STEINKOHLEBERGBAU
Trotz des verschobenen Börsengangs hält der Bund die Finanzierung der Ewigkeitslasten für gesichert
Die Pförtner tragen nicht mehr die klassischen schwarzen Uniformen des Bergbaus mit den vielen Knöpfen auf der Brust. Und sie sagen auch nicht mehr "Glückauf", sondern "Guten Tag". Früher hieß der Konzern Ruhrkohle, dann kurz RAG und seit einem guten halben Jahr Evonik. Mit dem Namen haben sich die Gepflogenheiten geändert - bis hin zum Gruß am Eingang.
Die Aktien der Evonik Industries AG mit einem Umsatz von 14 Milliarden Euro und 43.000 Mitarbeitern sollten schon längst an der Börse notiert werden. Doch mehrfach musste der Termin für den Gang zum Aktienmarkt revidiert werden. Zuletzt gab die RAG-Stiftung als Eigentümerin von Evonik im April eine neuerliche Verschiebung bekannt. Auf unbestimmte Zeit. Sie begründet die Absage mit der Unsicherheit auf dem Kapitalmarkt. In den nächsten Wochen will die Stiftung stattdessen ein Aktienpaket von 25 Prozent an einen Finanzinvestor verkaufen. Rund ein Dutzend Interessenten haben Angebote abgegeben. Vier sind in die engere Wahl gekommen.
Das Eigentum am Evonik-Konzern war nach der Trennung zwischen Bergbau und Nichtbergbau ("weißes Geschäft") auf die RAG-Stiftung übertragen worden. Diese wird das Unternehmen an die Börse bringen oder durch den Verkauf an Finanzinvestoren zu Geld machen. Mit dem Verkaufserlös soll das Auslaufen der Steinkohlenförderung in Deutschland finanziert werden. Bis zum Jahr 2018 soll die Bergbautätigkeit beendet werden. Eine Revisionsklausel sieht aber vor, dass der Beschluss 2012 überprüft wird und aufgehoben werden kann, wenn dies mit Blick auf die globalen Energiepreise und die internationale Versorgungslage angeraten erscheint. Parlamentarier im Kohleland Nordrhein-Westfalen und auch das Essener RWI-Institut sorgen sich, durch die Verzögerungen beim Gang an den Kapitalmarkt von Evonik könnte die RAG-Stiftung viel Geld verlieren, etwa durch entgangene Zinsen. "Es kann nicht im Interesse der öffentlichen Hand und der Steuerzahler sein, den Verkauf von Evonik jetzt übers Knie zu brechen", hält Norbert Römer, der SPD-Fraktionsvize im Düsseldorfer Landtag, dagegen. Das Unternehmen sei viel zu wertvoll, um es zum Schleuderpreis abzugeben.
"Die Finanzierung der Ewigkeitslasten (des Bergbaus) ist sichergestellt", beruhigt auch Jochen Homann, beamteter Staatssekreätr im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. In seiner Antwort ( 16/8935) auf eine sehr detaillierte Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Hans-Kurt Hill und der Fraktion Die Linke ( 16/8737) teilt Homan mit, nach vorliegenden Berechnungen reiche das bis zum Jahr 2018 aufgelaufene Stiftungsvermögen aus, das berechnete Finanzvolumen von 6,873 Milliarden Euro zu decken. Falls das Stiftungsvermögen wider Erwarten doch zu niedrig sei, gewährleisteten die beiden Revierländer Nordrhein-Westfalen und Saarland im Erblastenvertrag die Finanzierung der so genannten Ewigkeitslasten des Bergbaus (Kosten der Grubenwasserhaltung, Grundwasserreinigung und Polderung aufgrund von Dauerbergschäden). Die Zechengesellschaft RAG, teilt Homann weiter mit, habe im Übrigen eine geänderte Bergbauplanung vorzulegen, falls das Bergwerk Saar nach dem schweren Grubenbeben früher stillgelegt wird als bisher geplant. In der Tat soll die Zeche schon 2012 geschlossen werden zwei Jahre früher als von der RAG ursprünglich vorgesehen.
Zum Ausgleich wollte die RAG das Ende 2009 zur Stilllegung vorgemerkte Bergwerk Ost in Hamm im Ruhrgebiet länger betreiben. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Aufsichtsrat dem Vernehmen nach auf einer außerordentlichen Sitzung Ende April. Während Teilnehmer berichteten, der telefonisch zugeschaltete nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen (CDU) habe sich an der Abstimmung nicht beteiligt, erklärten andere, er sei überstimmt worden. Wie auch immer: Das Land Nordrhein-Westfalen macht inzwischen im Verein mit dem Bundeswirtschaftsministerium gegen den Beschluss mobil. Nach Einschätzung von Kennern der Verhältnisse wird der RAG-Aufsichtsrat in einer neuerlichen Abstimmung am 9. Juni nicht umhin kommen, dem Willen der Politik zu folgen und eine entsprechende Bergbauplanung zu verabschieden. Sollte es dann bei den ursprünglichen Plänen bleiben und das Bergwerk Ost mit seiner Förderung von derzeit 1,3 Millionen Tonnen Kohle 2009 dichtgemacht werden, steht der gesamte Stilllegungsplan für den Bergbau auf der Kippe. Ohne die Saar-Zeche und das Bergwerk Ost würde die RAG im Jahr 2012 zu wenig Kohle fördern, um den Auslaufplan bis 2018 strecken zu können.
Der nordrhein-westfälische Fraktionsvize Norbert Römer nennt das "extrem kurzsichtig". Wer die Revisionsklausel für den Bergbau infrage stelle, müsse blind sein für die Preisentwicklung auf den Weltmärkten, wettert er. In der Tat haben die Preise für Kraftwerkskohle sich binnen Jahresfrist auf 145 Dollar die Tonne verdoppelt. Die Stahlkonzerne mussten teilweise sogar eine Verdreifachung der Preise für ihre Kokskohle hinnehmen. Bei dem heutigen Preisniveau wird ein Teil der als Subventionen eingeplanten Mittel nicht benötigt. 2,5 Milliarden Euro mussten der Bund und das Kohleland Nordrhein-Westfalen zuletzt zuschießen, damit deutsche Kohle, deren Förderung wegen der ungünstigen geologischen Verhältnisse besonders teuer ist, überhaupt verkauft werden konnte. 2007 waren das annähernd 22 Millionen Tonnen. Deutsche Kohle deckt damit den Bedarf in der Bundesrepublik nur noch zu etwa einem Drittel.