ALOIS GLÜCK
Der CSU-Politiker und Landtagspräsident zum schwierigen Wahlkampf seiner Partei nach der Stoiber-Ära
Transrapid weg, Milliarden-Löcher bei der Bayern-LB und empfindliche Verluste bei den Kommunalwahlen: Kann die CSU mit solchen Bilanzen Wahlen gewinnen?
Die Bilanz der CSU ist: niedrigste Arbeitslosigkeit und größtes Wirtschaftswachstum Deutschlands. Das heißt, die Gesamtbilanz ist deutlich positiv und nicht geprägt von einigen Problemfeldern. Anstelle der Mittel für den Transrapid ist ein Forschungs- und Technologieprogramm "BayernFIT" verabschiedet worden, das mehr Impulse bringen wird als der Transrapid. Das Thema Kommunalwahlen ist überwunden. Wir haben das Ergebnis nur schlechter geredet, als es war. Die CSU hat Tritt gefasst. Das hat sich besonders auch beim Parteitag in Nürnberg gezeigt.
Den Volksparteien laufen die Wähler davon, sogar die CSU muss um ihre magischen 50 Prozent plus X zittern. Warum verlieren die Großen ihre Bindewirkung?
Innerhalb der Gesellschaft haben wir eine tiefgreifende Veränderung hin zu immer mehr Differenzierung und auch immer mehr Gruppeninteressen. Prägende Milieus lösen sich auf und Bindewirkungen gehen generell verloren. Dieser Trend verändert auch die Parteienlandschaft.
Der Stammtisch mit seiner Lufthoheit war immer ein Kraftquell der CSU. Jetzt haben Sie ihm das Rauchen verboten und für Aufruhr gesorgt. War das sinnvoll?
Ich habe noch kein Thema erlebt, das derart polarisierend begleitet wird wie der Nichtraucherschutz Es geht hier letztlich um den Gesundheitsschutz. Natürlich kann man immer darüber streiten, in welcher Perfektion es Regelungen braucht. Aber es gibt keine Regelung, die ein Einvernehmen finden würde. Mit einem gewissen Konfliktpotenzial müssen wir hier leben.
Stänkern gegen Berlin war immer ein Erfolgsrezept der CSU. Doch wie glaubhaft ist die CSU, wenn sie jetzt gegen die Kürzung der Pendlerpauschale kämpft, die sie selbst mitbeschlossen hat. Gleiches gilt bei der Gesundheitsreform.
Es geht nicht um Stänkern aus wahltaktischen Gründen, sondern die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Wir haben eine Entwicklung bei Fahrtkosten und Energiepreisen, darauf muss der Staat reagieren. Die CSU hat mit einem Steuerkonzept alle anderen Parteien in Zugzwang gebracht. Beim Gesundheitsfonds geht es nicht um eine grundsätzliche Ablehnung der jetzigen Reform. Wir wehren uns aber entschieden gegen eine Umverteilung zu Lasten Bayerns. Hier sind wir auf einem erfolgversprechenden Weg
Wo bleiben die großen Zukunftsthemen, wo die Reizthemen? Koch führte in Hessen Wahlkampf mit dem Thema "Kriminelle ausländische Jugendliche"...
Was dann ein Bumerang wurde. In der Tat haben wir gegenwärtig die Situation, dass ein dominantes Thema fehlt, das Aufmerksamkeit und Kräfte bündelt. Auf keinen Fall kann man aber irgendwelche Themen künstlich schaffen, denn das wäre dann in den Augen der Wähler nur Taktik.
Soziale Gerechtigkeit war der CSU immer wichtig. Papst Leo XIII. hat in der Enzyklika "rerum novarum" gerechten Lohn für Arbeit gefordert. Ihr Wirtschaftsminister ist gegen einen Mindestlohn. Passt das zum "S" im Parteinamen?
Der Mindestlohn ist keine sachgerechte Lösung mehr. Er bringt nicht mehr Arbeit, sondern er vertreibt Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich. Zunächst müssen wir von der Realität ausgehen, dass es in der modernen Arbeitswelt leider eine eher wachsende Zahl von Arbeitsplätzen gibt, in denen die Wertschöpfung so gering ist, dass kein Lohn bezahlt werden kann, von dem man entsprechend leben kann. Wenn man das erzwingen will, treibt man diese Arbeit entweder in die Illegalität, in die Schwarzarbeit, oder sie wird, wo es geht, ins Ausland verlagert. Was wir brauchen, ist der weitere Ausbau von Einkommenskombinationen. Die CSU wird sich in der Grundsatzkommission bald intensiv mit der künftigen Entwicklung in der Arbeitswelt auseinandersetzen. Richtig ist, dass wir überzeugendere Konzepte und Antworten, als sie gegenwärtig in der Politik gehandelt werden, noch finden müssen
War der Verkauf von bayerischen Staatsfirmen richtig? Oder hat der Staat nicht die Pflicht, Unternehmen der Daseinsvorsorsorge selbst zu betreiben?
Der Staat muss die verschiedenen Einrichtungen der Infrastruktur nicht selbst betreiben. Aber in so wichtigen Feldern wie Gesundheit, Verkehr, Wasser und anderem muss der Staat die Kontrolle behalten über die Bedingungen, zu denen diese Dienstleis-tungen erbracht werden. Er muss die Standards sichern, aber er muss nicht alles selbst tun. Für Bayern hat der Verkauf der Staatsbeteiligungen ermöglicht, dass wir in den 1990-er Jahren mit der Offensive Zukunft den Freistaat in eine Spitzenposition gebracht haben. Das hat für Bayerns Entwicklung mehr gebracht, als wenn wir weiter Teilhaber in diesen Unternehmen wären.
Wo bleibt das konservative Element im Parteiprofil? Kommt die CSU ohne eine zugkräftige Leitfigur wie Stoiber aus?
Wir haben auch in Bayern eine größere Vielfalt bei Lebensstil und Wertvorstellungen. Dadurch wird es auch für die CSU immer schwieriger, die 50 Prozent plus X unter ihrem Dach zu versammeln. Wir haben aber die große Stärke, dass wir keine Richtungskämpfe in der CSU haben, dass Personalwechsel nicht mit Richtungswechseln verbunden sind und dass bei uns die ganze Bandbreite, die in der Volkspartei beheimatet ist, auch durch Personen verkörpert werden kann. Günther Beckstein ist als Innenminister bundesweit ein Markenbegriff für Sicherheit und Stabilität geworden. Der CSU wird es nach wie vor gut gelingen, diese Kombination von Dynamik und Stabilität miteinander zu verbinden.
Das Interview führte Erik Spemann