BEHINDERTENSPORT
In Niedersachsen gibt es eine Fußball-Liga für Menschen mit geistiger Behinderung. Am 25. Juni wird in Basinghausen der erste Landesmeister gekürt
Sie heißen Rote Teufel Delmenhorst, 1. Lebenshilfe Braunschweig, Hannoversche Werkstätten, Wendlandschule BSA Lüchow oder OBW Emden. Und sie kicken in der Behinderten-Fußball-Liga Niedersachsen, der ersten Liga für Menschen mit geistiger Behinderung in der Bundesrepublik.
Extrawürste werden für sie nicht gebraten, sagt Stefan Lehmann, Referatsleiter Spielbetrieb des niedersächsischen Fußballverbands. "Das ist ein regulärer Spielbetrieb wie in der Bundesliga", ergänzt Anthony Kahlfeldt. Der Leistungssportkoordinator des Behinderten-Sportverbands Niedersachsen (BSN) hat die Vorrundenspiele der Mannschaften mit vorbereitet, die sich vor zwei Jahren im Anschluss an die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland an der Weltmeisterschaft der Menschen mit kognitiver Behinderung beteiligt haben.
Das war die Geburtsstunde für die Idee, reguläre Ligen für Menschen mit geistiger Behinderung ins Leben zu rufen. "Wir waren völlig überrascht, dass so ein großer Bedarf danach besteht", sagt Kahlfeldt. Er, Lehmann, und die jeweiligen Verbände zogen an einem Strang und gründeten unter der Schirmherrschaft des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) in Niedersachsen die erste Liga. "Es gibt Menschen mit geistiger Behinderung eine unglaubliche Begeisterung für Fußball", sagt Kahlfeldt. "Selbst die mit einer schweren Behinderung, die nach einem Spiel kaum wissen, wer gewonnen und wer verloren hat, gehen dermaßen mit; das kann man kaum beschreiben", schwärmt der 32-Jährige. Viele der behinderten Sportler stünden genauso wie andere jedes Samstag im Fußballstadion in der Fankurve.
Der Erfolg beim Auftaktturnier zur Gründung der Liga im Oktober 2007 fand Kahlfeldt überwältigend: 22 Mannschaften beteiligten sich an einem Hallenmasters in Hannover-Wülfel. Der Deutsche Behindertensportverband will den Ligabetrieb mit Hilfe seiner Landesverbände in allen Bundesländern einführen. Irgendwann soll der Wettbewerb in einer Bundesliga möglich sein.
Die Mannschaften sind gemischt aus Frauen und Männern, sie spielen auf Feldern in der Größe eines halben regulären Spielfeldes und werden aus je sechs Feldspielern und einem Tormann zusammengesetzt. Um zur Liga zugelassen zu werden, müssen die Vereine und Verbände, die Behindertenwerkstätten und Institutionen, aus denen die Mannschaften kommen, ein Formblatt zur Feststellung der Behinderung ausfüllen.
Beantwortet werden die Fragen von Lehrern, Sonderpädagogen, Psychologen und Ärzten. Sie prüfen die Aktivitäten des täglichen Lebens des Anwärters sowie den Intelligenzquotienten. "Wer einen Führerschein oder einen Hauptschulabschluss hat, kann nicht mitmachen", sagt Kahlfeldt.
Außerdem müssen die Spieler körperlich in der Lage sein, den Sport auszuüben. Sind alle Vorraussetzungen erfüllt und ist die Anti-Dopingordnung des DBS anerkannt und unterschrieben, wird ein Spielerpass ausgestellt. Die Ergebnisse der Spiele veröffentlicht auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf seiner Website.
Die Liga auf niedersächsischer Landesebene ist seit März in vollem Gang. Um den Spielbetrieb für alle Beteiligten entspannt zu gestalten, wurde den Mannschaften gestattet, an jedem Wochentag Spiele auszutragen.
Finanziert wird das Projekt von Sponsoren, sagt Kahlfeldt. Die Mannschaften müssen für die Anreise zahlen und dafür sorgen, dass ein Fußballplatz zur Verfügung steht. "In diesem Jahr spielen wir nur eine halbe Saison", sagt Kahlfeldt. Von kommendem Jahr an soll der Landessieger in Hin- und Rückspielen ermittelt werden.
Udo Semrau ist seit zwei Jahren Trainer der Mannschaft des Andreaswerks Vechta. "Man bekommt mehr zurück, als man investiert", sagt er. Die Freundlichkeit, mit der die Behinderten miteinander umgehen, habe ihn beeindruckt. Er ist zwar seit seinem 17. Lebensjahr Trainer, hatte aber zuvor nie mit Menschen mit Behinderung zu tun gehabt. Einmal hat sich ein Spieler lautstark beschwert, weil er den Ball nicht zugespielt bekam, erinnert er sich. "Er war richtig sauer und hat auf den Boden gestampft." Zwei Minuten später habe der gleiche Spieler einen Ball, der ihm zu gespielt wurde, ignoriert. "Als ich ihn gefragt habe, was das soll, hat er gesagt, der Schnürsenkel am Schuh eines Mitspielers sei offen gewesen und den habe er erst einmal zubinden müssen. So etwas erleben Sie in keiner regulären Mannschaft." Um die Mannschaft mit ihren 24 Mitgliedern trainieren zu können, habe er sich "komplett vom Leistungsgedanken verabschieden" müssen, sagt der 65-Jährige. "Aber der ist durch die Liga wieder da." Semrau hatte sich am Runden Tisch beteiligt, an dem die Sportverbände und 17 Werkstätten für Behinderte den Liga-Gedanken diskutiert hatten. Nach anfänglicher Begeisterung stellten sich auch unerwartete Probleme ein. Nun musste durch Semrau eine Auswahl unter den Spielern getroffen werden. "Was sage ich denen, die nicht gut genug sind für eine Ligamannschaft?" Seine Spieler seien davon ausgegangen, dass in der Liga jeder mitspielen darf. "Einigen ist wegen ihrer geistigen Behinderung nicht zu vermitteln, warum das nicht so ist. Sie verstehen es einfach nicht."
Trotz Enttäuschung entstehe zwischen den Spielern aber kein Neid. "Sie sind traurig, wenn sie nicht mitspielen dürfen und freuen sich mit der Mannschaft, wenn sie gewinnt." Auch am 25. Juni, wenn in Basinghausen bei Hannover der erste niedersächsische Landesmeister der Behinderten-Fußball-Liga gekürt wird.