UNTERNEHMEN
Die Gründe für Standortentscheidungen jenseits des Atlantiks sind vielschichtig: Größe des Absatzmarktes und hohe Flexibilität des Arbeitsmarktes zählen
In die Schlagzeilen geraten die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen vor allem dann, wenn es Ärger gibt: Streit um europäische Bananen, Streit um amerikanisches Geflügel, Streit um amerikanische Strafzölle auf europäischen Stahl. Dabei gerät dann leicht in Vergessenheit, dass der allergrößte Teil des Handels zwischen Europa und den Vereinigten Staaten störungsfrei verläuft. Er leistet einen wichtigen Beitrag zu Wachstum und Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans.
Wichtiger noch sind die Investitionen in eigene Tochterfirmen auf der anderen Seite des Atlantik. Die Liste der deutschen Unternehmen in Amerika liest sich wie ein Who is Who der deutschen Wirtschaft: Siemens, Volkswagen, Deutsche Telekom, Allianz, Daimler, BMW, BASF, Bayer, Thyssen-Krupp, sie alle sind dort engagiert, häufig schon seit vielen Jahren. Neben den bekannten Großunternehmen haben auch viele mittelständische Betriebe ein oder mehrere Standbeine in den Vereinigten Staaten.
Die Gründe für diese Standort- und Investitionsentscheidungen sind vielschichtig. Da ist zum einen die Größe des Marktes USA mit seinen mehr als 300 Millionen Konsumenten. Das ist gewaltig und lohnt den mitunter scharfen Wettbewerb, sei es bei Autos, Haushaltsgeräten, Chemikalien, Arzneimitteln oder Turnschuhen. Hinzu kommt der Zugang zu zwei weiteren Märkten, dem mexikanischen und dem kanadischen. Beide Länder haben sich Mitte der neunziger Jahre mit den USA zur Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta) zusammengeschlossen.
Auch der Vergleich der Lohnkosten spielt eine Rolle. Die USA schneiden etwas günstiger ab als Deutschland: Die Stundenlöhne sind niedriger, die Lohnnebenkosten geringer, und die Arbeitsproduktivität ist - gemessen als Leistung je Arbeiter in der Stunde - etwas höher. Für Amerika spricht auch die größere Flexibilität des Arbeitsmarktes, insbesondere der lockere Kündigungsschutz. Unternehmen können so schneller auf sich verändernde Marktbedingungen reagieren und die Zahl ihrer Mitarbeiter in die eine oder andere Richtung anpassen, als dies in Deutschland der Fall ist. Außerdem ist die Macht der Gewerkschaften in Amerika ungleich geringer.
Deutsche Unternehmen sind in Amerika als Arbeitgeber durchaus beliebt, denn sie bezahlen ihre Mitarbeiter oft besser als die Konkurrenz. Nach Auskunft der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer zahlten amerikanische Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen im Jahr durchschnittlich 73.500 Dollar an jeden ihrer Mitarbeiter. Dieser Betrag enthält neben den Löhnen und Gehältern auch Lohnzusatzleistungen wie Krankenversicherungsbeiträge und liegt rund 7.500 Dollar höher als die durchschnittliche Entlohnung anderer ausländischer Tochtergesellschaften.
Wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass deutsche Unternehmen heftig umworben werden, wenn sie eine Standortentscheidung für ihre Investitionen in den USA treffen. Daimler produziert seit mehreren Jahren unter anderem die Geländewagen der Mercedes ML-Klasse in Alabama; und BMW lässt zum Beispiel seinen Roadster Z4 in South Carolina vom Band laufen. Doch damit beide Konzerne diese Montagewerke dort ansiedelten, bekamen sie vom jeweiligen Bundesstaat und von den Kommunen finanzielle Anreize im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar für die Investition.
Begehrt als Investor ist auch die Deutsche Lufthansa, die ihr Streckennetz kontinuierlich ausgeweitet hat und inzwischen 18 Ziele in den Vereinigten Staaten bedient. Wirtschaftlich interessant für Orte wie Portland oder Orlando sind diese Flugverbindungen, weil sie Touristen und Geschäftsleute und damit zusätzliches Geld in die Region bringen. Der Lufthansa-Konzern hat aber auch eigene Tochtergesellschaften in Amerika, die unter anderem Flugzeugteile für Drittkunden reparieren, Geschäftsflugzeuge warten und amerikanische Fluggesellschaften mit Bordspeisen versorgen. Insgesamt beschäftigt Lufthansa rund 10.000 Mitarbeiter in Amerika.
Der Wechselkurs spielt eine herausragende Rolle, wenn Firmen überlegen, ob sie in eine eigene Fertigung in dem USA investieren sollen. Der Dollar ist in den vergangenen Jahren deutlich schwächer geworden. Das drückt die Erlöse aus dem Amerikageschäft, sofern die Autos im Eurogebiet produziert werden und man die Verkaufspreise in den USA aus Dollar wieder in Euro konvertieren muss. Wenn dagegen sowohl Produktionskosten als auch Verkaufserlöse der Waren für den US-Markt in Dollar abgerechnet werden, verringert sich das Währungsrisiko.
Generell lassen sich Waren, die zu Euro-Kosten produziert werden, bei sinkendem Dollarkurs nur mit geringeren oder ganz ohne Gewinnspanne in den USA verkaufen. Mitunter müssen die Unternehmen sogar vorübergehend draufzahlen, um ihren Marktanteil zu sichern.
Mit einiger Besorgnis verfolgt die deutsche Wirtschaft die wachsende Neigung zum Protektionismus, vor allem im Kongress in Washington. Ausländische Investitionen stoßen mitunter auf einen erheblichen politischen Widerstand. Unter dem Vorwand, die nationale Sicherheit müsse geschützt werden, ist in den vergangenen Jahren das ein oder andere Engagement ausländischer Investoren gescheitert. Da liegt eine Gefahr: Wenn die USA ihren Wohlstand sichern und - wie bisher - mehren wollen, sollten sie keine zusätzlichen Investitionshürden errichten.
Der Autor ist USA-Wirtschaftskorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".