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Wie sieht die digitale Zukunft von ARD und ZDF aus? Der neue Rundfunkstaatsvertrag soll die Antwort geben
Es gibt gute Belege für die These der Medienkonvergenz, also die Annahme, dass gedruckte und elektronische Medien sich einander annähern und teilweise sogar verschmelzen werden. Die Debatte um den neuen Rundfunkstaatsvertrag ist ein besonders guter Beleg für diese These. Um kaum ein anderes medienpolitisches Thema wurde in den vergangenen Jahren so erbittert gestritten wie um die Neufassung dieses Papiers, über dessen Entwurf die Ministerpräsidenten der Bundesländer am 12. Juni abschließend beraten wollen und dessen Regelungen im Mai 2009 in Kraft treten sollen. Im Kern geht es um die Frage, was gebührenfinanzierte Sendeanstalten wie ARD und ZDF künftig im Internet dürfen und was ihnen verwehrt bleiben soll.
Zwei schwergewichtige Kontrahenten stehen sich in diesem Streit gegenüber: zum einen der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk, zum anderen eine Ballung von Lobbyisten der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, der Privatsender und TV-Produzenten. Vor dem Boom des Internets sind alle Akteure der Medienlandschaft im Wesentlichen miteinander ausgekommen - die Verlage bedruckten und verkauften Papier, die Öffentlich-Rechtlichen strahlten mit dem Gebührengeld Programm für alle Bürger ab drei Jahren aus, und die Privatsender trieben die Kommerzialisierung ihrer Programme voran, indem sie die werberelevante Zielgruppe zwischen 14 und 49 Jahren im Fokus hatten. TV-Produktionsfirmen belieferten alle Sender mit Informations- und Unterhaltungsformaten.
Dieses System ist bis heute zwar weitgehend intakt. Doch aufgrund der rasanten technischen Entwicklung finden sich Verlage und Sender im Internet nun auf Augenhöhe wieder und konkurrieren direkt miteinander. Wurde in der alten Medienzeitrechnung höchstens mal geschaut, wie viele Minuten Nutzung auf die unterschiedlichen Medienkanäle entfielen, so lässt sich heute auf den Mausklick genau ermitteln, wie die Online-Nutzer sich im Netz bewegen und ob sie sich ihre Informationen bei dem gebührenfinanzierten Angebot "tagesschau. de" besorgen oder auf den werbefinanzierten Seiten von "Spiegel Online", "sueddeutsche.de" oder "n-tv.de". Aus einer latenten Konkurrenz zwischen dem langsamen Print-Kosmos und den flüchtigen Medien Fernsehen und Radio hat sich eine direkte Konfrontation entwickelt.
Was zurück zum Rundfunkstaatsvertrag führt, der ganz korrekt "Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien" heißt. Verleger, Privatsender und Produzenten fordern, dass die Neufassung des Vertrags die Expansion der Öffentlich-Rechtlichen im Internet streng definieren und auch finanziell deckeln soll. Sie argumentieren, dass Online-Angebote von ARD und ZDF den Wettbewerb verzerren - schließlich agieren diese mit den Gebühreneinnahmen frei von Marktmechanismen; im Jahr werden von den Bürgern rund 7,5 Milliarden Euro an die GEZ überwiesen. Bisher dürfen die Öffentlich-Rechtlichen "nur" 0,75 Prozent ihrer Einnahmen für den Ausbau ihrer Online-Angebote verwenden, also rund 52 Millionen Euro im Jahr. Die Allianz aus der Privatwirtschaft fürchtet, dass die Öffentlich-Rechtlichen, sollten diese noch mehr Geld in ihre Netz-Repräsentanzen stecken dürfen, über programmbegleitende Informationen hinaus Angebote im Netz entwickeln, bis hin zur "elektronischen Presse". Der 12. Rundfunkstaatsvertrag soll das verbieten. ARD und ZDF argumentieren, dass sie wie andere Anbieter dort investieren müssen, wo ihre Nutzer unterwegs seien, also im Internet. ZDF-Intendant Markus Schächter sagt: "Wer nicht ins Netz geht, hat keine Zukunft." Denn warum sollte den Öffentlich-Rechtlichen die Chance, vor allem junge Menschen über das Internet mit ihren Inhalten anzusprechen, verwehrt bleiben? Das Fazit der SWR-Dokumentation "Quoten, Klicks & Kohle" des Journalisten Thomas Leif, die kürzlich im Ersten ausgestrahlt wurde: "Die Zukunftschancen von ARD und ZDF sind im Kern bedroht."
Die Novelle soll das umsetzen, was die EU-Kommission im Jahr 2005 nach einer Prüfung des deutschen Rundfunkystems gefordert hat: den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen präzise definieren. Es sind im Wesentlichen drei Kernpunkte, die im Referen- tenentwurf des Vertrags hervorstechen. Der erste legt fest, dass Inhalte in den Online-Mediatheken von ARD, ZDF und Co. dort maximal sieben Tage nach Ausstrahlung von den Nutzern abgerufen werden dürfen. Darüber besteht weitgehend Einigkeit, wobei das ZDF in einem Positionspapier dafür plädiert, Nachrichten, Magazine, Reportagen und Dokumentationen ein Jahr im Online-Archiv vorzuhalten. Die Herausnahme von solchen Sendungen sei nicht im Interesse der Zuschauer, die für diese Inhalte Geld bezahlten. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), dessen Staatskanzlei in Mainz bei der Neufassung des Vertrags federführend ist, hat sich für einen "überschaubaren Zeitraum" von sechs Monaten ausgesprochen, in dem "sendungsbezogene Inhalte" verfügbar sein sollen. Bei den Öffentlich-Rechtlichen machte wegen dieser Beschränkung das Wort vom "Morgenthau-Plan" die Runde, das NDR-Magazin "Panorama" sendete einen Beitrag, der die Zuschauer zum Protest gegen die "Löschung" ihrer Archive aufforderte.
