BAYERN
Im Endspurt des Wahlkampfes will die CSU noch einmal angreifen
Was in Bayern seit einem halben Jahrhundert nur Wunschtraum der Opposition geblieben ist, nämlich die CSU von der Regierungsbank zu stoßen, rückt vier Monate vor der Landtagswahl in den Bereich des Möglichen. Die bisherige Erfolgspartei ist ein gutes halbes Jahr nach der Ära Stoiber, der 2003 noch einsame 60,7 Prozent erreichte, ins Stolpern geraten. Nach der jüngsten Umfrage hat sie nur noch 48 Prozent der Wähler hinter sich (Infratest-dimap) und muss um die absolute Mehrheit zittern.
Schlagzeilen machte, nach empfindlichen CSU-Verlusten bei den Kommunalwahlen im März, auch eine Forsa-Umfrage im Auftrag des "Stern", wonach es 39 Prozent der Bayern egal wäre und 32 Prozent sich sogar darüber freuen würden, wenn die CSU ihre absolute Mehrheit verlöre.
Theoretisch könnte nach den aktuellen Popularitätswerten ein Oppositionsbündnis die Macht im Freistaat übernehmen: Die Sozialdemokraten kommen danach auf 23 Prozent, die Grünen auf zehn Prozent, die FDP, seit 1994 nicht mehr im Landtag, rangiert bei sechs Prozent, und den Freien Wählern würde mit fünf Prozent erstmals der Einzug ins Parlament gelingen.
FDP-Spitzenkandidat Martin Zeil hat freilich schon deutlich gesagt, dass er von einer solchen Vierer-Koalition wenig hält. Das CSU-Führungstandem selbst - Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber - sprechen weiter unverdrossen von "guten Chancen für 50 plus X" für ihre Partei. Viel weniger würde auch schnell ihr persönliches Karriere-Ende bedeuten.
Ein Verlust der Mehrheit hätte auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung des derzeit 90-köpfigen bayerischen Aufgebots für die Bundesversammlung. Die mächtige CSU-Fraktion konnte bisher 62 Vertreter entsenden, die SPD 20, die Grünen acht. Schrumpft die Fraktionsstärke, kann die CSU entsprechend weniger Vertreter benennen, die übrigen Fraktionen mehr. Inwieweit dies jedoch für die Präsidentenwahl entscheidend wäre, lässt sich noch nicht abschätzen.
Mit streng verordneter Geschlossenheit und Kampfgeist stemmt sich die CSU gegen den Abwärtstrend. Ihr Handicap dabei sind nicht nur einige Ungeschicklichkeiten und Fehler der jüngsten Zeit, sondern auch unliebsame Folgen übereilter Entscheidungen aus dem Stoiber-Zeitalter wie die schlecht vorbereitete Einführung des achtjährigen Gymnasiums oder die Fixierung auf das inzwischen aus Kostengründen gescheiterte und von der Bevölkerung abgelehnte Transrapid-Projekt. Zum aktuellen selbst verschuldeten Elend zählt der Ärger um das zunächst strengste Rauchverbot der Republik, dessen hastig nachgeschobene Ausnahmeregelungen auch noch die Nichtraucher erzürnen - ohne allerdings die schon zuvor über das Gesetz empörten Raucher wieder zu besänftigen.
Beckstein und Huber tun sich zudem schwer, ein eigenes, markantes Profil zu entwickeln. Stoiber schaffte das mit seinem enormen Ehrgeiz, den Freistaat zum führenden Bundesland zu machen, mit milliardenschweren Zukunftsinitiativen, tiefgreifenden Reformen und verschärfter bundespolitischer Präsenz. Alles begleitet von höchster Präsentationskunst. Die Entfaltungsmöglichkeiten der bescheiden auftretenden Nachfolger sind eher eng, zumal ihnen ihr Vorgänger zum Abschied noch ein Zukunftsprogramm mit wesentlichen Weichenstellungen hinterlassen hat.
