GESCHICHTE
Der lange Weg des Sportlers vom Krieger zur Werbe-Ikone
Wettkämpfe sind entgegen einem alten Vorurteil eine kulturelle Form. Kulturen kanalisieren die Bedingungen, unter denen Menschen miteinander umgehen. Besonders vorsichtig sind sie, wenn es sich um einen Widerstreit der Kräfte handelt. Vielen regionalen Kulturen ist es gerade darum zu tun, Konkurrenz zu vermeiden, die Kräfte nicht gegeneinander loszulassen, sondern auf ein gemeinsames Ziel zu richten. Dies gilt für die kriegerischen Männer; Frauen war bis vor nicht langer Zeit fast überall auf der Welt die Teilnahme an Wettkämpfen aller Art untersagt. In kultureller Perspektive ist der sportliche Wettkampf eine Errungenschaft, weil sie die Konkurrenz zwischen Männern im besten Kriegeralter vor einem Kampf auf Leben und Tod bewahrt.
Gewiss ist das antike Griechenland nicht die einzige Kultur, die der Konkurrenz die geregelte Form eines Wettkampfs gab. Einzigartig ist hier die enge Verbindung des sportlichen Wettkampfs mit der Götterreligion und ihren Ritualen; sie zeigt sich in der geradezu religiösen Verklärung des Siegers und im Kult der Körperästhetik. Aber so makellos, wie das strahlende Vorbild späteren Zeiten erschien, war es nicht. In der Spätantike war es zu einem idealisierten Beispiel ausstaffiert worden, das eine ganze Reihe von Entstellungen enthielt. Sie blenden das Publikum bis heute, wie etwa die Erfindung des Läufers von Marathon und die Rolle des "olympischen Friedens". Vor allem übersah man eine für die griechische Athletik wesentliche Tatsache: Sport und Krieg waren zwei Seiten derselben Medaille. Beides waren Beschäftigungen des wehrhaften Mannes, der mit seinen Körperkräften sowohl die Polis verteidigte als sich in athletischen Wettkämpfen auszeichnete.
In der Moderne hat Sport seinen Platz erhalten, weil er der Gleichheit der Teilnehmer, der Natürlichkeit des Körpers und der Freiheit sportlicher Betätigung hohe Bedeutung beimisst. England war mit seinem wirtschaftlichen und politischen Liberalismus die erste Gesellschaft, die diese Bedingungen erfüllte. Allerdings galt dies nur für die Söhne des Adels und des wohlhabenden Bürgertums.
Im Sport durften die jungen Männer ihre Wildheit in genau bestimmten und von ihnen anerkannten Grenzen ausleben. Mit dieser Praxis geschah ein kleines Wunder: Es wurde zu einem Modell, das sich, unterstützt durch Coubertins geschickte Propaganda für die Olympischen Spiele, zuerst über Westeuropa verbreitete und gleichzeitig Anschluss an die Arbeiterschaft gewann. Als regionale Praxis verwirklichte der Sport typische Werte der oberen Mittelklasse. Aber bei der Rezeption durch andere Gruppen, Klassen, Nationen und Regionen wurde die Handlungsstruktur des Wettkampfs auf die bereits vorhandenen Wertesysteme aufgetragen. Die dabei entstehenden Diskrepanzen blieben weitgehend unbemerkt - und sollen es wohl auch bleiben, wenn es nach dem IOC geht.
Die Erfolgsbedingungen des modernen Sports entstanden aus demselben Untergrund wie die modernen Marktgesellschaften. Allerdings haben deren Triebkräfte in sportlichen Wettkämpfen einen ganz eigenen Sinn. Egalität bedeutet in der sportlichen Konkurrenz eine Gleichheit der Anfangspositionen: Die Offenheit des Ausgangs erzeugt eine Steigerung der Spannung. Die Hinwendung zum Körper erhält im Sport eine gewaltige Zunahme der Bedeutung durch die Entwicklung der Bildmedien, insbesondere durch die Live-Übertragungen des Fernsehens.
In allen westlichen Gesellschaften werden Konsumgüter mit Hilfe von Werbebildern verkauft, die ästhetische und sportliche Menschen darstellen. Dies führt dazu, dass sozialer Status nicht zuletzt durch die körperliche Erscheinung ausgedrückt wird. Freiheit spielt auch im Sport eine Rolle: Niemand kann zu sportlichen Höchstleistungen gezwungen werden. Aber auch ein unfreies Land kann große sportliche Erfolge hervorbringen - wenn Sportler Privilegien erhalten, die sie unter totalitären Bedingungen als Auszeichnung wahrnehmen. Langfristig kann der Sport dabei mitwirken, den Gedanken eines freiheitlichen Lebens zu befördern. Damit er diese Wirkung tatsächlich entfalten kann, bedürfte es überzeugender Mitwirkung des IOC.
Ein wesentlicher Unterschied zur Antike ist im Sport der Moderne die Verbesserung körperlicher Fähigkeiten. Mit dem Gedanken der Perfektionierung des Menschen wird der Athlet zum Angriffspunkt von Technik. Der Weg zu einer Technologisierung des Körpers wurde schon durch das Training gebahnt: In Trainingsprozessen geht es darum, den Körper mit Hilfe eigener Anstrengungen weit über seine normalen Fähigkeiten zu verbessern. Sein Fortschrittsprinzip ist die Simulation natürlicher Prozesse.
Im Doping geht es nicht mehr um die Steigerung von natürlichen Fähigkeiten, sondern um die Verbesserung des Körpers durch Substanzen, die dieser zwar selbst produziert, aber nur in einer für Rekorde nicht ausreichenden Menge. Angestrebt wird eine Überproduktion leistungsfördernder Substanzen weit über die naturgegebenen Möglichkeiten des Körpers hinaus.
Spitzensport wird heute als eine Illustration kommender Möglichkeiten aufgefasst. Von der Werbung wird diese Verbesserung des Menschenkörpers begrüßt: Der Körper als Hightech-Maschine hat den großen Vorteil, dass er zu Emotionen fähig ist. In Nahaufnahmen wird die Emotionalität von Athleten erfasst und als ideales Umfeld für die Werbung verwendet. Umgekehrt ist auch Werbung unverzichtbar für den Sport. Er hätte eine ganz andere Qualität, insbesondere nicht ein so hohes Leistungsniveau, wenn er nicht die Unterstützung der Werbung in Bezug auf Einnahmen, Öffentlichkeitswirksamkeit, Medienpräsenz, Imagebildung und anderes mehr hätte. Alle sportlichen Großereignisse werden mit Hilfe von Werbung finanziert; dafür sind sie Garanten der zentralen Botschaft der Werbung.
Wer an den Sport glaubt, glaubt auch an die Zukunft, an eine bessere Zukunft. Der Sport an der Spitze des technologischen Fortschritts zeigt, wie die Verbesserung des Menschen an seinem eigenen Körper beginnt.
Der Autor ist Professor am Fachbereich
Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin.