Frankreich
Umfangreiche Verfassungsreform gebilligt
Dass es knapp werden würde, sogar sehr knapp, hatte sich abgezeichnet. Doch dass Frankreichs umfangreichste Verfassungsreform der letzten Jahrzehnte im prunkvollen Schlosssaal von Versailles mit nur einer einzigen Stimme über der erforderlichen Dreifünftelmehrheit angenommen wurde, hat den Zuarbeitern des französischen Präsidenten für einen kurzen Moment dann doch einen gewaltigen Schrecken eingejagt. Bis zuletzt hatte Nicolas Sarkozy vor allem die gaullistischen Gralshüter in der Präsidentenfraktion, die in der Verfassungsreform einen Anschlag auf die Eckpfeiler der Republik sahen, telefonisch bearbeitet, um ihnen ein "Oui" abzuringen. Der massive Druck hat bei vielen Bitterkeit hinterlassen. Eine solche Einmischung der Regierung sei "noch nie da gewesen", entrüstete sich der gaullistische Abgeordnete Henri Cuq.
Doch für Sarkozy stand viel auf dem Spiel. Eine Niederlage bei der Abstimmung im Kongress, der Vereinigung von Parlament und Senat, hätte den reformerischen Elan Sarkozys auf Dauer erheblich geknickt. Mehr noch: "Meine Glaubwürdigkeit wäre schwer beschädigt worden", meinte Sarkozy, der in der Verfassungsreform ein Herzstück seines innenpolitischen Reformprogramms sieht. Die Sozialisten hatten sich schon lange im Vorfeld auf ein Nein verständigt, obwohl auch Premier François Fillon den Druck erhöhte. Er hoffe, dass es auch unter den Sozialisten Politiker gebe, "die es sich zwei Mal überlegen, bevor sie zu demokratischen Fortschritten Nein sagen, die sie seit Jahren selbst einfordern".
Die "Blockade aus Prinzip" war tatsächlich mehr von dem Wunsch beseelt, dem "Hyper-Präsidenten" Sarkozy einen Denkzettel zu verpassen, und kaum argumentativ unterfüttert. Dass ausgerechnet der Spitzen-Sozialist Jack Lang, Ex-Bildungsminister unter Mitterrand, aus der Front ausscherte, weil er in der Reform, an der er in der so genannten "Balladur-Kommission" selbst mitgearbeitet hatte, einen demokratischen Fortschritt sah, ließ die sozialistische Führung vor Wut aufschreien. Lang hatte sie brüskiert und bloßgestellt. Nun wird auf der Linken zum Halali auf Lang geblasen. Die Franzosen waren mehrheitlich ohnehin für die Modernisierung der Verfassung, die sich der Gründervater der Fünften Republik, Charles de Gaulle, vor 50 Jahren auf den Leib geschrieben hatte, getrieben von abgrundtiefem Misstrauen in Parteien und Parlamente.
Die Reform verstärkt keineswegs den präsidialen Charakter des französischen Systems, wie Sozialisten und Kommunisten behaupten. Das Gegenteil ist richtig: Die immense Machtfülle des französischen Präsidenten wird tatsächlich ein Stück weit beschnitten, die Mitspracherechte des Parlaments und der Bürger werden aufgewertet. Fast die Hälfte aller 89 Artikel der Verfassung wird mit der Reform geändert. Künftig bleibt die maximale Amtszeit eines Präsidenten auf zwei Perioden, insgesamt zehn Jahre, beschränkt. Auch Sarkozys Amtszeit läuft damit im Fall der Wiederwahl in vier Jahren 2017 definitiv aus. Die Macht des Präsidenten, selbstherrlich Spitzenpositionen zu besetzen, wird eingeschränkt.
Das Parlament hat erstmals ein Vetorecht. Sollte eine Dreifünftelmehrheit den Favoriten des Präsidenten ablehnen, muss er sich einen neuen Kandidaten suchen. Informieren muss der Präsident künftig auch über Auslandseinsätze der französischen Truppen und die Ziele einer Mission begründen. Übersteigt die Dauer eines Einsatzes vier Monate, muss die Regierung die Verlängerung vom Parlament billigen lassen. Künftig können die Abgeordneten die Hälfte der Tagesordnung ihrer Plenarsitzungen selbst bestimmen. Bislang gab allein die Regierung die Themen vor. Und vor allem werden die Möglichkeiten der Exekutive beschnitten, mit dem berüchtigten Artikel 49-3 umstrittene Gesetzte ohne Debatte durch das Parlament zu peitschen.
Volksabstimmungen sind künftig vergleichsweise leichter zu organisieren. Ein Zehntel der eingeschriebenen Wähler und ein Fünftel der Abgeordneten und Senatoren können künftig ein Referendum beantragen. Und auch die Notstandsartikel aus der Zeit des Kriegs in Algerien wurden neu formuliert. Die Ausnahmerechte des Präsidenten werden nach 30 Tagen der parlamentarischen Kontrolle unterworfen.
Das alles ist mehr als nur reine Kosmetik, auch wenn Frankreich nach wie vor weit von einer starken parlamentarischen Demokratie europäischen Zuschnitts entfernt ist. Der Präsident bleibt, trotz allem, die zentrale Figur. Nicht durchzusetzen vermochte sich Sarkozy mit seinem Wunsch, die obligatorischen Referenden vor dem Beitritt neuer EU-Mitglieder abzuschaffen, die Amtsvorgänger Jacques Chirac noch 2005 mit Blick auf die Türkei-Debatte im eigenen Land eingeführt hatte. Auch in der modernisierten Verfassung bleiben Volksabstimmungen im Prinzip vorgeschrieben, es sei denn, Parlament und Senat beschließen mit Dreifünftelmehrheit eine lediglich parlamentarische Abstimmung.
Die Nationalversammlung bleibt für den Präsidenten weiterhin tabu. Sarkozy hatte sich gewünscht, nach US-Vorbild im Palais Bourbon vor den Abgeordneten reden zu dürfen - um sie noch mehr an die Kandare zu nehmen, wie mancher unkte. "Nur da-rum geht es ihm doch bei der ganzen Reform", zürnte Alt-Gaullist Charles Pasqua. Reden darf der Präsident künftig nur vor dem Kongress, der bislang freilich nur selten zusammentritt. Vielleicht wird sich das demnächst ändern.