Pakistan
Der Journalist Ulrich Ladurner vermittelt einen hervorragenden Einblick in ein vom Zerfall bedrohtes Land
Pakistan kann sich über mangelndes Interesse nicht beklagen: Seit dem 11. September 2001 taucht die einzige islamische Atommacht der Welt regelmäßig in den Nachrichten auf. Kein Zufall, schließlich hat das Land eine 2.450 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Afghanistan. Versprengte Reste der Taliban- und Al-Qaida-Führung, darunter Osama bin Laden, sollen sich noch immer in sieben pakistanischen Stammesgebieten versteckt halten.
In die westlichen Wohnzimmer flimmern Bilder von bärtigen Männern, die je nach Anlass zornig die Fahne der USA, Dänemarks oder Israels verbrennen. Ein andermal sieht man demonstrierende Pakistaner in schwarzen Anzügen, die gegen die Entlassung des Obersten Richters protestieren. Oder Bilder von verschleierten Mädchen, die mit Stöcken bewaffnet ihren Bezirk von "haram", also allem Unsauberen und Unislamischen, säubern wollen. Immer dabei ist die Armee, die diese Demonstrationen notfalls auch mit Gewalt aufzulösen sucht. Die ohnehin aufgeheizte Atmosphäre eskalierte durch die Nachricht von der Ermordung Benazir Bhuttos weiter.
Wer sind diese Menschen? Was treibt sie auf die Straße und welche Zukunft hat das Land? Wie funktioniert das politische System während der Militärdiktatur und welche Rolle spielt der Islam? Stellt das Atomwaffenarsenal eine reale Bedrohung für die Welt dar? Wer das neueste Buch von Ulrich Ladurner liest, wird Antworten auf diese und viele andere Fragen bekommen.
Der Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" bereiste mehrmals den Mittleren Osten. Dabei erwies er sich als scharfsinniger Beobachter. In seinem zusammen mit Gero von Randow veröffentlichten Buch über "Die iranische Bombe" brachte er gerade dem Laien die internationalen Verwicklungen in der Region nahe, ohne die innenpolitischen Implikationen der Iran-Krise zu vernachlässigen. Bereits in diesem Buch thematisierte Ladurner die Rolle des "Vaters der pakistanischen Bombe", Abdul Qadir Khan, der nur mit Duldung der CIA das technische Geheimnis der Zentrifugen "lösen" konnte.
Mit einer ähnlich großen Sachkenntnis stellt Ladurner seinen Lesern Pakistan vor, wobei er den Focus auf die komplizierte Gesellschaftsstruktur und die innenpolitische Entwicklung des Landes richtet. Herausgekommen ist ein hervorragender Reportageband. Als Hauptgefahr für Pakistan macht der Journalist die schleichende Islamisierung, das heißt in diesem konkreten Fall die Talibanisierung des Landes aus. Die Entwicklung kann nach Ansicht des Autors in einen Zerfall des Staates münden, da die militärische Macht wackelt, auf die sich der noch amtierende Präsident Pervez Muscharraf stützt. "Das Militär schwächt die zivile Gesellschaft", betont Ladurner. Anschaulich beschreibt er das korrupte, vom Militär kontrollierte Staatssystem, das mit den Islamisten lange liebäugelte, um so die weitere Demokratisierung zu torpedieren.
Aber auch die demonstrierenden "Anwälte" fühlen sich an die universellen Menschenrechte kaum gebunden. Trotz ihrer westlichen Ausbildung hängen sie Verschwörungstheorien von der zionistischen Weltherrschaft an oder glauben an die Unschuld Al-Qaidas in Bezug auf die Terroranschläge vom 11. September. Von daher überraschte Ladurner das Geständnis eines Anwalts nicht sonderlich, der seine Liebe zu Deutschland bekannte. Das Schlüsselwort hieß: "Hitler". Weil er Juden tötete. Zwar sind die Zusammenfassungen der Gespräche, die der Autor mit den Abgeordneten der islamisch-fundamentalistischen Parteien, den Mullahs, Generälen und Anwälten mitunter zu ausführlich geraten, dennoch geben sie die Stimmung in Pakistan authentisch wieder.
Das Buch-Cover täuscht: Es geht hier weder um den Mord an Benazir Bhutto noch entspricht der Untertitel "Terrornetzwerk Pakistan" dem Inhalt. Tatsächlich handelt es sich um eine Momentaufnahme vor den historischen Parlamentswahlen vom 18. Februar 2008. Wünschenswert wäre gewesen, die Veröffentlichung des Buches noch ein paar Wochen zu verschieben, um das Wahlergebnis einzuarbeiten. Schließlich hatte Ladurner den Ausgang vorausgesagt: dass die Präsidentenpartei dramatisch an Einfluss verlieren würde. Es hätte auch nicht geschadet, wenn Ladurner den historisch-politischen Hintergrund ausführlicher dargelegt hätte, um einige seiner Themen vertieft darzustellen. Denn dort, wo er dem nachkommt, gewinnt sein Buch enorm.
Die Veröffentlichung von Ladurners Buch ist auch ein großer Erfolg für den deutschen Journalismus insgesamt dar. Wer diese Region aus eigenem Erleben kennt, wird den Mut Ladurners bewundern. Erst im Januar 2002 war der US-Journalist Daniel Pearl in Pakistan in eine Falle gelockt, entführt und vor laufender Kamera geköpft worden. Ausgerechnet in diesem Land trifft sich Ladurner ohne Begleitung mit Vertretern islamistischer Gruppierungen. Nur wer das Risiko nicht scheut, kommt an die Menschen heran und kann uns ihre Geschichten erzählen. Chapeau!
Bitte informieren Sie Allah! Terrornetzwerk Pakistan.
Herbig Verlag, München 2008; 238 S. 19,90 ¤