WiderStand in der Diktatur
Gene Sharps »Leitfaden« zur Demokratisierung
Als im Frühjahr 2007 dem oppositionellen Sender RCTV die Lizenz entzogen wurde und zahlreiche Venezolaner für die Pressefreiheit demonstrierten, ereiferte sich Präsident Hugo Chavez über bezahlte Animateure der gegen ihn gerichteten Proteste. Gemeint waren unter anderem Gene Sharp und seine Mitstreiter. Der Politikwissenschaftler ist Gründer der in Harvard ansässigen Albert Einstein Foundation, die sich für die Verbreitung der Demokratie einsetzt.
Der fast 80-jährige Autor war mit der Unterstützung demokratischer Bewegungen sehr erfolgreich. Die 1993 erschienene Studie fand weltweit Verbreitung, zirkulierte beispielsweise unter Birmas Dissidenten, wurde vom serbischen Widerstand beim Sturz Slobodan Milosevics zu Rate gezogen und unterstützte die Demokratiebewegung in der Ukraine. Der zum Klassiker der Widerstandsliteratur avancierte Band ist bisher in 21 Sprachen übersetzt worden. Ab dem 20. Mai wird er auch auf Deutsch er- hältlich sein.
Mit dem "Leitfaden für die Befreiung" verfolgt Sharp drei hochgesteckte Ziele: Diktaturen zu stürzen, demokratische Systeme zu installieren und das Entstehen neuer Diktaturen zu verhindern. Dabei legt er großen Wert darauf, den Unrechtsregimen realistisch zu begegnen. Vor dem Einsatz von Gewalt rät der Verfasser ab, denn es gebe zwar vereinzelt Beispiele für den gewaltsamen Sturz eines Autokraten, aber in der Regel erreicht man mit Militanz genau das Gegenteil: eine Verschärfung der Verhältnisse. Stattdessen plädiert der amerikanische Politikwissenschaftler für gewaltlosen politischen Widerstand, wobei er immer wieder auf die Gefahren für Leib und Leben verweist.
Zunächst kommt es darauf an, die Schwachstellen der Diktatur zu erkennen. Auch Unrechtsregime sind beispielsweise vor innerinstitutionellen Konflikten und persönlichen Rivalitäten, die das Funktionieren der Diktatur beeinträchtigen, nicht gefeit. Sharp hält darüber hinaus eine strategische Planung für unabdingbar. In diesem Punkt dürften Theorie und Praxis am ehesten auseinander klaffen, weil die Realität ein strategisches Planen oftmals nicht zulässt. Der politische Widerstand sollte dem Autor zufolge schrittweise und selektiv erfolgen, um nicht erhöhte Erwartungen zu erwecken: "Bis sich massenhafter Widerstand entwickelt, können oft mehrere Jahre vergehen."
Zu Recht erinnert Sharp an die Eigenverantwortung der Bürger: "Der oft zitierte Satz ‚Freiheit ist nicht umsonst zu haben' ist wahr. Es kommt keine Macht von außen und bringt den unterdrückten Menschen die Freiheit, die sie sich so sehnlich wünschen. Die Menschen müssen lernen, sich diese Freiheit selbst zu nehmen."
Sharps "Leitfaden" ist ein Beleg dafür, dass Bücher die Welt verändern können. Und auch das macht dieses Buch besonders lesenswert: Es versprüht ein typisches amerikanisches Selbstbewusstsein - den Glauben an die Freiheit; an die Kraft des Individuums und gesellschaftlicher Gruppen, einer diktatorischen Macht die Stirn zu bieten; und an den Optimismus, aus diesem Kampf erfolgreich hervorzugehen.
Im Anhang listet Sharp knapp 200 Methoden gewaltlosen Vorgehens auf, die vom Rückzug aus sozialen Institutionen bis zum Generalstreik reichen. In einem Glossar werden zentrale Begriffe übersichtlich zusammengefasst. Claus Leggewie hat ein Nachwort beigesteuert, in dem er für die Verbreitung der Demokratie Partei ergreift. "Demokratie ist unbestreitbar aus westlich-abendländischen Kontexten erwachsen, aber sie ist", schränkt Leggewie ein, "damit kein Monopol des Okzidents und kann sich in unterschiedlichen politischen Kulturen der Welt entwickeln." Nach der Lektüre des "Leitfadens zur Befreiung" bleibt die Erkenntnis, dass zwei Dinge zum Sturz einer Diktatur benötigt werden: gesunder Menschenverstand und eine gehörige Portion Mut - man muss sie nur einsetzen.
Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung.
Verlag C.H. Beck, München 2008; 124 S., 9,95 ¤