TSCHECHIEN
Das Land hatte nach dem Ende des Kalten Krieges viel aufzuholen. Das galt auch für die Berufsbildung. Inzwischen liegen die Tschechen zumindest bei betrieblicher Weiterbildung im europaweiten Vergleich vorn
Vor vier Jahren war Tomas Drobik noch Pfarrer in einer Prager Gemeinde. Heute ist er Vertriebsmitarbeiter einer kleinen Factoring-Firma, einem Unternehmen mit 15 Mitarbeitern, das mit Schulden anderer handelt. "Ich war ausgebrannt und habe bewusst keine neue Stelle als Pfarrer gesucht", begründet er den radikalen Wechsel. Was zunächst nur eine Übergangslösung sein sollte, wurde zum Dauerzustand. "Natürlich wurde ich zu Beginn fachlich geschult. Aber die eigentlich wichtigen Fähigkeiten hatte ich schon. Bei dem Job ist Kommunikation das A und O." Der ehemalige Pfarrer erwies sich als Glücksfall für das Unternehmen. Er hatte nicht nur schnell verstanden, worauf es ankommt, sondern konnte dies auch weitergeben. Weiterbildung war in der Firma aus Kostengründen bisher nur rudimentär vorhanden. So traf es sich gut, dass er die Schulung der Mitarbeiter übernahm.
Betriebliche Weiterbildung ist in Tschechien im Kommen. Das belegt eine EU-Erhebung von 2005, nach der Tschechien seit 1999 deutlich zugelegt hat und in einigen Parametern sogar einen der vorderen Plätze einnimmt. "Das Bewusstsein, dass eine kontinuierliche Weiterbildung der Angestellten die Basis für Konkurrenzfähigkeit bildet, ist gestiegen", bestätigt Miluse Kaldararova, Leiterin der Abteilung Bildung bei der Wirtschaftskammer. Das betrifft vor allem kleine und kleinste Unternehmen.
Der Unternehmeranteil an der Bevölkerung ist mit knapp zehn Prozent in Tschechien so hoch wie in kaum einem anderen EU-Land. Das hat Tradition und wird durch eine flexible Gesetzgebung unterstützt. Kleine Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern bilden das Rückgrat der tschechischen Wirtschaft. Ein Drittel aller Arbeitnehmer sind in solchen Firmen angestellt. Das stellt zugleich erhöhte Anforderungen an betriebliche Weiterbildung. "Kleine Firmen sind schwerer davon zu überzeugen, in Weiterbildung zu investieren. Deshalb sind wir besonders froh, inzwischen eine gesetzliche Grundlage zur Anerkennung von Weiterbildung zu haben", sagt Kaldararova. "Neben die bisherige Vorstellung von einer traditionellen Ausbildung treten neue Wege der Qualifikation", beschreibt sie den Paradigmenwechsel im bisherigen Denken.
Ähnlich wie andere mittel- und osteuropäische Staaten hatte die Tschechische Republik nach der Wende viel aufzuholen. "Das betriebliche Weiterbildungssystem wurde 1990 abgeschafft. Fortan kümmerte sich der Staat um die Ausbildung. Für die Weiterbildung aber waren die Firmen verantwortlich", so Kaldararova. Das hat sich bis heute nicht verändert, nur dass sich die Rahmenbedingungen verbessert haben. Die Firmen wurden aber auch gezwungen, auf diesem Gebiet zu investieren. "Ausländische Investoren haben die Latte sehr hoch gehängt. Um konkurrenzfähig zu bleiben, mussten die tschechischen Firmen nachziehen", schildert Kaldararova die einfache Logik, die dahinter steckt.
Tschechien galt lange als "Werkbank Europas". Ausländische Unternehmen investierten gern in dem Land mit der starken Industrietradition. Das sorgte für massiven Weiterbildungsbedarf. Das Wort "Werkbank" mag man inzwischen nicht mehr gern hören, lieber betont man die Expertise bei Spitzentechnologien im Maschinenbau. In der Tat ist dieser Industriezweig komplexer geworden. Aber auch die einfacheren Jobs gibt es noch, für die inzwischen händeringend Fachkräfte gesucht werden. Die Firmen lösen das Problem, indem sie auf ungelernte Kräfte zurückgreifen und diese schulen. Laut Wirtschaftskammer gehört der Maschinenbau neben kaufmännischen Fähigkeiten und Sprachausbildung zu den gefragtesten Bereichen der betrieblichen Fortbildung.
