EMISSIONSHANDEL
Der Streit um den Ausstoß von Treibhausgasen geht weiter
Der Handel mit Emissionszertifikaten für das Klimagas Kohlendioxid (CO2) wird ab 2008 einfacher und wirksamer. Umwelt- und Wirtschaftsminister haben sich im Kabinett auf Regeln geeinigt, wie Deutschland bis 2012 seinen Ausstoß an klimaschädlichem CO2 um 21 Prozent gegenüber 1990 vermindert. Die Zustimmung der EU-Kommission zu den deutschen Vorschlägen gilt als sicher. Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Weg zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgas vergiften aber weiter das Klima in der Koalition und auch zwischen Politik und Wirtschaft.
Die Europäische Union hat sich auf Betreiben der Bundesregierung zum Ziel gesetzt, den jährlichen -Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Deutschland hat gleich zu Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft zugesagt, sogar 40 Prozent einzusparen, wenn auch die übrigen Industrieländer mitziehen. Keiner weiß aber bisher, wie den hehren Worten Taten folgen sollen. Heftig war und ist immer noch der Streit um die Neuverteilung der nationalen Klimaschutzlasten für den Zeitraum 2008 bis 2012.
Die vom europäischen Emissionshandelssystem erfassten Energieanlagen dürfen nach dem vom Bundeskabinett gefundenen Kompromiss in diesem Zeitraum pro Jahr nur noch 453 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Das sind rund 80 Millionen Tonnen weniger als in der ersten Phase des Handelssystems, die von 2005 bis Ende 2007 läuft. Wirtschaftszweige, die sich durch hohe Energieintensität auszeichnen oder im intensiven Wettbewerb auf den Weltmärkten stehen, werden geschont und müssen ihren CO2-Ausstoß lediglich um 1,25 Prozent senken. Die Hauptlast der Reduktion trägt die Energiewirtschaft, weil sie nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist und zudem die größten Emissionen aufweist. "Für Kraftwerke ist in kürzester Zeit ein an objektiven Maßstäben ausgerichtetes ambitioniertes Benchmark-System geschaffen worden", erklärt Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD). Dahinter verbergen sich Emissionshöchstmengen von 365 Gramm CO2 je Kilowattstunde Strom für Gaskraftwerke und 750 Gramm CO2 für Kohlekraftwerke. Diese Werte können nur modernste Anlagen mit hohen Wirkungsgraden erreichen. Ältere Kraftwerke erhalten künftig weniger Emissionszertifikate als sie benötigen; wollen sie ihre Stromerzeugung nicht drosseln, müssen Zertifikate zugekauft werden. Bei besonders uneffizienten Anlagen kann der Zukauf so teuer werden, dass sich die Stillegung der Anlage und der Bau eines neuen Kraftwerks lohnen.
Zu den ersten, die von diesem Mechanismus getroffen werden, zählen die Betreiber älterer Braunkohlekraftwerke. Braunkohle ist der einzige nationale Energieträger, der wirtschaftlich gewonnen werden kann und von dem es ausreichende Reserven gibt. So gilt Braunkohlestrom als preiswert. Allerdings stoßen die Kraftwerke besonders viel Kohlenstoff aus. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) forderte bis zuletzt einen eigenen Emissionswert (Benchmark) für die Braunkohle in der Größenordnung von 950 Gramm CO2 je Kilowattstunde. Doch das hätte die innerhalb der EU abgegebene "Garantieerklärung zum Klimaschutz mächtig ins Wackeln gebracht", wie Teilnehmer der Gespräche zwischen Glos und Gabriel verrieten.
Die stellvertretende Chefin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katherina Reiche, will das nicht hinnehmen. Sie meint, an die Braunkohle dürfe nicht dasselbe Maß angelegt werden wie an die Steinkohle. In Braunkohlekraftwerken sei mit heutiger Technik keine stärkere Drosselung des CO2-Ausstoßes möglich.
Allerdings hält die Einigung zwischen den Ministerien für die Braunkohle einige Trostpflaster parat: Moderne Kraftwerke, die vor dem Beginn des Emissionshandels errichtet wurden, erhalten auch zukünftig alle für den Betrieb notwendigen Zertifikate. Diese Regelung begünstigt vornehmlich die in Ostdeutschland betriebenen Braunkohlekraftwerke. Bei Neuanlagen wird angenommen, dass sie praktisch das ganze Jahr ohne Unterbrechung laufen. Dadurch erhöht sich rechnerisch die Emissionshöchstmenge auf 825 Gramm CO2 je Kilowattstunde Strom.
Weitere Vergünstigungen will die SPD der Braunkohle nicht zugestehen. "Wir werden den Kompromiss hier nicht mehr aufmachen", sagt Ulrich Kelber, der Umweltexperte der Fraktion. Umweltverbände werfen Minister Gabriel vor, bereits jetzt eine "Bevorzugung von Braunkohlekraftwerken durch die Hintertür" hingenommen zu haben. So gebe es Zugeständnisse ausgerechnet für die klimaschädlichsten Kraftwerke. Die Grünen fordern gleich, den Bau neuer Kohlekraftwerke aus Gründen des Klimaschutzes ganz zu stoppen.
Und die Wirtschaft? In Deutschland sind in den nächsten Jahren über 40 neue Kraftwerke geplant. Die Energiewirtschaft schätzt ihre Ausgaben für Kraftwerke und für den Ausbau der Netze auf annähernd 80 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Hierfür mahnen die Unternehmen bei der Politik schon lange investitionsfreundliche Rahmenbedingungen an. Die Verschärfung des Klimaschutzes bringt die Konzerne dazu, ihre Investitionspläne zu überdenken. "Wir können die Benachteiligung der Braunkohle nicht verstehen", heißt es etwa beim RWE-Konzern. Moderne Braunkohlenkraftwerke stießen 30 Prozent weniger CO2 aus als die alten Anlagen.
Der Kabinettsbeschluss muss jetzt vom Deutschen Bundestag als Zuteilungsgesetz 2012 verabschiedet werden. Angesichts der Kritik am Kabinettskompromiss ist das mehr als eine Formsache. Auch über andere Aspekte des künftigen Emissionshandels herrscht unverändert Uneinigkeit.
Bis zu zehn Prozent der Emissionszertifikate dürfen zum Beispiel nach der europäischen Emissionshandelsrichtlinie auf dem Wege einer Versteigerung ausgegeben werden. Im deutschen Gesetzesvorschlag steht nichts von Auktionen. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch über dieses Instrument Streit geben könnte. Beim Preis von 16 Euro je Tonne, wie er an den Börsen für das kommende Jahr angesetzt wird, locken schließlich Einnahmen von annähernd 700 Millionen Euro.