kolumbien
Präsident Uribe will die Farc-Guerilla endgültig ausschalten - die Bevölkerung ist auf seiner Seite
Von solchen Popularitätswerten können deutsche Politiker nur träumen. 90 Prozent aller Kolumbianer heißen die Regierungsführung des Präsidenten Álvaro Uribe gut, ergaben Meinungsumfragen im Juli. Zuvor gelang dem konservativen Politiker Anfang des Monats der bislang empfindlichste Schlag gegen die Linksguerilla Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Ein Armeekommando befreite mit einer Täuschungsaktion die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, drei US-Geiseln und elf weitere Verschleppte aus der Gewalt der Farc. Das Ansehen der ältesten Guerilla Lateinamerikas ist im freien Fall. Mehrere Millionen Kolumbianer demons-trierten am 20. Juli gegen die Farc. Sie forderten die Freilassung aller weiteren Geiseln, die sich in deren Gewalt befinden. In der EU und den USA steht die marxistisch inspirierte Gruppe auf der Liste der Terror-Organisationen. Selbst einstige ideologische Gesinnungsgenossen wie Venezuelas Präsident Hugo Chávez und Kubas Ex-Präsident Fidel Castro gingen jüngst öffentlich auf Distanz zu den Farc.
Kolumbiens Linksguerilla ist so schwach wie noch nie. "Die Farc haben viele Leute verloren, sie haben Territorium verloren", sagt der Guerilla-Experte Mauricio Angel in der Hauptstadt Bogotá. Laut dem Senior-Analysten der Menschenrechtsorganisation "International Crisis Group" hat sich die Zahl der Farc-Kämpfer während Uribes Präsidentschaft nahezu halbiert. Waren es bei dessen ersten Amtsantritt im Jahr 2002 bis zu 20.000, sind es heute zwischen 8.000 und 11.000. Dabei verloren die Farc ein Dutzend bedeutender Kommandanten, darunter ihren Chef und Begründer Manuel Marulanda, ihren außenpolitischen Sprecher Raúl Reyes sowie Iván Ríos, die alle im März starben. Im Mai ergab sich noch Kommandantin "Karina" den Behörden. Sie soll den Vater Uribes ermordet haben und galt als eine der ideologischen Säulen der Farc. Ihre Desertion ist für Angel symptomatisch für die desolate Moral innerhalb der Guerilla, die bis in die Führungsebene reiche. "Der Kampfgeist bricht. Die Leute desertieren in Massen", sagt Angel.
Die Schwächung der Farc ist das Ergebnis von Uribes Politik der "demokratischen Sicherheit". Wie kein Präsident zuvor setzte er im Kampf gegen die Guerilla auf das Militär. Dabei kam er in den Genuss eines bereits von seinem Vorgänger ausgehandelten Militärabkommens mit den USA, des so genannten Plan Colombia. 4,7 Milliarden US-Dollar investierten die USA seither in Kolumbiens Aufrüstung. Die USA versprechen sich davon eine Reduzierung des Koka-Anbaus in Kolumbien. Er wird derzeit zu etwa 40 Prozent von den Farc kontrolliert.
Gleichzeitig betonte Uribe stets seine Bereitschaft, mit der Guerilla zu verhandeln. Der regierungsnahe Sicherheitsexperte Alfredo Rangél bezeichnet diese Strategie als "Kombination aus Verhandeln und militärischem Druck". Daran habe sich auch nach den jüngsten Erfolgen gegen die Farc nichts geändert, betont der führende Berater des Verteidigungsministeriums.
Die wenigen Kritiker Uribes in Kolumbien werfen ihm allerdings vor, es mit dem Verhandeln nicht ernst zu meinen und einseitig auf die rein militärische Bekämpfung der Guerilla zu setzen. Anzeichen dafür mehrten sich in den vergangenen Wochen. Denn kaum war Betancourt befreit, erklärte Kolumbien die bisherigen gemeinsamen Vermittlungsbemühungen Spaniens, Frankreichs und der Schweiz für gescheitert. Deren Mediatoren, den Franzosen Noël Saez und den Schweizer Jean-Pierre Gontard, bezichtigte Bogotá der heimlichen Zusammenarbeit mit den Farc und setzte sie vor die Tür. Die Schweiz und Frankreich wiesen die Anschuldigungen zurück. Sie basierten auf angeblichen E-Mails des getöteten Farc-Kommandanten Reyes.
Uribe war die ausländische Vermittlung schon lange ein Dorn im Auge, verschaffte sie doch den Farc ein willkommenes internationales Podium. Seit Betancourts Befreiung erklärte Kolumbiens Regierung darum mehrmals, nun direkt mit den Farc verhandeln zu wollen. Doch Experten bezweifeln, dass ein direkter Kontakt möglich ist. Zu groß ist das Misstrauen auf beiden Seiten. "Ich weiß nicht, wer diese Kontakte herstellen kann", sagt Angel und fordert: "Es ist notwendig, dass die internationale Begleitung bleibt." Noch weiter geht der Konfliktforscher León Valencia. Er zweifelt grundsätzlich an Uribes Verhandlungsbereitschaft. "Die Situation ist sehr schwierig, denn die Regierung hat die Mediatoren verbrannt", sagt Valencia. Er kennt die Farc wie kaum ein anderer in Bogotá. Valencia war einst selbst Kommandant einer kleineren Guerillagruppe, der ELN. Er schwor dem bewaffneten Kampf ab und arbeitete in den 1990er-Jahren als Vermittler zwischen den Farc und der Regierung. "Dieser Krieg wird weitergehen", prophezeit Konflikforscher Valencia. Denn Kolumbiens Militär sei "sehr euphorisch" nach der Geiselbefreiung. "Sie suchen jetzt die totale Zerstörung der Guerilla. Ich glaube, die Regierung geht jetzt zur totalen Offensive über", sagt der ehemalige Vermittler.