In der Telefon-Warteschleife von Unicorn, einem Software-Hersteller, läuft Pink Floyds "Hey, teacher, leave us kids alone!" Ob dies etwas über die Haltung der Firma zur Fortbildung ihrer Mitarbeiter aussagt? "Natürlich spielt Weiterbildung bei uns eine sehr große Rolle. Wir operieren auf einem Gebiet, das ständigen Veränderungen unterworfen ist", wischt Unicorn-Marketingchef Otto Vitous etwaige Zweifel beiseite. Bei der Gründung 1990 noch eine unter vielen kleinen Firmen, setzte sie von Beginn an auf kontinuierliche Schulung der Mitarbeiter. "Das war anfangs sehr improvisiert, aber mit der Zeit wurden die Programme weiterentwickelt."
Dieser Haltung verdankt Unicorn heute ein ausgefeiltes Weiterbildungssystem mit eigener Abteilung. Jeder Mitarbeiter verbringt durchschnittlich einen Monat pro Jahr bei Schulungen. Wer wen warum und worin schult, wird in regelmäßigen Personalgesprächen ausgewertet. Der Aufwand lohnt sich. Unicorn hat keine Probleme, auf dem spezialisierten Feld motivierte Mitarbeiter zu finden. Denn eine gute Personalpolitik ist auch in Tschechien ein Aushängeschild. "Weiterbildung wird von den Beschäftigten inzwischen als normaler Bestandteil der Arbeit angesehen", sagt Vitous.
Vor einem Jahr gründete die Firma sogar ihre eigene Hochschule mit Studiengängen in Informatik, Wirtschaft und Management. 50 Studenten haben das erste Jahr absolviert. Für Oktober sind bereits 200 neue angenommen. Vitous ist sehr zufrieden: "Wir haben schon immer eng mit Hochschulen und Universitäten kooperiert, das führen wir jetzt konsequent fort." Unicorn tritt damit in die Fußstapfen von großen Unternehmen wie Skoda Auto, die ihre eigenen Ausbildungsstätten betreiben. Für Miluse Kaldararova knüpfen die Firmen so an die Zeit vor 1989 an. "Damals hat sich keiner gewundert, dass eine Firma auch ihre eigene Berufsschule betrieb und dort ihren Nachwuchs aufgebaute."
Von einer engen Verzahnung von Theorie und Praxis hält auch Janka Chudlikova sehr viel. Die elegante Frau von Anfang 40 hat vor Jahren ihre Karriere als Personalmanagerin aufgegeben und arbeitet seitdem als Coach und Lektorin. Ihre Domäne sind "Soft Skills" wie Managementfähigkeiten, Kommunikation und erfolgreiche Verkaufsberatung. "Viele Firmen und ihre Mitarbeiter sehen noch nicht den direkten Nutzen dieser Fertigkeiten und setzen auf Fachliches. Ich aber komme aus der Praxis und weiß, dass Soft Skills sich in reinen Zahlen niederschlagen", trägt Chudlikova ihr Credo vor. Ihre Kunden wissen ihre Praxisnähe zu schätzen. Denn inzwischen gibt es zwar ein reichhaltiges Fortbildungsangebot, aber die Orientierung fällt vielen schwer.
"Für zielgerichtete Angebote und mehr Qualität zu sorgen ist in erster Linie Sache der Firmen selbst", ist Chudlikova überzeugt. "Viele müssen sich klar machen, warum sie überhaupt eine Weiterbildung wollen. Wenn sie das wissen, müssen sie kompromisslos auf Qualität beharren", schärft sie den Unternehmen ein. Tomas Drobik weiß schon, was er will, und er hat mit seinem Anbieter gute Erfahrungen gemacht. Die nächste Weiterbildung nimmt er zum Thema Zeitmanagement. Nicht ohne Grund: Er will bald wenigstens zur Hälfte wieder in seinen ursprünglichen Beruf zurückkehren. Seiner Firma bleibt er als Fortbilder erhalten.
Der Autor ist freier Journalist in Prag und Mitglied des Recherchenetzwerks n-ost.