UNTERNEHMENSTEUERREFORM
Kapitalgesellschaften werden entlastet. Um die Gegenfinanzierung gibt es Streit. Der Mittelstand fürchtet, für die "Großen" die Zeche zahlen zu müssen.
Auch kleine Schnitte können wehtun. Oder sogar richtig "ins Fleisch schneiden", wie es der Münchner Steuerrechtler Wolfgang Schön ausdrückte. Der Professor war einer von 70 Sachverständigen, die der Finanzausschuss am 25. April zu einer siebenstündigen öffentlichen Anhörung nach Berlin eingeladen hatte. Thema: die Unternehmensteuerreform ( 16/4841 ), die der Bundestag am 25. Mai verabschieden will und die 2008 in Kraft treten soll.
Dass die Bundesregierung den Körperschaftsteuersatz von 25 auf 15 Prozent senken will, stieß im Expertenkreis kaum auf Widerspruch. Damit rückt Deutschland im europäischen Vergleich von einem Spitzenplatz ins Mittelfeld vor, wird also für ausländische Investoren attraktiver. Denn die schauen sich die Steuersätze an. Nur welche? Die nominalen, sagte Hans-Herbert Krebühl als Vertreter der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland. Die effektiven, hielt der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel dagegen. Hickel argumentierte, dass in Deutschland die Steuersätze zwar traditionell hoch seien, die tatsächliche, also effektive Steuerlast sich aber durch Gestaltungsmöglichkeiten deutlich senken lasse.
Dass dies anders wird, ist eines der Ziele dieser Steuerreform. Runter mit den nominalen Steuersätzen, dafür aber weniger Gestaltungsmöglichkeiten. Oder, wie es die Experten ausdrücken: die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung muss sich verbreitern. Auf rund 5 Milliarden Euro will Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) im Jahresdurchschnitt verzichten, so viel darf die Reform kosten. Mehr nicht. Und deshalb muss an ein paar Stellschrauben gedreht werden, damit an anderer Stelle mehr Geld als bisher an den Fiskus zurückfließt. Gegenfinanzierung heißt das.
So sehr die Sachverständigen die Entlastung der Unternehmen beim Steuersatz lobten, so sehr beklagten sie im Einzelfall auch die Gegenfinanzierung, die für manche doch über das Ziel hinaus schießt, zum Teil sogar "brutal" ist, wie der Bonner Professor Harald Schaumburg meinte.
Zentrales Element der Gegenfinanzierung ist die so genannte Zinsschranke. Danach sollen Zinsaufwendungen ab 2008 nur noch in Höhe von bis zu 30 Prozent des Gewinns steuerlich abzugsfähig sein. Die Erfahrung war, dass deutsche Konzerntöchter häufig von ihren ausländischen Muttergesellschaften in großem Umfang Kredite aufgenommen und die Zinsen dafür mit ihren Gewinnen verrechnet haben. Die Regierung hat darin eine missbräuchliche Steuergestaltung gesehen, die dem deutschen Fiskus Steueraufkommen entzieht.
Damit die Zinsschranke nicht zu heftig wirkt, gibt es eine Freigrenze. Der Zinsaufwand darf die Zinserträge um maximal eine Million Euro übersteigen, ehe die Schranke greift. Dadurch werden die meisten kleineren Unternehmen von ihr gar nicht erfasst.
Professor Schön hält es für möglich, dass das Bundesverfassungsgericht sowohl bei der Zinsschranke als auch bei den geplanten Einschränkungen von Verlustverrechnungsmöglichkeiten einschreitet. Er sieht dadurch das Nettoprinzip, also die Besteuerung des netto verbleibenden Gewinns, verletzt. Schöns Professorenkollege Stefan Homburg aus Hannover meinte sogar, dass nach dieser Reform in Deutschland nicht mehr nach der Leistungsfähigkeit, sondern nach der Qualität des jeweiligen Steuerberaters besteuert werde. Der Wiesbadener Ökonom Professor Lorenz Jarass bemängelte, dass das Steuerrecht noch komplizierter werde und die Gegenfinanzierung zu Lasten des Mittelstands gehe. Rudolf Hickel sieht in der Reform vor allem eine Schwächung der Finanzkraft der öffentlichen Haushalte.
Die Vertreter der Wirtschaft machten sich dafür stark, die Gegenfinanzierung an der einen oder anderen Stelle noch zu entschärfen. So signalisierte Bernd Jonas vom Bundesverband der Deutschen Indus-trie "Handlungsbedarf" bei der Höhe der abzugsfähigen Zinsen im Rahmen der Zinsschranke. Alfons Kühn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag sprach aus, was der deutsche Mittelstand will: ein einfacheres Steuerrecht, Planungs- und Rechtssicherheit. Dies biete die Reform nicht, dafür aber viele Belastungen für den gewerblichen Mittelstand.
Um dem Mittelstand entgegenzukommen, will die Regierung unter anderem einen Investitionsabzugsbetrag und eine "Thesaurierungsbegünstigung" einführen. Letztere räumt Personenunternehmen die Wahl ein, Gewinne sofort zu entnehmen und mit dem normalen Einkommensteuersatz zu versteuern oder sie zunächst einzubehalten ("thesaurieren") und mit einem niedrigeren Sondertarif zu belegen. Werden aus dieser Rücklage Gewinne später entnommen, so müssen sie nachversteuert werden. Dadurch soll sich die Steuerlast von Kapital- und Personengesellschaften annähern.
Eine von der Rechtsform des Unternehmens unabhängige und daher neutrale Besteuerung ist nach Ansicht von Professor Schaumburg "technisch kaum machbar". Joachim Schramm von der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer fürchtet daher eine Flucht aus der Personengesellschaft: "Unsere Personengesellschaften haben einen Großteil der Gegenfinanzierung zu bezahlen."