Barockfassaden", lautete das Credo des ersten Nachkriegsbürgermeisters Walter Weidauer, der damit ganz auf Parteilinie lag. Örtliche Kunsthistoriker und Denkmalpfleger wie Fritz Löffler, Hans Nadler und später Gerhard Glaser versuchten, so gut es ging dagegenzuhalten.
Sie sorgten dafür, dass die Ruine gesichert wurde und legten Konzepte für den Wiederaufbau des Schlosses vor. Auf die Idee, hier Museen für die Dresdner Kunstsammlungen einziehen zu lassen, kam Landespfleger Hans Nadler, als Moskau 1960 die Rückgabe sämtlicher konfiszierter Dresdner Kunstschätze ankündigte. Erst 1986 aber sollte nach entsprechenden Beschlüssen von ZK der SED und DDR-Ministerrat mit der planvollen Wiederherstellung des Residenzschlosses begonnen werden. Die finanziellen Mittel reichten jedoch nicht aus - immer wieder geriet das Projekt ins Stocken. Bis mit der politischen Wende auch frisches Geld auf dem Tisch lag.
Gleich am 26. März 1990 kamen durch eine Benefiz-Veranstaltung im Fußball-Stadion 1,5 Millionen Mark zusammen. Als im Oktober 1991 dem inzwischen sanierten Wahrzeichen des Schlosses, dem Hausmannsturm, die Turmspitze aufgesetzt wurde, hatten viele Dresdner Tränen in den Augen - trotz aller existenziellen Ängste und Unsicherheiten, die den Einzelnen in jener Zeit gewärtig waren.
Die sprichwörtliche sächsische Schläue bekamen aber auch die neuen "Regenten" zu spüren. In den turbulenten Zeiten der Wiedererrichtung des demokratisch verfassten Freistaates machten die Dresdner Nägel mit Köpfen und begannen am Giebel des Westflügels im Großen Schlosshof mit aufwändigen Sgrafitto-Malereien. "Muss das sein?", fragte man sich im Finanzministerium, aber der Leiter des Staatshochbauamtes verwies auf die zweckgebundenen Spendengelder für genau jene teuren illusionistischen Ausschmückungen, die im 16. Jahrhundert den Innenhof des Schlosses geziert hatten.
"Darf das sein?", fragten Denkmalschützer, die darauf verwiesen, dass die Renaissance-Malereien beim Schlossbrand im Jahre 1701 nahezu vollständig vernichtet worden waren. In welchem Zustand sollte denn die einstige Wettiner-Residenz überhaupt wieder aufgebaut werden? Darüber entbrannte ein heftiger Streit.
Konservieren statt restaurieren war das Credo des Nestors der Denkmalpflege, Georg Dehio, im frühen 20. Jahrhundert. "Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von historischer Pietät", schrieb er. Nach dieser reinen Lehre hätte das Residenzschloss nach dem Erscheinungsbild aufgebaut werden müssen, das es vor seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hatte und das ausführlich dokumentiert ist. Doch in Dresden wollte man es prächtiger, wollte wenigstens in Teilen eine Anmutung des höfischen Glanzes erfahrbar machen, die Friedrich August I. ("der Starke") und sein Sohn Friedrich August II. dort entfaltet hatten. So entschied man sich für einen Mix aus wissenschaftlicher Rekonstruktion und Inszenierung.
Für Schloss-Bauleiter Ludwig Coulin ist das völlig in Ordnung: "Das ist der Dresdner Weg, wie man ihn beim Wiederaufbau von Semperoper, Zwinger und Frauenkirche beschritten hat." Nach außen 19. Jahrhundert, im Innenbereich 16. Jahrhundert, mit dieser Fassadenstruktur kann er leben. Die Ausgestaltung orientiert sich an Originalsubstanz, Überlieferungen und Nachempfundenen.
