NachwuchsfÖRDERUNG IN CHINA
In 3.000 Trainingszentren und Internaten werden 400.000 Kinder für den künftigen Ruhm des Landes gedrillt. Für viele der einzige Weg aus der Armut
Mit elegantem Schwung breitet die Kleine im rosa Turndress ihre Arme aus, biegt ihren Rücken ganz weit nach hinten bis die Hände hinter den Füßen den Schwebebalken berühren. Nach einer Reihe schneller Überschläge blickt die Achtjährige auf ihre Trainerin. Die ist nicht zufrieden. "Nochmal", ruft die Frau im blauen Sportanzug. "Wir sind hier doch nicht im Tanzkurs!"
Besuch in der Sportschule Shichahai im Zentrum Pekings. Rund 600 Nachwuchssportler trainieren hier jeden Tag, hoffen auf Ruhm und Medaillen. Irgendwann in der Zukunft.
"Wir gehören zu den drei Topschulen in China", sagt die stellvertretende Schulleiterin Shi Fengshua und zeigt stolz eine List mit 32 Weltmeistern und Medaillengewinnern, die die Kaderschmiede hervorgebracht hat. Turnen, Tischtennis, Volleyball und Badminton werden unter anderem hier unterrichtet.
Das Leben in Chinas rund 300 Elite-Sportinternaten ist hart, der Druck auf die zukünftigen Champions enorm. In Shichahai sind die Jüngsten gerade sechs Jahre alt. Vormittags stehen Lesen und Schreiben auf dem Stundenplan, nachmittags Training -stundenlang, oft auch am Wochenende.
Eine Kindheit für den Sport. Spaß macht das nicht. Niemand lacht an diesem Nachmittag im Turnsaal. Auf dem Schwebebalken, am Reck, an den Ringen und am Stufenbarren wiederholen die jungen Sportler fast maschinell ihre Übungen. "Die Kinder weinen manchmal, wenn etwas nicht klappt", sagt Turntrainer Zhao Gen Buo. Aber Vorwürfe, die Trainer würden zu hart mit den Kindern umgehen, weist er zurück. "Wir gehen auf die Kinder ein", sagt er.
Doch Chinas Sportinternate sind als "Schulen der Schmerzen" bekannt und berüchtigt. "Es gibt sehr viel Zwang", sagt die ehemalige Turnerin und Goldmedaillengewinnerin von Sydney, Liu Xuan. Früher musste sie acht bis zehn Stunden am Tag trainieren, erinnert sie sich. Noch heute spüre sie, was ihrem Körper damals angetan wurde.
Und es gibt Trainer, die zu weit gehen. Im vergangenen Jahr verdonnerte ein Pekinger Gericht einen Trainer zu Schadensersatzzahlungen an die ehemalige Marathonmeisterin Ai Dongmei. Wegen seiner brutalen Trainingsmethoden sind Ais Füße heute verkrüppelt. Im nordostchinesischen Liaoning flog vor zwei Jahren ein Dopingskandal auf. Trainer hatten in einer Sportschule 15-Jährigen Hormone verabreicht.
Anders als in Deutschland, wo Talente meist in Vereinen entdeckt werden, ist die Sportförderung im Reich der Mitte ein elitäres System. Vereine gibt es nicht. Die Basis der Sportförderung bilden Internate wie Shichahai. "Die Regierung investiert hier eine Menge Geld", sagt Vizedirektorin Shi. Manche Schüler werden von ehrgeizigen Eltern gebracht, andere sind von Sportfunkionären in den Provinzen entdeckt worden. In rund 3.000 Sportzentren im ganzen Land tranieren schätzungsweise 400.000 Kinder.
In Shichahai wird die Hälfte der Schüler vom Staat finanziert, die anderen müssen das Schulgeld von rund 3.000 Euro im Jahr selbst zahlen. Jedes Jahr finden Wettbewerbe statt, um auszusieben. "Wer seine Ziele nicht erreicht, muss die Schule verlassen", sagt Shi.
Das erhöht den Druck auf die Nachwuchssportler enorm. Viele Athleten stammen aus armen Familien. Ohne das staatliche Stipendium hätten diese Kinder kaum Aufstiegschancen. Wer rausfliegt, steht oft vor dem Nichts, hat im normalen Schulsystem mit seinen harten Auswahlverfahren kaum noch Chancen. Fürs akademische Lernen bleibt in den Sportinternaten zu wenig Zeit.
Trainer der Provinz- und Nationalteams suchen in Eliteschulen wie Shichahai nach Talenten. Die Besten werden in die Auswahlmannschaften der Provinzen aufgenommen - als "registrierte Staatsathleten". Die allerbesten schaffen es in die Nationalmannschaften.
So wie Tischtennis-Weltstar Zhang Yining. Seit Jahren führt die 25-Jährige die Weltrangliste an. Sie hatte einst in Shichahai angefangen. Ihr Bild hängt überall in der Schule. Sie verdanke ihre sportlichen Erfolge allein ihrem Land, sagt Zhang. "Um alles hat sich der Staat gekümmert, ich brauchte mir nie Sorgen zu machen; ich kann mich ganz und gar auf meinen Sport konzentrieren."
Aber der Weg dahin ist lang und hart. "Fleissig trainieren im Kampf für die Olympischen Spiele 2008" steht auf einem roten Banner, an dem die Kinder täglich vorbeikommen. Auch der zehnjährige Zhang Kai. Jeden Nachmittag verbringt er in der Tischtennishalle. "Der Trainer ist sehr streng", gesteht er. Aber das mache ihm mittlerweile nichts mehr aus. "Ich will Weltmeister werden", sagt Zhang. Dann schmettert er die kleinen weißen Bälle im Sekundentakt über die Platte - und verfehlt keinen einzigen.