Familiengeschichte
Sohn und Enkel über Karl-Otto Saur
Wo Licht ist, ist auch Schatten", pflegte der ehemalige Amtsleiter des Rüstungsministeriums Karl-Otto Saur seinen Kindern nach 1945 immer zu sagen. Wenn in der Familie überhaupt einmal die Rede auf das Dritte Reich kam. Der zweite Mann hinter Albert Speer wollte sich teils aus Selbstschutz, teils aus Ignoranz nicht eingestehen, maßgeblich an der tödlichen Ausbeutung von Zwangsarbeitern und der unheilvollen Verlängerung des Krieges beteiligt gewesen zu sein. So er seinen engsten Angehörigen überhaupt von "damals" erzählte, rühmte sich der studierte Ingenieur vor allem seiner fachlichen wie organisatorischen Leistungen. Und auf Hitler, der ihn wegen seiner waffentechnischen Spezialkenntnisse schätzte und in seinem politischen Testament noch zum Rüstungsminister machte, ließ er nichts kommen. All das weiß sein jüngster Sohn zu berichten, der wie die Nachkommen Heinrich Himmlers, Baldur von Schirachs oder Hans Franks über sein "deutsches Familienerbe" nun publizistisch Rechenschaft ablegt.
Was diese sehr intimen Bekenntnisse von den Berichten anderer "Täter-Kinder" abhebt, ist nicht nur der analytische Scharfsinn, mit der er den charakterlosen Opportunismus seines Vaters seziert. Sondern auch die Tatsache, dass er in seiner eigenen Biografie schonungslos nach vererbten oder anerzogenen Persönlichkeitsdefiziten fahndet. Dabei gelegentlich auch fündig wird oder einfach erkennt, dass er sich wie viele seiner Generation einfach nur vom autoritären Vater absetzen wollte.
Die gleichen Fragen stellt sich auch sein Sohn Michael, der den Großvater zwar nicht mehr selbst erlebt hat, aber aus der Distanz heraus ein noch viel pointierteres Porträt der Familie und seines eigenes Vaters zu zeichnen vermag. Erst dieser Perspektivenwechsel macht aus diesem Buch ein besonders vielschichtiges und dank seiner journalistisch wie literarisch geschulten Autoren ein überaus lesbares. Trotz zahlreicher Details über das eigene Verhältnis zu Frauen, Vorbildern oder Juden versinkt es nicht in sentimentalen oder peinlichen Anekdoten. Jede Geschichte, jeder Gedanke in dieser Familienbeichte bestätigt letztlich die These, dass sich historische Schuld nicht auf die nachfolgenden Generationen vererbt. Wohl aber zur ständigen Überprüfung des eigenen Standpunkts und des eigenen Charakters mahnt. Und das ist in diesem Psychogramm äußerst erhellend und angenehm individuell geschehen.
Er stand in Hitlers Testament. Ein deutsches Familienerbe.
Econ Verlag, Berlin 2007; 240 S., 19,90 ¤