STAATSFINANZEN
Im »Ländle« mündet die Einführung eines betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens in ein Fiasko
Die größte Geldverschwendung in der Landesgeschichte: ein böser Vorwurf. Würde die Opposition im Parlament einen solchen Angriff starten, so würde sich niemand wundern. In diesem Fall kommt die Attacke indes sozusagen mit amtlichem Siegel vom baden-württembergischen Rechnungshof, einer scharfen Tönen gemeinhin eher abholden Instanz: Es gebe nichts Vergleichbares zu den Fehlin- vestitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro für die Einführung betriebswirtschaftlicher Methoden in der Landesverwaltung, kritisiert Direktor Dieter Kiefer schonungslos. Den immensen Kosten für dieses System stünden keine nennenswerten Einsparungen gegenüber, so das Fazit der vernichtenden Analyse. In den Sand gesetzt wurde bislang die satte Summe von rund 300 Millionen Euro - und dies in Zeiten, wo auch im reichen Südwesten angesichts eines über Jahrzehnte angehäuften Schuldenbergs von über 40 Milliarden Euro der Rotstift regiert.
Pikant: Gerade bei den im Ruf haushälterischer Solidität stehenden Schwaben endet ein auf finanzielle Effizienz zielendes Sparprojekt im Fiasko seines glatten Gegenteils. Kiefer konstatiert eine "seltsame Mischung aus naivem Fortschrittsglauben und politischem Aktionismus" und prangert eine "kritiklose Übernahme modernistisch formulierter Beraterklischees" an.
Das Zauberwort heißt NSI, das über Baden-Württemberg hinaus als Lehrstück für die Vergeudung von Steuergeldern als Folge eines wenig professionellen Vorgehens gelten kann. NSI ist das Kürzel für "Neue Steuerungsin- strumente", womit Methoden der privaten Wirtschaft umschrieben werden: Kosten-Leistungs-Rechnungen, eigene Budget-Verantwortung bei Behörden, ein Controlling sowie ein Führungsinformationssystem. Als 1999/2000 unter CDU-Kabinettschef Erwin Teufel, dem seinerzeitigen Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder sowie dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden und heutigen Regenten Günther Oettinger NSI mit viel PR-Getöse angepackt wurde, war stolz von einem Jahrhundertprojekt die Rede. Ein "neues Zeitalter in der Landesverwaltung" wurde beschworen. Warnungen von Experten, aus der Verwaltung, seitens der Opposition und auch des Rechnungshofs wurden in den Wind geschlagen.
Allein die Investitionen zum Start des bislang teuersten Vorhabens der Landesverwaltung betrugen 220 Millionen Euro. Hinzu addiert werden müssen Kosten für den laufenden Betrieb, die sich laut Rechnungshof inzwischen auf 30 Millionen Euro im Jahr summieren - und nicht einmal diese Aufwendungen würden durch NSI vollständig gedeckt. Nach den einstigen Ankündigungen Teufels und Mayer-Vorfelders sollte sich die NSI-Reform bis 2010 durch die Einsparung von 3500 Planstellen und von Sachmitteln amortisieren: Schließlich wollte man ja die Verwaltungsarbeit transparenter, effektiver und überprüfbarer machen, um so Ausgaben mindern zu können. Kiefers Prüfer fanden freilich heraus, dass bislang erst rund 50 Stellen im Zusammenhang mit NSI gestrichen wurden, zeitweise aber 250 neu geschaffen worden waren. Allein das Controlling verursache jährlich 15 Millionen Euro an Personalkosten. Vom computergestützten Haushaltsmanagementsystem und von der Anlagenbuchhaltung abgesehen, habe NSI "bisher wenig Wirkung" entfaltet, moniert Kiefer.
Die Rechnungsprüfer belassen es in ihrer Expertise nicht bei einer finanziellen Gesamtbilanz, sondern spüren überdies den Gründen des Fehlschlags nach - Erkenntnisse, die auch andernorts als Lehrmaterial dienen können. Als Hauptursache des Debakels wird die "flächendeckende und gleichzeitige Einführung von NSI in 1200 Dienststellen mit mehr als 110.000 Mitarbeitern" aufs Korn genommen: Dabei seien die unterschiedlichen Anforderungen der diversen Behörden außer Acht gelassen worden.
Dereinst hatten Kritiker - vergeblich - verlangt, die mit den Mechanismen einer Verwaltung nun mal nicht auf Anhieb kompatible Praxis der Privatwirtschaft zunächst bei einzelnen Pilotvorhaben zu testen.
Ein anderes Manko aus Sicht des Rechnungshofs: Die Amtsleitungen von Ministerien, Regierungspräsidien, Finanzdirektionen und anderen zentralen Behörden hätten sich nicht ausreichend für das Projekt engagiert. Eine Rolle spiele dabei auch eine zu geringe Veränderungsbereitschaft in der Verwaltung. Die NSI-Schulungen hätten weitgehend an den Bedürfnissen von Behörden vorbeigezielt.
