MITTELMEERUNION
Vorerst ist der Streit um eine neue EU-Partnerschaft beigelegt. Frankreich beharrt aber auf Sonderrolle
Nun hat der Frühjahrsgipfel kommendes Wochenende in Brüssel doch sein Streitthema. Die Regierungschefs aus den Mitgliedstaaten der EU dürfen gespannt sein, welches gemeinsame Konzept Deutschland und Frankreich für die von Nicolas Sarkozy befürwortete Mittelmeerunion vorschlagen werden. Am 3. März hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Nicolas Sarkozy (UMP) am Rande der Computermesse Cebit in Hannover darauf geeinigt, eine regelmäßige Konferenz der Mittelmeeranrainer "als europäisches Projekt" einzurichten - also unter Beteiligung aller EU-Staaten.
Einen Tag später sagte Frankreichs Premier Francois Fillon hingegen, der neue Club solle nach dem Vorbild des Ostseerates konstruiert werden. In dem Gremium der Ostseeanrainer spiele Deutschland eine besondere Rolle und Frankreich habe nur Beobachterstatus, erklärte Fillon dem Pariser Radiosender Europe 1. Berlin solle umgekehrt anerkennen, "dass Frankreich und die Anrainerstaaten des Mittelmeers eine besondere Rolle bei der Umsetzung der Mittelmeerunion spielen müssen".
Welche Strukturen die neue Union haben soll, auf welcher politischen Ebene die Treffen stattfinden und wer die Finanzierung übernimmt, ist noch völlig unklar. Einen Tag vor dem Treffen Merkel-Sarkozy hatte Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner betont, man habe noch nicht darüber gesprochen, ob EU-Mittel dafür eingesetzt werden sollen. "Eins ist klar: Zugang zu EU-Mitteln wird es nur geben, wenn der Rat auf Vorschlag der Kommission eine entsprechende Entscheidung trifft," sagte Kouchners Sprecherin Pascale Andréani.
Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten steht Sarkozys "mediteranen Traum" aber skeptisch gegenüber. Schon 2005 hatte er bei einem Besuch in Rabat darüber gesprochen. Vor einem Jahr hatte der umtriebige Franzose die Idee während seines Wahlkampfs weiter gesponnen: Eine neue Union unter französischer Führung solle entstehen - nach dem Vorbild der G8-Gipfel, mit Italien und Spanien auf europäischer Seite und der Türkei sowie den afrikanischen Mittelmeerländern Marokko, Algerien, Libyen, Ägypten, Jordanien und vielleicht auch den Golfstaaten auf afrikanischer und asiatischer Seite.
Bei einer Rede 2007 in Toulon wurde Sarkozy konkreter: Der neue "Mittelmeer-Rat" solle eine ähnliche Struktur wie die EU haben und über die derzeitigen Themenfelder des Barcelona-Prozesses hinausreichen. Durch ihre Hinwendung zu Osteuropa habe die EU ihre Mittelmeerpolitik vernachlässigt. Nun müsse der Dialog wiederbelebt werden - in Bereichen wie Energie, Handel, Bildung, Wanderungsbewegungen, dem Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität und Rechtsstaatlichkeit. Besondere Bedeutung komme dem Umweltschutz zu, um, wie Sarkozy formulierte, aus dem Mittelmeer "das sauberste Meer der Welt" zu machen. Doch nicht einmal in Madrid und Rom stieß der Plan auf Begeisterung. London erklärte, es werde keinen zusätzlichen Cent dafür freigeben.
Rosa Balfour vom renommierten "European Policy Centre" schrieb: "Wenn dieses Beispiel Schule macht, könnte dies eine ‚Regionalisierung' der EU-Außenpolitik zur Folge haben, wo Gruppen von Mitgliedstaaten sich zusammentun, um EU-Initiativen in bestimmten Regionen durchzuführen. In der europäischen Verteidigungspolitik ist diese Entwicklung bereits bei Friedensmissionen zu beobachten, nicht aber in der eigentlichen EU-Außenpolitik."
Auch im Europaparlament machte sich Sarkozy mit dem Plan keine Freunde. Das sei ein "typischer Sarkozy", kommentierte Vural Öger von den deutschen Sozialdemokraten: "Rausgeplatzt und nicht durchdacht." Frankreich gehe es nur darum, in der erweiterten EU wieder mehr mitzureden und die Türkei in eine Parallelstruktur abzuschieben. Die aber sei daran nicht interessiert. Die anderen Mittelmeeranrainer hätten sehr unterschiedliche Ziele. Algerien mit seinen Öl- und Gasvorkommen betrachte sich als gleichberechtigter Handelspartner. Marokko strebe bilaterale Abkommen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung an. Die meisten nordafrikanischen Länder ziehe es mehr zur Arabischen Liga als zur Europäischen Union.
Sehr wichtig sei es, den Barcelona-Prozess der EU neu zu beleben. Er wurde 1995 ins Leben gerufen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung in der Region zu fördern. Öger sieht eine Freihandelszone als ersten Schritt, um die Mittelmeerstaaten in einer Wirtschaftsunion an die EU zu binden.
Im Europaparlament befürchtet man, Sarkozys Plan könne Europas Image als Hüterin der Menschenrechte beschädigen. Der Barcelona-Prozess umfasst neben wirtschaftlichen Fragen den Dialog über politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit und versucht die Zivilgesellschaft zu fördern. Bislang verlangte die EU von allen Partnern des Barcelona-Prozesses, dass sie die UN-Charta für Menschenrechte unterzeichnen. Libyen will das nicht tun, soll aber der neuen Mittelmeerunion dennoch beitreten können. Beim Frühjahrsgipfel kommenden Donnerstag wird sich Sarkozy mit all diesen Bedenken konfrontiert sehen. Doch am 1. Juli übernimmt er selber die Präsidentschaft der Europäischen Union. Damit steigen seine Chancen, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Ursprünglich wollte er nur die Anrainerstaaten zur Gründung der Union einladen. Jetzt dürfen am 13. Juli zwar alle EU-Staaten kommen, die zweiköpfige Präsidentschaft soll aber, so Sarkozy, den Ländern nördlich und südlich des Mittelmeers vorbehalten sein.