SECHZIG JAHRE WÄHRUNGSREFORM
Für tausend Reichsmark gab es nur fünfundsechzig Deutsche Mark
Mit dem Namen Edward Tenenbaum werden die wenigsten Deutschen etwas anfangen können. Auch das kleine Örtchen Rothwesten nördlich von Kassel wird allenfalls ausgewiesenen Experten geläufig sein.
Dabei stehen beide Begriffe für ein Ereignis, das die Bundesrepublik in der Nachkriegszeit geprägt hat wie kaum ein anderes: Die Währungsreform und damit die Einführung der Deutschen Mark vor 60 Jahren am 21. Juni 1948. Tenenbaum, ein damals gerade mal 27 Jahre alter Amerikaner, leitete im Auftrag der Alliierten "das Konklave von Rothwesten" in einem spartanischen Gebäude in einer Militärkaserne.
Am 20. April steigen 25 Deutsche, darunter Finanz- und Währungsexperten, Dolmetscher und Sekretärinnen in Frankfurt am Main in einen mit Milchglas versehenen Militärbus - mit unbekanntem Ziel. Sie landen in Rothwesten, für sieben lange Wochen. Bis zum 8. Juni brüten sie dort, abgeschottet von der Öffentlichkeit, unter der Regie des jungen Amerikaners über der Währungsreform und der Einführung der Deutschen Mark. Dass das durch den Krieg zerstörte und von einer dramatischen Wertvernichtung gebeutelte Land und seine Menschen dringend eine neue, zukunftsweisende und stabile Währung brauchten, stand für die Alliierten schon länger fest. Das Einzige, was in den ersten Jahren nach dem verheerenden Krieg in Deutschland funktionierte, war der Schwarzmarkt.
Für die Deutschen war die Reichsmark im Frühjahr 1948 kaum mehr als ein Fetzen Papier. Der Tauschhandel dominiert, Kaufhäuser und Geschäfte bunkern die vorhandenen Waren, die Regale sind leer und Unternehmer wollen nicht mehr produzieren. Mindestens 50 Prozent des Handels laufen auf der Basis Ware gegen Ware, schreibt Christoph Buchheim in seinem Beitrag im Sammelwerk "50 Jahre Deutsche Mark". Butter, Speck oder Eier gibt es praktisch überhaupt nicht mehr, ein einfacher Wecker kostet 800, eine Herrenhose 2.500 und ein Damensommermantel 2.800 Reichsmark. Der Preis für eine Zigarette schnellt von sechs auf bis zu 30 Mark und mehr in die Höhe. Zigaretten avancieren zur begehrten Tauschwährung.
Bereits im Frühjahr 1946 hatten die Alliierten den so genannten Colm-Dodge-Goldsmith Plan (CDG) über den Aufbau eines neuen Zentralbankensystems und eine Währungsreform ausgearbeitet. Da es keine deutsche Regierung gab, musste beides von den Alliierten initiiert werden. Gedanken machten sich freilich auch deutsche Experten, unter ihnen Ludwig Erhard und Karl Bernhard, der spätere Präsident des Zentralbankrates der Bank deutscher Länder, und Otto Pfleiderer, Präsident der Landeszentralbank des damaligen Württemberg-Baden. Sie gehörten der von Briten und Amerikanern 1947 geschaffenen Sonderstelle Geld und Kredit in Bad Homburg an. Und die befasste sich im "Homburger Plan" ebenfalls mit einer Währungsreform.
Freilich: Die künftige Wirtschaftsform war, zumindest im westlichen Deutschland, im Detail weder in dem einen noch in dem anderen Plan ein zentrales Thema. Von sozialer Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards findet sich darin nach Angaben von Experten nichts. Und viel zu sagen hatten die Deutschen ohnehin nicht, auch nicht im "Konklave von Rothwesten", an dem auch Bernhard und Pfleiderer beteiligt waren, nicht aber Erhard. Der Homburger Plan spielte faktisch keine Rolle. "Die Währungsreform war eine Maßnahme der Alliierten. Der deutsche Einfluss auf die inhaltliche Konzeption war tatsächlich gering", schreibt Buchheim.
Auch deutsche Experten, die in Rothwesten mit am Tisch saßen, sagten später, dass ihre Äußerungen kaum auf Resonanz gestoßen und Kontakte von Alliierten mit der Sonderstelle Geld und Kredit gleich null gewesen seien. In Rothwesten wurden die deutschen Fachleute eigentlich nur benötigt, um Gesetze, Verordnungen, Merkblätter und Anweisungen für die Einführung des neuen Geldes zu formulieren. "Den deutschen Einfluss auf die Grundprinzipien der Währungsreform kann man praktisch vernachlässigen", betont Buchheim. Die deutschen Experten scheiterten vor allem mit ihren Versuchen, der Währungsreform ein sozialeres Antlitz zu verleihen, einen günstigeren Tauschkurs zur Reichsmark festzulegen und einen Lastenausgleich zwischen noch vermögenden und weniger betuchten Bürgern durchzusetzen.
