Gesellschaft
Julia Friedrich rechnet mit einem falsch verstandenen Elite-Begriff ab
Es ist gar nicht lange her, dass das kleine Wörtchen "Elite" - zurzeit eher wegen der Steuermoral seiner Mitglieder in der Diskussion - in Deutschland wieder salonfähig wurde. Erst Bundeskanzler Gerhard Schröder holte den lange unterdrückten Begriff zurück in die Gesellschaft: mit einer etwas überraschend von einem Sozialdemokraten ausgehenden Initiative für elitäre Ausbildung. Die Wogen schlugen hoch, die Auseinandersetzungen über das wie und für wen ebenfalls. Knapp drei Jahre später wurden die ersten staatlichen Elite-Universitäten gekürt.
Ob die Elite - wer immer das auch sei - dort jemals ankommt, sei dahingestellt. Fest steht: Die sich dafür halten - das sind vor allem Menschen mit Geld und Einfluss - haben für ihren Nachwuchs längst ein Parallelsystem etabliert. Wer nicht will, dass sein Kind mit dem Mob lernt, und immer mehr wollen das nicht, schickt es auf eine Privatschule oder auf das Internat, später auf eine private Hochschule oder ins Ausland.
Die Eltern von Julia Friedrichs haben all das nicht getan. Mit 25 bewirbt sich ihre ganz herkömmlich und vom Staat ausgebildete Tochter, mehr aus Jux, bei der Unternehmensberatung McKinsey. Zu ihrer großen Überraschung übersteht sie die erste Runde. Plötzlich ist sie der Elite plötzlich ganz nah: In einer Art "Edel-Assessment" in Griechenland feiern die Wirtschaftslenker von morgen rauschende Feste und sich selbst. Ganz neben bei bekommen sie Unternehmensphilosopie eingeimpft. Julia Friedrichs wird von Mario gebrieft. Es geht um 70-Stunden-Wochen, den unbedingten Willen zum Erfolg und um den Job von morgen. Gerade habe er "Kosten reduziert, Leute entlassen, alle Widerstände gebrochen", erzählt der jung-dynamische Berater der Elevin. Und dass sie Acht geben soll, ihr Leben auf der richtigen Seite zu verbringen: "Es gibt Menschen, die sind oben und Menschen, die sind unten. Pass auf, dass du zu den Gewinnern gehörst."
Das tut sie nicht. Die Studentin mit Wohnsitz in einer linken Kreuzberger WG schlägt den 67.000-Euro-im-Jahr-Vertrag bei McKinsey aus. Der Gedanke an die Elite aber lässt sie nicht los: Ein ganzes Jahr verbringt die 1979 geborene Journalistin damit, sich den elitären Nachwuchs genauer anzugucken. Kreuz und quer durch die Republik besucht sie Einrichtungen, die fast alle vom Hörensagen und kaum jemand von innen kennt: Die Internate Salem bei Überlingen am Bodensee und Neubeuren bei Rosenheim und die European Business School in Oestrich-Winkel im Rheingau zum Beispiel. Schon die provinziellen Orte, an denen sich die Elite tummelt, entdeckt sie als Programm. "Es ist Absicht, dass die Leute hier zusammenbleiben müssen, dass es keinen Einfluss von außen gibt." Dies sagt der einzige querdenkende Elite-Kandidat, den Friedrichs auf ihrer Reise trifft: ein junger Iraner, dem ein Stipendium zu einem Studium in Oestrich-Winkel verholfen hat und der den Tag nicht erwarten kann, an dem die Klausur vorbei geht.
Von allen anderen "High Potentials" in spe zeichnet Friedrichs wenig Mut machende Porträts. Wo sie auch hingeht, trifft sie auf Jugendliche oder bestenfalls junge Erwachsene, deren Abkopplung von der gesellschaftlichen Realität, gelinde gesagt, etwas Beklemmendes hat: Menschen, deren Eltern viel Geld dafür bezahlen, dass sie die Welt von morgen regieren sollen - ohne je selbst ein normales Leben in der Welt von heute kennen gelernt zu haben. In einer der absurdesten Szenen eröffnet ihr ein im Vergleich noch eher reflektierter Salem-Schüler, finanziell kaum mithalten zu können: Sein Vater sei eben nur Arzt.
Leistung und Talent, resümiert Friedrichs, spielten bei all diesen Schmieden nicht die entscheidende Rolle. Sondern? Wenn sich schon im Kindergarten die Wege gabelten, es "richtige und falsche Schulen, anerkannte, aber teure Privat- und belächelte Reste-Universitäten" gäbe, würde vor allem eines entstehen: "Eliten, die ab der Geburt gepäppelt werden."
Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2008; 256 S., 17,95 ¤