Auf einen geplanten umfassenden Militärschlag deuten auch jüngste Ankündigungen der Uribe-nahen Zeitung "El Tiempo" hin. Unter Berufung auf hohe Regierungsquellen beschreibt das Blatt die neueste Strategie des Präsidenten als "alles oder nichts". Kolumbien werde "die größte bisher gesehene Militäroffensive" erleben, sollten die Farc sich nicht auf sofortige, direkte und umfassende Friedensverhandlungen einlassen.
Uribe könnte die Farc möglicherweise besiegen, räumt Valencia ein. Doch der Preis ist hoch, sehr hoch. Unter Uribe haben sich die Sicherheitsausgaben Kolumbiens nahezu verdoppelt und lasten auf der Wirtschaft, die auf eine Rezession zuschlittert. Hinzu kommen unzählige Getötete und Verletzte bei Militär und Zivilbevölkerung. Valencia relativiert denn auch die bisherigen Erfolge von Kolumbiens Militär: "Gemessen an der Kraft, mit der die Farc bekämpft wurden, ist das Ergebnis bescheiden."
Bescheiden ist das Ergebnis umso mehr, als die Farc nur ein Teil von Kolumbiens Gewaltproblem sind. Etwa 3.000 Menschen sind derzeit in Kolumbien entführt, schätzt die Menschenrechtsorganisation "País Libre". Bis zu 700 davon sind in der Hand der Farc. Der Rest geht auf das Konto gewöhnlicher Krimineller oder auch rechter paramilitärischer Gruppen.
Paramilitärs sind es auch, die eine viel größere Bedrohung für Kolumbiens Bevölkerung darstellen. Sie sind mehrheitlich verantwortlich für die rund drei bis vier Millionen Vertriebenen, die es in Kolumbien drezeit gibt. Das ist die weltweit zweithöchste Zahl an Binnenvertriebenen nach dem Sudan. Betroffen sind in den meisten Fällen arme Bauern, die unter Todesdrohungen ihr bisschen Land aufgeben müssen, oft unter Duldung der lokalen Behörden. Hinzu kommt der Terror gegen Aktivisten von Vertriebenenorganisationen und Gewerkschaften.
In diesem Zusammenhang dokumentierte die "Kolumbianische Koalition gegen die Folter" jüngst 346 Fälle von Folter und 234 außergerichtliche Hinrichtungen in den vergangenen drei Jahren. In mehr als 90 Prozent der Fälle waren staatliche Sicherheitskräfte und Paramilitärs beteiligt. In knapp zehn Prozent waren die Farc oder andere, kleinere Guerillagruppen involviert. Dabei sind die von der Koalition dokumentierten Fälle nur die Spitze des Eisbergs. Viele Mord- und Folterfälle werden nie bekannt, weil Kolumbiens Sicherheitskräfte sie im Nachhinein als zivile Opfer von Kampfhandlungen gegen die Guerilla kaschieren.
Die kolumbianische Journalistin Constanza Vieira erklärt den bewaffneten Konflikt des Landes auf die kürzestmögliche Art. Sie sagt: "Es ist der Krieg ums Land." Damit kehrt Kolumbiens Kampf gegen die Linksguerilla wieder an den historischen Ausgangspunkt der Farc zurück. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 fordern sie eine Bodenreform für Kolumbien. In der Sache haben die Farc damit recht. Auch gegenwärtig ist Kolumbien von extremer Ungleichheit gekennzeichnet: Während das ärmste Fünftel der Bevölkerung gerade einmal drei Prozent des nationalen Einkommens erhält, kommt das reichste Fünftel auf 60 Prozent.
Doch in ihrem Kampf für die Gerechtigkeit hat sich die marxistisch inspirierte Gruppe hoffnungslos verrannt. Betancourt bezeichnete die Farc nach ihrer Freilassung als "autistische Organisation", unfähig, die Realität zu erkennen. Das zeigen auch die drei Pressemitteilungen der Farc, die seither in Umlauf kamen. Erst erklärten die Farc, verhandeln zu wollen, dann wieder sprachen sie Uribe - dem populärsten Präsidenten Lateinamerikas - die demokratische Legitimität ab. Schließlich kam vor einer Woche ein trotziges Communiqué, in dem die Gruppe betonte, niemals vom bewaffneten Kampf ablassen zu wollen.
Gibt es schon Zweifel an der Verhandlungsbereitschaft Uribes, so gilt das noch mehr für die Farc-Rebellen. Guerilla-Experte Angel bezweifelt, dass die Gruppe überhaupt noch die Fähigkeit besitzt, sich an den Verhandlungstisch zu setzen - weist ihr aber gleichzeitig die Verantwortung für die weitere Entwicklung zu. Er sagt: "Der Ball liegt bei den Farc." Noch mehr mahnt Angel aber die internationale Gemeinschaft, sich weiterhin für den Frieden in Kolumbien einzusetzen: "Das Engagement muss über die Befreiung von Ingrid Betancourt hinausgehen."