Polen und Deutschland
Ein gelungenes Schulbuch zur deutsch-polnischen Geschichte
Der Kenntnisstand über Polen in Deutschland steht häufig im umgekehrten Verhältnis zu dem, was Polen über Deutsche wissen. Diese Asymetrie hat viele Gründe. Erstaunlich ist aber, dass seit Öffnung der Grenzen Polen nach wie vor nicht im vorderen Interesse der Deutschen steht. Das belegen auch die verhältnismäßig bescheidenen Zahlen von Reisenden in das Nachbarland. Dabei ist es eine Binsenwahrheit, dass Konfliktfelder des deutsch-polnischen Verhältnisses in der Regel nur dann verständlich werden, wenn Hintergrundwissen verfügbar ist. Ein Blick auf die derzeit angespannten deutschen-polnischen Beziehungen verdeutlicht das Problem.
Aus diesen angedeuteten Gründen ist es für die Information der Bürger wichtig, dass in den deutschen Medien das Nachbarland in angemessener Weise berücksichtigt wird. Dies tun neben anderen die Bundeszentrale für politische Bildung und der Cornelsen-Schulbuchverlag in Berlin. Bereits 2003 stellte er einen Band zum Thema "Polnische Literatur und deutsch-polnische Literaturbeziehungen" vor und im Sommer 2007 folgte der Titel "Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen". Inhaltlich verantwortlich für beide Publikationen ist das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt, finanziell gefördert werden sie von der Robert Bosch-Stiftung.
Literatur und Geschichte sind zentrale Themenkreise für das Verständnis der Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses. Vornehmlich in der Literatur können bekannte Werke unübersehbare Seismographen für das innere Klima einer Nation sein. Der aktuelle Geschichtsband behandelt in einzelnen Kapiteln wichtige Abschnitte der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart: es werden unter anderem thematisiert die Ostsiedlung, der Mythos des Deutschen Ordens, die Teilungen, das Hambacher Fest, Deutschland und Polen nach dem Versailler Vertrag, der NS-Besatzungsterror, Flucht und Vertreibung sowie Polen und Deutschland nach 1989 - alles zentrale Themen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte.
Ein besonderes Kapitel behandelt das immer noch aktuelle Problem der Stereotypen: erfahrungsgemäß führen Vulgärbilder der Geschichte ein zähes Leben, man denke beispielsweise an das Stereotyp von der "Polnischen Wirtschaft".
Die Einführungen in die einzelnen Themen, ergänzt durch wichtige deutsche und polnische Quellen, sind illustriert mit zahlreichen Fotos und Karten - die Darstellungen der räumlichen Entwicklungen Polens im Laufe der Jahrhunderte sind für das Verständnis unverzichtbar. Hinzu kommen ausführliche weiterführende Literaturhinweise. Leider fehlt eine Darstellung über die kulturelle Bedeutung der verlorenen Ostgebiete als Teil der deutschen Geschichtslandschaft, die man auch weitgehend in deutschen Erdkunde- und Geschichtsbüchern vermisst.
Wenn auch primär für die Schulen konzipiert, bietet der Band doch zugleich für jeden Interessenten eine solide Einführung in die deutsch-polnische Geschichte. Von den Verfassern wurde das Buch erstmalig auf der Sitzung der gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchkommission Anfang Juni 2007 vorgestellt. Konsens unter den deutschen und polnischen Teilnehmern herrschte darüber, dass der Titel wie auch der Literaturband fachliche Grundlagen für ein zu erarbeitendes deutsch-polnisches Geschichtsbuch sein können. Dieses Projekt findet inzwischen Unterstützung unter anderem bei Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsidentin der Viadrina-Universität, Gesine Schwan. Eine klare Positionierung aus Polen fehlt allerdings noch, was angesichts der aktuellen Situation in Warschau allerdings nicht verwundert. Dabei könnte ein von beiden Seiten getragenes Geschichtsbuch, wie es auch mit Frankreich zustande kam, einen Brückenschlag zwischen den Schülergenerationen beiderseits der Grenze darstellen.
Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen.
Cornelsen Verlag, Berlin 2007; 191 S., 14,95 ¤