Das neue Geld war ohnehin längst gedruckt. Bereits im Herbst 1947 hatten die Amerikaner die Druckaufträge vergeben, bis Ende April wurden mit der Aktion "Bird Dog" die in New York und Washington gedruckten Banknoten unter höchster Geheimhaltung mit der Tarnadresse Barcelona über Bremerhaven in 23.000 Stahlkisten nach Deutschland und von dort nach Frankfurt ins alte Reichsbankgebäude gebracht. Mitte Juni wurden sie mit 150 Lkw mit der Operation "Bird Dog" an die Ausgabestellen weitertransportiert. Am Freitag, dem 18. Juni 1948, nachdem sich die Spekulationen längst verdichtet hatten, war es schließlich soweit. Über das Radio kündigten die Militärregierungen die Währungsreform für die drei Westzonen an.
Vom darauffolgenden Montag an, dem 22. Juni 1948, löst die Deutsche Mark das alte Geld und damit Reichsmark, Rentenmark und die Militärmark der Alliierten ab. Es kommt zu einem einfachen, aber für die meisten sehr harten Schnitt. Jeder Bürger in den Westzonen erhält in den Lebensmittelkartenstellen für 60 Reichsmark zwar 60 Deutsche Mark. Für Bankguthaben gilt allerdings ein Umtauschkurs von zehn zu eins. Unter dem Strich liegt das Umtauschverhältnis bei 10 zu 0,65 - für 1.000 alte Reichsmark gibt es so gerade mal 65 Deutsche Mark. Immerhin werden Löhne und Gehälter, Mieten, Renten und Steuern im Verhältnis 1:1 umgestellt.
Im Westen schlägt nach der Währungsreform die Stunde von Ludwig Erhard und der anderen deutschen Finanz- und Wirtschaftsfachleute. Ohne den Segen der Alliierten verkündet Erhard als Direktor der Wirtschaftsbehörde der britisch-amerikanischen Zone noch am Tag der Währungsreform eine weitgehende Lockerung der Bewirtschaftung und die Aufhebung der Preiskontrollen. Nur Grundnahrungsmittel und einige Rohstoffe sind davon ausgenommen.
Faktisch werden damit die Preise für alle gewerblichen Güter freigegeben. Es ist der Startschuss für die Marktwirtschaft. Erhard stellt nicht nur Amerikaner, Briten und Franzosen vor vollendete Tatsachen. Er setzt sich auch gegen Politiker durch, die den Übergang zu freien Märkten nicht nur nicht für nötig, sondern wegen des Gütermangels für unmöglich hielten, weil die Wirtschaft auch nach einer Währungsreform nur mit Planung und Lenkung funktionsfähig bleiben könne. Sie irrten, Erhards Strategie zeigte schnell sichtbare Folgen: Schaufenster und Regale füllen sich wieder, das Horten und Verstecken von Waren hat ein Ende, die Marktwirtschaft beginnt zu funktionieren. Auch wenn die Preise zunächst rapide steigen und die meisten Waren für viele unerschwinglich bleiben. Bei einem monatlichen Durchschnittsverdienst von 300 DM kostet etwa ein Ei 35 Pfennig.
Aber Geld ist wieder begehrt, die Nachfrage war hoch, weil die Menschen so lange auf so vieles hatten verzichten müssen. "Praktisch die gesamten Kopfbeträge und ein erheblicher Teil der Bankeinlagen flossen in den Konsum", schreibt Buchheim. Nach zunächst deutlichen Preissteigerungen und anfänglichen Rezessionsbefürchtungen festigt sich der Umschwung Ende 1948.
Dass die Währungsreform, die Einführung der Deutschen Mark und die Freigabe der Preise schon damals zielgerichtet den Blick auf die soziale Marktwirtschaft eröffnen sollten oder gar als bewusste Vorbereitung betrachtet wurden - dafür findet sich in der Nachschau kein Beleg. Aber ohne diesen Einschnitt und ohne die Verfügungen Erhards wäre die Deutsche Mark vermutlich nicht eine der stabilsten Währungen geworden. Und auch das "Wirtschaftswunder" und die soziale Marktwirtschaft hätte es nicht gegeben, davon jedenfalls ist der frühere Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer überzeugt: "Der Start der Deutschen Mark wäre wohl nie zu jenem denkwürdigen Ereignis geworden ohne die gleichzeitige weitgehende Freigabe der Preise." Neues Geld ohne freie Preise hätte wenig bewegen können. "Hätte Erhard die Ketten der Bewirtschaftung nicht gesprengt: Die Chance wäre wohl verpufft." Insofern liegen nicht wenige Wurzeln der heutigen Europäischen Währungsunion und des Euro auch in den umwälzenden Ereignissen des Frühsommers 1948.