Baden-Württemberg
Über Affären und Skandale im Musterländle
Den Top-Skandal steuert zu diesem Buch ohne Zweifel "Big Manni" bei. Das ist jener Manfred Schmider, dessen Firma Flowtex mit Scheingeschäften rund um nicht existierende Horizontalbohrmaschinen einen Schaden von mehr als 2 Milliarden Euro und einen gigantischen Wirtschaftsbetrug provoziert hat. Diese romanhafte Story inklusive Luxuspartys mit der gesellschaftlichen Creme de la Creme ist nicht neu. Autor Meinrad Heck beschreibt aber vor allem die engen Kontakte des Bankrotteurs zu Kommunalpolitikern über Minister bis hin zum damaligen Regierungschef Erwin Teufel, der Schmider einst in Briefen als "lieben Manfred" titulierte.
Viele in Schmiders Umfeld wurden verurteilt, doch auf wundersame Weise kam eine von "Big Manni" als seine rechte Hand bei Flowtex angestellte ehemalige FDP-Größe namens Jürgen Morlok unbeschadet aus der Affäre heraus. Heck erinnert daran, dass der Verbleib von 20 Millionen Euro Bargeld aus Schmiders Vermögen nach wie vor rätselhaft ist: Das ist interessant, weil Mithäftlinge berichteten, nach dessen Erzählungen seien Millionen in die politische Landschaftspflege geflossen - aufgeklärt wurde dies nie.
Dieses von mehreren Journalisten um Josef-Otto Freudenreich geschriebene Werk enthüllt keine neuen Skandale. Den vorwiegend für die "Stuttgarter Zeitung" tätigen Reportern geht es vielmehr darum, jenen Humus auszuleuchten, der die zum Nimbus des Musterländle so gar nicht passenden Affären à la Flowtex erst möglich macht: Es ist der Filz, das System der Seilschaften, heute als "Netzwerk" beschönigt. In diesem Sinne darf der Band als ein gelungenes Stück gesellschaftskritischer Analyse gelten: spannend, farbig, ironisch und anekdotenreich zu Papier gebracht.
Da ist zum Beispiel der ehemalige Sigmaringer Landrat Jürgen Binder, der zu mehr als 100 Dienstreisen aufbrach, die keine waren: Motiv sei eher die "Schwäche für das weibliche Geschlecht" gewesen, "gegen das er sich einfach nicht ausreichend zur Wehr setzen konnte ...", so Freudenreich süffisant.
Überhaupt die oberschwäbischen Landräte: Sie regieren wie einst der legendäre Wilfried Steuer - wegen seiner Energiepolitik "Atomsteuer" genannt - oder heute etwa Kurt Widmaier ("Black Jack") mit monarchischer Attitüde. Deren "liebstes Spielzeug" sind die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke, die auf Augenhöhe mit dem französischen Staatsunternehmen EdF beim Konzern EnBW das Sagen haben: Diese Beteiligung wirft jährlich 50 Millionen Euro Dividende ab, die von den Landräten in Kirchen und Kultur gesteckt werden - was vielleicht den Ärger der Untertanen über steigende Strompreise besänftigt.
Unter den Augen eines solchen für die Aufsicht zuständigen Landrats konnte ein CDU-Bürgermeister, der im Kur- und Bäderwesen mit windigen Figuren als Helfern das große Rad drehen wollte, in Aulendorf einen Kreditberg von über 60 Millionen Euro auftürmen, was für eine solche Kleinstadt bundesweit einmalig ist.
Der Schrottimmobilien-Handel einer Karlsruher Bausparkasse, Korruption beim Superkonzern Daimler, Ministerpräsident Günther Oettinger kauft einem klammen Adligen beinahe Kunstwerke ab, die dem Land schon gehören: Das Buch breitet eine Fülle seltsamer Machenschaften aus.
Ungeschoren kommen auch Journalisten nicht davon, die unter dem Einfluss eines "Schmiergelds namens Nähe" gegenüber Oettinger ziemlich rücksichtsvoll seien. Die "Schwäbische Zeitung" zog gegen jenes Kapitel vor Gericht, in dem der publizistische Niedergang des Blatts und Kündigungen von Redakteuren kritisiert werden. Heraus kam ein Vergleich: Einige wenige Passagen werden in neuen Auflagen leicht modifiziert. So wird dem Vorwurf vom "Mobbing der übelsten Sorte" hinzugefügt, dass der Verlag dies "vehement zurückweist". Die kostenlose Werbung durch diesen Prozess hat das Buch verdient.
Josef-Otto Freudenreich (Hg): "Wir können alles." Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle.
Klöpfer & Meyer, Tübingen 2008; 240 S., 19,90 ¤