Seit dem Zweiten Weltkrieg gilt Pascal Bruckner zufolge das Sprechen über Schuld und Scham als höchstes Gebot. Allzu oft verbirgt sich aber hinter der scheinbaren Selbstverunglimpfung eine ausgeprägte Selbstgefälligkeit, wie er in seinem fulminanten "Schuldkomplex" zeigt. Bruckner sieht Europa wegen seiner schuldbeladenen Vergangenheit im Büßergewand dastehen, während ethnische, religiöse und sonstige Minderheiten als von jeder Erbsünde befreit erscheinen und daraus ihren Nutzen ziehen möchten. Dagegen plädiert Bruckner für das Bemühen um historische Wahrheit.
Die Stärke Europas ist laut Bruckner, dass es seine Schwächen anerkennt, um etwas dagegen zu tun. Der Autor ergreift Partei für diesen Geist der Kritik, die westlichen Freiheitswerte sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dem Multikulturalismus vermag der französische Philosoph wenig abzugewinnen. Hier würden Menschen nicht als Individuen, sondern ungefragt als Teil einer ethnischen Gruppe wahrgenommen. Zudem gehe mit ihm eine Relativierung westlicher Werte einher. Aber die gelte es, mit Selbstbewusstsein zu schützen.
Der Schuldkomplex. Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte für Europa.
Pantheon, München 2008, 254 S., 12,95 ¤