Große Einigkeit herrscht über einen zweiten Kernpunkt, die Einführung eines Dreistufentests. Angelehnt an den Public-Value-Test der britischen BBC sollen alle neuen digitalen TV- und Internet-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen eine Prüfung durchlaufen. Diese soll gewährleisten, dass die geplanten Angebote tatsächlich im Sinne des Programmauftrags sind, zum publizistischen Wettbewerb beitragen und finanziell tragbar sind. Der Dreistufentest soll laut Entwurf von den Gremien der Rundfunkanstalten durchgeführt werden, die sich gegebenenfalls externen Sachverstand dazuholen können. Das ZDF hat bereits signalisiert, dass man auf bestimmte Online-Formate wie kommerzielle Spiele, Partner- und Stellenbörsen wie Routenplaner oder Hotel-Ratgeber verzichten wolle.
Am strittigsten ist noch der dritte Punkt - die Frage, wie die bereits erwähnte "elektronische Presse" zu definieren ist. Betreibt man bereits elektronische Presse, wenn man Meldungen von Nachrichtenagenturen bereithält? Oder gehören dazu eigenständige, nicht an eine ausgestrahlte Sendung geknüpfte Berichte im Netz, die weitgehend aus Textbausteinen und Fotos bestehen? So meinte die Europa-Abgeordnete Ruth Hieronymi (CDU) im "Focus", ARD und ZDF dürften nur "audiovisuelle Dienste" online stellen. Und der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) sagte im Gespräch mit der "FAZ": "Eine öffentlich-rechtlich finanzierte unmittelbare Konkurrenz zu den Angeboten der Printmedien kann es nicht geben." Ganz geschlossen sind die Linien der CDU/CSU-Fraktion nicht, so sprach sich Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) dafür aus, das Online-Angebot nicht nur auf Programmbegleitung zu beschränken.
FDP-Medienexperte Hans-Joachim Otto kritisierte die Rolle der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei um Kurt Beck und Kanzleichef Martin Stadelmaier: Man unterstütze "Maximalforderungen" der Öffentlich-Rechtlichen. Sozialdemokratische Medienpolitiker haben sich nicht eindeutig gegen Textangebote im Internet ausgesprochen, sie "täten gut", hatte Kurt Beck gar zu Protokoll gegeben. An anderer Stelle hatte der Ministerpräsident gesagt, die Öffentlich-Rechtlichen könnten "Inseln der Qualität" im Netz schaffen. In einem Interview mit der Fachzeitung "Funkkorrespondenz" fügte er hinzu: "Von einem Überangebot an qualitativ hochwertigen Produkten kann nicht die Rede sein." Und der SPD-Politiker Marc Jan Eumann sekundierte: "Auch die Öffentlich-Rechtlichen müssen das Netz medienadäquat nutzen können."
Das dürfte dem ARD-Vorsitzenden Fritz Raff gefallen haben, denn solche Aussagen verschaffen den Öffentlich-Rechtlichen den Spielraum, den sie zum Ausbau ihrer Online-Angebote benötigen: "Wir werden und wollen keine elektronische Tageszeitung produzieren, aber die elektronischen Tageszeitungen sollen sich dem publizistischen Wettbewerb mit unseren Angeboten stellen", forderte Raff. Einen verfassungsrechtlichen Schutz davor gebe es nicht. Doch was ARD und ZDF "publizistischen Wettbewerb" nennen, stellt nach Ansicht der Verleger eine Gefahr für die Pressevielfalt dar.
Während man sich öffentlich zankt, hat die WAZ-Gruppe vor wenigen Monaten eine Kooepration mit dem WDR vereinbart, der dem Verlag ausgewählte Inhalte für dessen Website "DerWesten" zur Verfügung stellen will. Auch das ZDF verhandelt mit Verlagen über eine Zusammenarbeit. Der Privatsender RTL hat erwogen, gegen solche Kooperationen zu klagen. Der Verleger Hubert Burda sprach sich dafür aus, doch erst einmal neue Spielregeln festzulegen, bevor man gemeinsame Sache mache.
Die hitzig geführte Debatte zeigt, wie notwendig eine klare Definition des Öffentlich-Rechtlichen Auftrags in der digitalen Medienwelt ist. Sie zeigt auch, wie groß die Bedeutung des im Verhältnis jungen Mediums Internet für die Zukunft der Information und Unterhaltung ist. Ob sich das Mit- und Nebeneinander in einer konvergenten Medienwelt auf Dauer mit dem Regelgerüst der analogen Medienlandschaft steuern lässt, ist eine Frage, die so schnell wohl kaum beantwortet werden kann.