AUSBILDUNG
Laut DIHK hat sich die Lehrstellensituation entspannt. Nicht jedoch an Rhein und Ruhr
Bei Schulabgängern klafft in diesem Jahr ein Gefälle zwischen dem Westen und dem Rest der Republik: Sind die Prognosen für Lehrstellen-Suchende im Norden, Osten und Süden optimistisch, haben ihre Altersgenossen an Rhein und Ruhr das Nachsehen. In Nordrhein-Westfalen besteht auch in diesem Jahr eine große Lücke zwischen dem Angebot an Ausbildungsplätzen und den Suchenden.
"Die Situation ist etwas entspannter", sagt Werner Marquis, Sprecher der Regionaldirektion der Arbeitsagentur NRW. Aber das Problem sei keineswegs gelöst. Nach Zahlen der Regionaldirektion bewerben sich weiterhin zwei bis drei Jugendliche auf eine freie Stelle. Zwar seien die Jugendlichen inzwischen sehr viel besser über das Internet und Praktika informiert, aber eine "dramatische Verbesserung", wie sie die Industrie und Handelskammer (DIHK) prognostizierte, sei nicht zu erkennen. "Da gehen unsere Einschätzungen weit auseinander."
Einig sind sich hingegen die Arbeitsmarktexperten der im nordrhein-westfälischen Landtag vertretenen Parteien - zumindest, was die Diagnose angeht. Sie alle sprechen von einer "leichten Verbesserung, die Hoffnung macht". Dass Nordrhein-Westfalen im bundesweiten Durchschnitt offenbar am wenigsten vom Aufschwung profitiert, hat für sie alle einen historischen Grund: Der Strukturwandel im Ruhrgebiet. Mit der Schließung der Zechen und schwerindustrieller Unternehmen seien eben auch überdurchschnittlich viele Lehrstellen weggebrochen.
Außerdem gebe es in der Rhein-Ruhr-Region sehr viele Bürger mit Migrationshintergrund, die es noch schwerer hätten, einen Platz zu finden. "Wir haben hier mit einer strukturellen Veränderung zu kämpfen wie kein zweites Land", sagt zum Beispiel Norbert Post, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der regierenden CDU. Über die richtigen politischen Maßnahmen, wie zukünftig jeder Jugendliche einen Arbeitsplatz erlangen kann, gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. "Wir müssen Anreize schaffen, dass die Unternehmen auch ausbilden wollen", sagt Rainer Schmelzer, arbeitspolitischer Sprecher der oppositionellen SPD-Fraktion.
Der Gewerkschaftssekretär wird beim Thema Ausbildung richtig wütend. "Über diese Anreize hält die Landesregierung immer wieder Sonntagsreden und anschließend isst sie Schweinebraten und legt die Hände in den Schoß", sagt Schmelzer. Seiner Meinung nach aber sollten diejenigen, die ausbilden, einen Pauschalbetrag in ihren Ausgaben steuerlich geltend machen können. Außerdem sollten vorbildliche Betriebe 2.000 Euro Prämie als Belohnung erhalten. "Dieses Geld müsste bei den Betrieben ohne Lehrlinge eingesammelt werden", so Schmelzer.
Diesen Vorschlag begrüßt der CDU-Politiker Norbert Post ganz und gar nicht. Er fürchtet die "Mitnahmeeffekte" dieser Strategie. "Da würden plötzlich Firmen, die schon ewig ausbilden, eine Menge Geld bekommen", so Post. Das könne nicht zum Ziel führen. Post legt sein Augenmerk auf die Jugendlichen. Der Christdemokrat befürchtet, dass die heutigen Schulabgänger nicht die Qualifikationen mit sich bringen würden, die aktuelle Ausbildungsberufe an sie stellen. "Da werden zum Beispiel Zerspanungstechniker händeringend gesucht, aber die Bewerber haben zu schlechte Abschlüsse und zu geringe mathematische Fähigkeiten", sagt Post. Er bedauert, dass einfache Hilfsarbeiten für gering qualifizierte Menschen nicht mehr existierten. "Wir können doch niemanden mit Gewalt dazu zwingen, einen vernünftigen Abschluss zu machen", so Post. Die Grüne Barbara Steffens widerspricht Norbert Post vehement. "Seit Jahrzehnten beklagen die Betriebe die angeblich schlechte Qualifikation der Bewerber", sagt Steffens. Das sei ein leicht zu durchschauender Vorwand. Sie schlägt ein Konzept vor, dass dem der SPD ähnelt. "Wir brauchen eine Ausbildungsumlage, die sich nach regionalen und branchenspezifischen Kriterien berechnet." Ohne Steuergelder zu verwenden sollten so ausbildende Betriebe Geld von denen erhalten, die keine Azubis einstellen. "In diesem System würde das Geld sinnvoll umverteilt", sagt Steffens.
Die Arbeitsagentur selbst möchte keine politischen Tipps geben, wie die Ausbildungslücke geschlossen werden kann. Salomonisch sieht sie sowohl die Schulabgänger als auch die Betriebe in der Pflicht. "Die Schülerinnen und Schüler müssen schon früh alle ihre Möglichkeiten im Blick haben", sagt Sprecher Marquis. Noch immer wollten Frauen am häufigsten Büro- oder Werbekauffrau und Männer Kfz-Mechaniker werden. "Da reicht es häufig schon den Jungs zu sagen: Wer gerne mit Motoren hantiert, kann auch Landmaschinenmechaniker werden." Auch gebe es jedes Jahr neue Berufe. Zum Beispiel aktuell den Kfz-Servicemechaniker, der Navigationsgeräte und Radios in Kraftfahrzeugen repariert und pflegt. "Diese Infos sollten in der Schule ankommen", sagt Marquis. Ob noch in diesem Jahr die Schülerinnen und Schüler davon profitieren könnten, ist allerdings fraglich. Trotzdem hoffen alle Parteien, dass sich bis zum Stichtag am 31. September noch Stellen auftreiben lassen. Denn darin sind sich die Politiker ebenfalls einig: Die vollmundige Ankündigung von Handelskammerchef Ludwig Georg Braun "kam einige Monate zu früh".