Manchmal weiß die eine Hand nicht, was die andere tut: Auf diesen Punkt lässt sich eine andere Kritik des Rechnungshofs bringen. Nur wenige Jahre nach dem Beginn von NSI vollzog Teufel nämlich eine weit reichende Verwaltungsreform, deren Kern die Verlagerung vieler Aufgaben vom Land auf Städte und Kreise war. Damit fielen zahlreiche Behörden aus dem neuen Rechnungswesen wieder heraus, NSI wurde so in Teilbereichen die Grundlage entzogen. Offenbar wurden die Auswirkungen der Verwaltungsreform auf NSI nicht umfassend ins Kalkül gezogen.
Dieser Tage stellte der Rechnungshof seinen spektakulären Bericht offiziell vor. In die Öffentlichkeit gelangt war Kritisches indes schon zuvor, und so wird um die Verantwortung der Regierung und um die Konsequenzen aus dem Debakel nicht erst jetzt gestritten. Böses Blut angesichts des Millionengrabs kocht besonders wegen der Sparpolitik hoch. So wurden etwa die Sonder- zahlungen für Beamte gekappt. Volker Stich, Vorsitzender des Beamtenbunds Baden-Württemberg, ärgert sich, dass Millionen aus dem Fenster geworfen würden und man gleichzeitig den Bediensteten in die Tasche greife: "Bei den Beamten sparen, um NSI zu finanzieren, da spielen wir nicht länger mit." Das Land verschleudere riesige Summen, empört sich der DGB-Landesvorsitzende Rainer Bliesener, während den Beschäftigten Abstriche bei der Besoldung zugemutet würden.
Der Rechnungshof kommt zum Ergebnis, dass wegen des ausbleibenden Erfolgs von NSI dieses System nun aus dem allgemeinen Stellenabbau mitfinanziert werde, der wiederum auf der Durchsetzung der 41-Stunden-Woche für Beamte fußt: Die mit Hilfe dieser Arbeitszeitverlängerung bewirkten Einsparungen können somit nicht voll zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden. Das NSI-Desaster rückt auch andere Einschnitte in ein unschönes Licht. So überweist das Land dieses Jahr fast 400 Millionen Euro weniger an die Kommunen. Zu den beträchtlichen Einsparungen, die sämtliche Ressorts erbringen müssen, hat das Kultusministerium rund 80 Millionen beizusteuern - und diese Summe resultiert vor allem aus der Nichtbesetzung von über 500 frei werdenden Lehrerstellen.
Der Opposition fällt es leicht, zum Angriff zu blasen. SPD-Fraktionsvize Nils Schmid sieht im Urteil des Rechnungshofs "eine schallende Ohrfeige für die Regierung" und geißelt eine "Geldvernichtungsmaschine ungeahnten Ausmaßes". Aus Sicht der SPD wurde das NSI-Projekt von Anfang an in den Sand gesetzt und müsse nun gestoppt werden. Von einem Flop spricht Oswald Metzger, Finanzpolitiker der Grünen: "NSI war der Versuch, mit einer neuen Kutsche und den alten Pferden schneller zu fahren - das musste scheitern." Fraktionskollegin Theresia Bauer meint, nach dem "Totalverriss" durch den Rechnungshof sei das Modell "mausetot". Für FDP-Fraktionsvize Michael Theurer, dessen Partei mit der CDU koaliert, ist die Reform eine positive Sache, die aber weithin schlecht umgesetzt worden sei.
Nach einigem Zögern räumte auch Minis- terpräsident Oettinger Fehler ein: "Das Projekt war zu ehrgeizig, zu voluminös, zu breit gefächert", auch wenn es im Kern richtig sei. Der Kabinettschef: "Die Verantwortung dafür übernehme ich."
Als der Konflikt um NSI zu köcheln begann, hatte der CDU-Politiker zunächst darauf hingewiesen, dass er einst als Fraktionsvorsitzender unter den Skeptikern gewesen sei: Er habe damals seine Bedenken "sehr nachhaltig deutlich gemacht".
Was aus NSI wird, ist offen. Die Regierung will die Aufwendungen für das Projekt vermindern, die Landesbediensteten sollen für dieses System stärker motiviert werden. Finanzminister Gerhard Stratthaus sieht Anlaufschwierigkeiten: Die Instrumente funktionierten noch nicht so, wie das zu wünschen sei. Der CDU-Politiker will aber am Prinzip der betriebswirtschaftlichen Steuerung festhalten. Stratthaus lehnt es ab, NSI auf die Ressorts Justiz, Innen und Finanzen zu beschränken, wie dies der Rechnungshof fordert.
Für Kiefers Prüfer gilt das Ressort von Justizminister Ulrich Goll (FDP) als positives Beispiel, dass dieses Modell auch gelingen kann: Dort sei ein von den Beschäftigten mitgetragenes effektives Steuerungs- und Controllingsystem installiert worden. Das hat aber offenbar auch damit zu tun, dass sich das Ministerium vom NSI-Projekt in gewissem Maße abgekoppelt und Eigenständiges entwickelt hat.