Bis 2013 soll das Dresdner Residenzschloss fertig saniert sein. 337 Millionen Euro wird Sachsens größte und anspruchsvollste Baustelle dann verschlungen haben. "Das Schloss als Symbol für den Wiederaufbau der Kultur, das ist uns unsere Geschichte wert", sagt selbst der sonst so sparsame Finanzminister des Freistaates, Horst Metz. Denn dass sich mit höfischem Glanz auch heute nicht nur Eindruck, sondern auch Umsatz machen lässt, ist Sachsens Staatsregierung nicht entgangen. Als Museumsschloss soll die einstige Residenz im europäischen Maßstab ganz vorne mithalten können, ein "sächsischer Louvre" für die Staatlichen Kunstsammlungen werden.
Mit der aufwändigen Rekonstruktion des Historischen Grünen Gewölbes ist diese Einmaligkeit bereits gelungen. Die elf Räume im Westflügel des Schlosses, von August dem Starken 1723 als Schatzkammer eingerichtet, bieten dem Besucher eine barocke Pracht dar, die weniger in den ausgestellten Pretiosen als in der Ausstattung und Anordnung der Räume besteht. "Die Rekonstruktion hier ist archäologisch korrekter als bei der Frauenkirche", sagt Bauleiter Ludwig Coulin nicht ohne Stolz.
Die 300 Jahre alte Holztäfelung zweier Ausstellungsräume hatte den Bombenkrieg zwar weitgehend überstanden, weniger allerdings den Schwammbefall und Konservierungsversuche mit harten Chemikalien. Wo es möglich war, wurde bei der Rekons-truktion die Oberschicht fünf Millimeter dünn abgenommen und auf neue Holzträger aufgebracht. An der Patina lassen sich nun die Originalteile von den nachgebauten im malachitgrünen und zinnoberroten Zimmer unterscheiden.
Im Elfenbeinkabinett hatte schon August der Starke mit der Illusion gespielt. Zwölf verschiedenfarbige Marmorsorten waren hier bei der Wandbemalung imitiert worden. Der Restaurator musste sich hier durch Einfühlungsvermögen an den gewünschten Effekt herantasten. Ähnlich erging es dem Glaser Steffen Noack aus Weißwasser. Damit die Ausstellungsstücke im verspiegelten Pretiosensaal so glänzen wie zu Zeiten des Barock, sollte er "alte" Quecksilberspiegelwände herstellen. Für den Umgang mit dem giftigen Material benötigte er nicht nur eine Sondergenehmigung, sondern auch wochenlange Versuche, in denen er sich die notwendige Arbeitstechnik selbst beibringen musste.
Jenseits der barocken Glanzzeiten bewegt sich die Rekonstruktion auf der "Fest-Etage" im zweiten Obergeschoss des Ostflügels der Schlossanlage. Der "Riesensaal" entsteht in seiner ursprünglichen Kubatur aus dem 16.Jahrhundert wieder neu: 60 Meter lang, elf Meter breit und neun Meter hoch. Nach dem Schlossbrand von 1701 war er verkleinert worden, doch in der größeren Renaissance-Version eignet er sich nun besonders für die Präsentation der kurfürstlichen Harnische. Komplette Turnierszenen sollen hier künftig dargestellt werden. Der Aufgang zur Beletage hingegen, die am 13. Februar 1945 zerstörte Englische Treppe, soll in einer reich mit Stuck verzierten Fassung des 19. Jahrhunderts wiederentstehen und dann der Hauptzugang zu den Museen der Staatlichen Kunstsammlungen werden.
Auf diese Weise wird der Besuch im Dresdner Residenzschloss zu einem Gang durch die Geschichte des Gebäudes, bei dem auch die Moderne ihr Recht einfordert. Das Neue Grüne Gewölbe ist bereits ein moderner Ausstellungsbereich. Mit der Überdachung des Kleinen Schlosshofes, der so zum zentralen Museumsfoyer wird, verlangt die Schlossrekonstruktion allerdings den Puristen der Denkmalpflege das größte Zugeständnis ab. Der Architekt Peter Kulka setzt ein Netzgewölbe aus durchsichtigen Kunststoffkissen wie einen Schirm auf die Dachfirste. Für Bauleiter Coulin kein Problem: "Das Netzgewölbe hat fast gotische Qualität."
Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.