KAUKASUS
Europa soll in der Krisenregion nicht nur finanziell helfen, sondern politische Präsenz zeigen
Das Presse-Echo auf den Kaukasus-Sondergipfel der Europäischen Union am 1. September fiel erstaunlich positiv aus. Überraschung schwang mit, dass die Staaten des "alten" und des "neuen" Europa sich auf eine gemeinsame Linie hatten verständigen können. Denn die Länder des ehemaligen Ostblocks stehen Russland traditionell deutlich misstrauischer gegenüber als die Westeuropäer. Die baltischen Staaten verhandelten hart, um Sanktionen gegenüber Moskau durchzusetzen. Doch die klaren Trennlinien zwischen ost- und westeuropäischer Außenpolitik lösen sich langsam auf.
Während Polens Präsident Lech Kaczynski für eine härtere Haltung gegenüber Russland eintritt, will sein Premier Donald Tusk mit Moskau im Gespräch bleiben. In der tschechischen Delegation sieht Präsident Vaclav Klaus die Hauptschuld bei den Georgiern, sein Premier Mirek Topolánek macht die Russen für das Schlamassel am Kaukasus verantwortlich. Vielleicht hat die Tatsache, dass einige Delegationen beim Gipfel in Brüssel nicht mit einer Stimme sprachen, die Kompromissfindung für Ratspräsident Sarkozy sogar erleichtert.
Das Ergebnis ist eine Schlusserklärung, die Gesprächsbereitschaft signalisiert, aber klare Worte gegenüber Moskau nicht scheut. "Solange sich die Truppen nicht auf die Positionen zurückgezogen haben, die sie vor dem 7. August inne hatten, werden die Treffen zur Aushandlung des Partnerschaftsabkommens verschoben", heißt es darin klipp und klar. Noch am selben Abend unterstützten EU-Abgeordnete fast aller Parteien in einer eigens anberaumten Debatte zum Kaukasus-Konflikt die Linie der 27 Staats- und Regierungschefs.
Zwar hat das EU-Parlament in der Außenpolitik kein Mitspracherecht. Doch ihrer Außenwirkung sind sich die Parlamentarier sehr wohl bewusst. Deshalb verzichteten die meisten auf allzu harsche Töne Richtung Moskau. Der sozialdemokratische Abgeordnete Hannes Swoboda verurteilte die georgischen Fehler, wandte sich aber gegen eine Anerkennung Südossetiens durch Russland. "Auch die Anerkennung Kosovos ist keine Rechtfertigung für diese Aktion. Denn die Europäische Union hat immer klar und deutlich versucht, eine internationale, multilaterale Lösung zu bekommen. Russland hat das nicht versucht."
Die Grünen fordern, dass die OSZE in einer unabhängigen Untersuchung klären soll, wer für den Kriegsausbruch verantwortlich war. Russland und Georgien werden zudem aufgefordert, Abwurfstellen für Streubomben zu nennen, damit rasch mit der Minenräumung begonnen werden kann. Der EU-Beitritt der Türkei solle beschleunigt werden, um die Region zu stabilisieren. Georgien und der Ukraine müsse eine privilegierte Partnerschaft angeboten werden, die eine spätere Mitgliedschaft in der EU aber nicht ausschließe.
Der liberale Abgeordnete Graham Watson hält die geplante Freihandelszone mit Georgien für einen richtigen Schritt. Das Land müsse auch rasch Visaerleichterungen erhalten. "Derzeit gibt es die absurde Situation, dass Georgier, die einen russischen Pass annehmen, freieren Zugang zur EU haben als ihre Landsleute, die das nicht tun."
Die europäischen Politiker scheinen erkannt zu haben, dass die EU sich im Kaukasus nicht mit Hilfsgeldern freikaufen kann, sondern politische Präsenz zeigen muss. Die Nachbarschaftspolitik Richtung Osteuropa soll ausgebaut, die Schwarzmeer-Anrainer in ähnlicher Weise politisch zusammengeführt werden wie die südlichen Nachbarn in der Mittelmeerunion. Politikwissenschaftler teilen diese Überzeugung. Der renommierte "European Council on Foreign Relations" (ECFR) in London stellt in seiner jüngsten Analyse des Konflikts diesen Aspekt an erste Stelle. Nur wenn die EU für eine westliche Orientierung der Region werbe, könne sie Russlands Projekt einer "Osteuropa-Union" unter russischer Führung und mit türkischer Beteiligung einen Riegel vorschieben.
"Statt Strafmaßnahmen zu erwägen, sollte die EU auf Russlands Machtdemonstration mit einem deutlich stärkeren Engagement für Demokratie, Wohlstand und Sicherheit in der Region antworten und dabei härtere Maßnahmen in der Hinterhand behalten, falls sich Russland dem widersetzen sollte", heißt es in dem Gutachten.
Mit "Region" ist dabei keineswegs nur Georgien gemeint, wie die Wissenschaftler deutlich machen, sondern auch die Ukraine und die zu Russland strebende moldawische Provinz Transnistrien. Die EU dürfe nicht ihren größten Fehler wiederholen, der darin bestanden habe, keine Präsenz in dieser Region zu zeigen. "Eine neue Friedenstruppe sollte unter OSZE-Regie oder UN-Mandat stehen und russische, europäische und regionale Partner wie Kasachstan, Aserbaidschan, Armenien und die Ukraine einbinden."
Schließlich regen die Wissenschaftler an, dass die EU eine umfassende Studie darüber erstellt, welche Rolle Gaslieferungen aus Russland in Zukunft für die europäische Energieversorgung spielen werden. Zwar beteuerten die EU-Regierungen in ihrer Schlusserklärung beim Sondergipfel, die gemeinsame Energiepolitik künftig stärken zu wollen. Bislang war sich in der Energiepolitik am Ende aber doch jeder stets selbst der Nächste.