Das derzeit ärgste Folterinstrument der munter gewordenen Opposition ist indes ein Untersuchungsausschuss zu den Milliarden-Verlusten der zur Hälfte dem Freistaat gehörenden Bayerischen Landesbank. SPD und Grüne wollen medienwirksam nachforschen, wie unter den Augen der staatlichen Kontrolleure Verluste durch Spekulationen auf dem US-Immobilienmarkt in Höhe von bisher 4,3 Milliarden Euro entstehen konnten.
Finanzminister Huber, stellvertretender Vorsitzender des BayernLB-Verwaltungsrats, und Beckstein wird vorgeworfen, den Landtag über die wahre Höhe der Belastungen unvollständig informiert und getäuscht zu haben. Die Betroffenen bestreiten das. Huber rechtfertigt sich mit dem Hinweis, er habe keine "belastbaren" Zahlen gekannt, sondern nur vorläufige, die sich ständig verändert hätten und über die mit dem Bankenvorstand Stillschweigen vereinbart worden sei. Beckstein gab an, er habe keine Kenntnis vom Umfang der Verluste erhalten. Gleichwohl beförderten die Fraktionschefs von SPD und Grünen, Franz Maget und Sepp Dürr, die Landesbank-Krise zu einer "Affäre Beckstein".
SPD und Grüne wähnen sich bereits auf der Siegerstraße. Ein fröhlich wirkender Franz Maget joggt im Obama-T-Shirt um das Weiße Haus in Washington, leuchtet bei der New Yorker Finanzwelt schon einmal Hintergründe der Finanzkrise aus, ist zur Audienz beim Papst. Würde die CSU im September scheitern, könnte er Ministerpräsident werden. Maget verspürt eine "zunehmende Wechselstimmung im Land", die Situation für die SPD sei "so günstig wie lange nicht" (2003: 19,6 Prozent). Der CSU werde es selbst mit einer Materialschlacht nicht gelingen, den Vertrauensverlust zu überdecken.
Grünen-Fraktionschef Sepp Dürr glaubt fest an einen zweistelligen Erfolg seiner Partei im Herbst (2003: 7,7 Prozent): "Wir werden auf jeden Fall unser bisher bestes Ergebnis überhaupt einfahren." Die CSU wähnt er "auf der schiefen Bahn: Es geht nur noch bergab". Und es gebe dort "weder Personen noch Ideen", die diese Entwicklung stoppen könnten.
Doch die CSU hat noch Trümpfe im Ärmel: Laut Nachtragshaushalt für 2008 kann sie 2 Milliarden Euro mehr als noch in diesem Jahr ausgeben. Und sie ist dabei, "Themen aufzugreifen, die die Menschen bewegen", wie es in Becksteins Lager heißt. Dazu gehört die Forderung, die Pendlerpauschale auszuweiten. Dazu gehört vor allem ein zunächst auf laute Ablehnung gestoßenes Konzept zur Steuerentlastung breiter Bevölkerungsschichten. "Inzwischen hat unser Steuerkonzept bundesweit eingeschlagen", freut man sich in der Staatskanzlei.
Keine Sorgen um die Zukunft der CSU scheint sich die Junge Union in Bayern zu machen. Ihr Vorsitzender, der Bundestagsabgeordnete Stefan Müller, rät Beckstein und Huber, "jetzt alles daranzusetzen, dass unser gutes Steuerkonzept umgesetzt wird". Es gehe darum, "im Herbst wieder einen überzeugenden Wählerauftrag zu bekommen". Im Wahlkampf soll herausgestellt werden, was nur dank konsequenter CSU-Politik erreicht worden sei, vom ersten deutschen Staatshaushalt ohne neue Schulden über einsame Spitzenwerte bei den Pisa-Studien bis zu den Erfolgen als international bestens aufgestellter Forschungs- und Wirtschaftsstandort. Zukunftsvisionen? Jawohl: "Grundsolide Arbeit, die die Zukunft immer im Blick hat."