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Der neue Präsident weckt Hoffnungen auf Reformen
Es war ein regnerischer Tag in Moskau. Von der Kirmes-Stimmung, die zuletzt die Dumawahlen im Dezember 2007 geprägt hatte, war nichts mehr zu spüren. Die Moskowiter gingen zur Wahl, um Wladimir Putin einen Gefallen zu tun, der ihnen, den Hauptstädtern, zu Wohlstand verholfen hatte und auch in den kommenden Jahren für eine stabile Zukunft sorgen will.
Wie bereits bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen und der Dumawahl, so stand auch am 2. März der Wahlsieger lange vor Schließung der Wahllokale fest. Obwohl vier Parteien Dmitri Medwedew am 10. Dezember 2007 zum Präsidentschaftskandidaten nominiert hatten, hatte Putin keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich Medwedew als Nachfolger wünschte. Er selbst will seinem Land künftig als Ministerpräsident dienen. "Wir werden uns schon verständigen und keine Probleme dabei haben", sagte Putin bei seiner letzten Jahrespressekonferenz über das Moskauer Machttandem. Es gebe für beide genug zu tun.
Auf Empfehlung des Präsidenten verzichtete Medwedew auf einen eigenen Wahlkampf. Er hatte es schlicht nicht nötig, denn Putins Vertrauen überzeugte auch die Wähler: "Ich bin sicher, er wird ein guter Präsident sein." Medwedew wiederum vermittelte während seiner Dienstreisen und seltenen Begegnungen mit den Wählern immer dieselbe Botschaft: Er werde die vom Präsidenten begonnene Politik fortsetzen - "zusammen mit Wladimir Putin". Der persönliche Wunsch von Putin, das riesige, in elf Zeitzonen untergliederte Reich weiterzuregieren, konnte nur unter einer Bedingung in Erfüllung gehen: Er musste seinen Nachfolger selbst aussuchen. Gezielt arbeitete Putin deshalb darauf hin, seinen engsten und loyalsten Mitarbeiter und Freund, den passionierten Hard-Rock-Kenner Dmitri Medwedew, im Kreml zu installieren.
Seit nunmehr 15 Jahren ist Medwedew dem Erfinder der "souveränen Demokratie" in Russland, Wladimir Putin, eng verbunden. Der neu ins Amt gewählte Präsident wurde am 14. September 1965 in Sankt Petersburg als einziges Kind in einer Familie der gehobenen sowjetischen Intelligenzija geboren: Sein Vater arbeitete als Professor für Maschinenbau und die Mutter als Philologin und Lektorin an der Pädagogischen Universität. Später beriet der promovierte Jurist und Universitäts-Dozent Putin in seiner Sankt Petersburger Zeit, danach leitete er dessen Wahlkampfstab bei Putins erster Präsidentschaftswahl im Jahr 2000. In Anerkennung seiner Verdienste ernannte Putin ihn zum Leiter der mächtigen Präsidial-Administration im Kreml. Macht wuchs Medwedew jedoch erst als Aufsichtsratsvorsitzender von Gasprom zu, dem weltweit größten Erdgaskonzern. Im November 2005 wurde der Putin-Vertraute zum Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten befördert. Vor zwei Jahren übertrug ihm Präsident Putin die Verantwortung für strategisch wichtige nationale Projekte in den zivilen Bereichen Landwirtschaft, Wohnungsbau, Gesundheits- und Bildungswesen. Wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, war diese Ernennung der erste Schachzug Putins, um Medwedew als künftigen Präsidenten zu positionieren.
Mit der Berufung Medwedews zu seinem Nachfolger richtete Putin die innen- und sicherheitspolitischen Weichen Russlands neu aus: Künftig soll der Fokus stärker auf der sozialen und wirtschaftlichen Sanierung des Landes liegen, während der militärische Wiederaufbau Russlands als Supermacht eher im Hintergrund vonstatten gehen soll. Ansonsten hätte Putins zweiter Freund aus der KGB-Schule, Sergej Iwanow, vormals Verteidigungsminister und derzeit Erster Stellvertretender Ministerpräsident, das Rennen um die Präsidentschaft gewonnen. Denn Iwanow kontrolliert nicht nur die Armee, sondern auch die Rüstungsindustrie.
Medwedews Wahlprogramm bestätigt diese Strategie: Es geht ihm um die Stärkung der privaten wirtschaftlichen Freiheitsrechte sowie um mehr Meinungsfreiheit. Außerdem will der Neue dem Rechtsstaat Geltung verschaffen, indem er die Unabhängigkeit der Gerichte durchsetzt. Auf seiner Agenda stehen ferner die Festigung der demokratischen Institutionen und der Aufbau der Infrastruktur, insbesondere in den ländlichen Gebieten. Nicht von ungefähr lauten die zentralen Stichwörter seiner Politik Investitionen und Innovationen. Im Einzelnen geht es dabei um die Modernisierung des Transportwesens, der Energieversorgung sowie gezielter Investitionen in Bildung, Gesundheitswesen und Wohnungsbau. Die dafür notwendigen staatlichen Programme haben einen Zeithorizont bis 2020. Bei seinem letzten Treffen mit Wählern in Nischnij Nowgorod kam ein wichtiger Aspekt hinzu: Der "Präsidentschaftskandidat" kündigte die Bekämpfung der Korruption und Entlastungen der kleinen Unternehmer an.
Wie bereits bei der Parlamentswahl, so war die OSZE auch bei der Präsidentschaftswahl nicht mit Wahl-Beobachtern vor Ort vertreten. Als Begründung verwies die OSZE auf inakzeptable "Restriktionen" der russischen Behörden. "Wir haben sie eingeladen", erklärte der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Wladimir Tschurow, in Moskau. "Wenn sie nicht kommen, werden wir deswegen nicht weinen". Die Bewertungen der internationalen Organisationen hätten mit der Realität in Russland gar nichts zu tun. Tschurow hält die Kritik für nicht stichhaltig, da es sich seiner Meinung um einen "Teil der internationalen Politik gegen Russland" handele. Die selbstbewusste politische Klasse Russlands glaubt, auf ein ausländisches Gütesiegel in Bezug auf die demokratische Entwicklung des Landes verzichten zu können.