AGRARREFORM
Noch immer steckt die EU das meiste Geld in die Landwirtschaft. Jetzt will die Kommission erstmals die Subventionen für große Agrarbetriebe kürzen. Das schmerzt deutsche Bauern
Bei seinem Auftritt in Brüssel gab Bauernpräsident Gerd Sonnleitner letzte Woche den Weltbürger. Wo Bürgerkriege tobten, Korruption herrsche und die Rechtssysteme nicht funktionierten, da seien die Hungerkrisen am schlimmsten. "Es kann auf unserem Planteten Erde etwas nicht stimmen, wenn zwei Drittel der 860 Millionen Hungernden auf der Welt Bauern sind. Good Governance ist der Schlüssel", erklärte der Bayer bei einer Veranstaltung des Europäischen Bauernverbands COPA. "Demokratie macht satt." Deshalb müsse Entwicklungshilfe wieder verstärkt der Landwirtschaft zugute kommen.
Hier zeigt sich eine bisher nicht gekannte Übereinstimmung zwischen dem deutschen Agrarlobbyisten und der dänischen EU-Kommissarin für Landwirtschaft, die nicht abgerufene EU-Agrarmittel verstärkt in die ländliche Entwicklung armer Länder stecken will. Sehr weit trägt die Gemeinsamkeit allerdings nicht. Während Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel letzte Woche ankündigte, die EU-Agrarsubventionen stark zu kürzen, hält sie der Europäische Bauernverband COPA, dessen Vizepräsident Sonnleitner ist, für so nötig wie nie.
Zwar sei die Lage in der EU nicht so dramatisch wie in Afrika, räumte Sonnleitner ein. Doch auch in Europa sei die Versorgung mit Lebensmitteln nicht garantiert. Schon zahle der Verbraucher die Zeche, wenn Lebensmitteleinfuhren durch Spekulation verteuert würden. Deshalb müsse der Rat der Landwirtschaftsminister die Pläne der EU-Kommission ablehnen.
Das sieht die EU-Kommission ganz anders. Die gestiegenen Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt hält sie für eine große Chance für Europas Bauern, ihr Geld am Markt zu verdienen, statt Almosen aus Brüssel zu benötigen. Vor dem Europaparlament sagte Fischer Boel am 20. Mai: "Der wirtschaftliche und politische Kontext der Agrarreform hat sich im Vergleich zur Situation vor zwei Jahren grundlegend geändert. Brauchen wir also diese Reform nicht? Im Gegenteil!"
Die Beschränkung der europäischen Milchproduktion durch ein Quotensystem zum Beispiel sei noch immer eine "Zwangsjacke" für die Milchproduzenten. Es bestehe Konsens, die Quoten 2015 komplett aufzuheben. In der Zwischenzeit aber müssten sie schrittweise gelockert werden, um den Milchbauern einen sanften Übergang in die Marktwirtschaft zu ermöglichen.
Auch die Auflage, einen bestimmten Teil der landwirtschaftlichen Fläche stillzulegen, sei nicht länger zeitgemäß, da die Beihilfen nicht länger an die bebaute Fläche gebunden seien. Da Brachen aber auch Reservate für seltene Tier- und Pflanzenarten sind, will die Kommission solche Flächen aus dem Topf für ländliche Entwicklung fördern und zwingend vorschreiben, dass Uferstreifen nicht landwirtschaftlich genutzt werden dürfen. Stützkäufe für Hartweizen, Reis und Schweinefleisch, mit denen Brüssel in der Vergangenheit niedrige Weltmarktpreise abfederte, sollen abgeschafft werden. Brotweizen, Butter und Magermilchpulver sollen zwar weiterhin für Notzeiten eingelagert werden. Doch will die Kommission dafür keinen fixen Garantiepreis zahlen, sondern nach einer EU-weiten Ausschreibung beim günstigsten Produzenten einkaufen. "Die Intervention im Milchmarkt wurde geschaffen, um Butterberge abzuschmelzen, die es nun schon lange nicht mehr gibt", erinnerte Fischer Boel die Abgeordneten.
Für die meiste politische Aufregung sorgt aber der Plan, die Direktzahlungen an größere Betriebe zu kürzen. Subventionen, die 5.000 Euro jährlich übersteigen, waren bereits bei der Reform 2003 in drei Stufen um fünf Prozent gekürzt worden. Von 2009 bis 2012 sollen die Abzüge schrittweise um bis zu 22 Prozent erhöht werden. Setzt sich die Kommission mit diesem Vorschlag durch, werden die Brüsseler Agrarbeihilfen weniger stark umgeschichtet als noch im vergangenen Herbst von der EU-Kommission vorgeschlagen. In einem ersten Entwurf hatte sie ein Modell mit Abzügen von bis zu 45 Prozent durchgerechnet. Darauf reagierten die Bauernverbände ebenso ablehnend wie die Regierungen in Paris und Berlin.
Diese Woche werden die Agrarminister bei ihrem informellen Rat im slowenischen Brdo erstmals über das Paket beraten. Dann studieren die Fachabteilungen in den 27 Hauptstädten das Kleingedruckte. Eine Entscheidung wird unter französischer Ratspräsidentschaft im Herbst erwartet. Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass der Finanzpoker Chefsache wird und erst auf dem Dezembergipfel eine Einigung gefunden werden kann. Im Ministerrat reicht die qualifizierte Mehrheit, um das Paket abzusegnen.
Nach Schätzungen des deutschen Verkehrsministers Wolfgang Tiefensee (SPD) wären allein in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg 1.000 Betriebe von den Kürzungen betoffen. Bauernverbandspräsident Sonnleitner nannte die Pläne eine "unzulässige Abstrafung der alten Mehrfamilienbetriebe", womit er die ostdeutschen ehemaligen LPGs meinte. Anderen gehen die Pläne nicht weit genug: So erklärte der grüne EU-Parlamentarier Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf gegenüber der "Passauer Neuen Presse", die Pläne gingen noch nicht weit genug, und forderte daher, die Strukturen im ländlichen Raum zu verbessern und auszubauen.