ARMUT
Fußball bietet die Chance zum sozialen Aufstieg
Die "Lichtgestalt" Franz Beckenbauer spricht Banales, aber eben doch Erhellendes an diesem 24. Mai 1995. Soeben hat das mit Nachwuchskickern gespickte Ajax Amsterdam den ruhmreichen AC Mailand im Finale der Champions League mit 1:0 geschlagen. Da müssen Erklärungen her. "Ja gut", sagt Franz Beckenbauer wie gewohnt und verweist auf die perfekte Ballbehandlung. Aber, so sinngemäß der "Kaiser", man müsse auch mal schauen, wo viele der Spieler herkämen. Damit meint Deutschlands Fußballoberhaupt die aufstrebenden Jungstars Reiziger, Davids, Seedorf und den Finaltorschützen Kluivert, die allesamt Vorfahren aus Surinam haben, einer ehemaligen Kolonie Hollands, die seit 1975 unabhängig ist. Mit dieser sozialen Herkunft, so der Hinweis Beckenbauers, ist die Zukunft im Tulpenland nicht eben auf Rosen gebettet. Ergo kämpft man mehr als die saturierten Wohlstandsjüngelchen von nebenan und schafft den sozialen Aufstieg - so sieht nach Beckenbauer ein Baustein des Erfolges aus.
Die Geschichte des armen Underdogs, der seine Heimat verlässt, um sozial aufzusteigen, gibt es im Profi-Sport genau so wie in anderen Berufszweigen. Im internationalen Fußball-Business sind kleine Völkerwanderungen lange schon Usus. Gäste bestimmen das sportliche Niveau in Spanien, England, Italien oder Deutschland. Südamerika und neuerdings Afrika fungieren dabei hauptsächlich als Reservoir für Europas Eliteligen. Und Brasilien gilt als gelobtes Land. Der Rekordweltmeister ist sozusagen Exportweltmeister in Sachen Nachwuchs. Millionen begabter Kinder träumen in den Favelas, den Armenvierteln der großen Städte, davon, entdeckt zu werden und eines Tages den Sprung nach Europa zu schaffen.
Denn der verheißt Ruhm, Ehre und Geld oder einfacher: die Flucht aus dem Elend. Meist ist es ihre einzige Chance zu entkommen. Dementsprechend groß ist ihr Engagement. Etwa 5.000 brasilianische Profis spielen in den Ligen weltweit. 25 davon kickten 2007 in der Bundesliga. Sie haben es geschafft, haben gekämpft und den sozialen Aufstieg vollzogen, wie die vier Immigrantenkinder aus der Amsterdamer Ajax-Schule 1995 und auch die in den Banlieues aufgewachsenen Spieler aus Frankreichs Nationalteam, die mit dem Titelgewinn1998 im eigenen Land zum Stolz der Grande Nation wurden.