SpÄtabtreibungen
Bisher gibt es vier Vorschläge für neue Regelungen. Erste Lesung am 18. Dezember
Phillip ist ein fröhliches Kind. Er spielt gern Autorennen am Computer, sieht gern fern und liebt seine Bücher. Eigentlich ganz normal für einen 15-Jährigen - mit dem Unterschied, dass er seit seiner Geburt geistig behindert ist und immer die Unterstützung anderer Menschen benötigen wird. "Das Leben mit einem behinderten Kind ist hart", bekennt Phillips Vater Thomas M. "Und auch wenn wir Phillip um nichts in der Welt mehr hergeben würden, kann ich nicht sagen, wie wir damals entschieden hätten, wenn wir gewusst hätten, was auf uns zukommt und wir eine Wahl gehabt hätten."
Der Architekt verfolgt deshalb die aktuelle Debatte um eine Regelung der späten Schwangerschaftsabbrüche sehr genau. "Ich kann jede Familie verstehen, die sich nicht zutraut, diesen schweren Weg zu gehen. Aber was da beschlossen wird, ist auch ein Signal für Eltern wie uns. Wir sind das beste Beispiel dafür, dass auch dieses Leben erfüllt und schön sein kann - aber das wird oft gar nicht gesehen."
Das ist auch den Familienpolitikern des Bundestages, die um eine Neuregelung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ringen, bewusst. Nachdem die Union mit ihrem Gesetzentwurf den Anstoß gegeben hatte, zogen SPD und FDP in der vergangenen Woche mit zwei Gesetzentwürfen und einem Antrag nach, die am 18. Dezember in erster Lesung beraten werden. Zu diesen, bis 5. Dezember vorgelegten, Vorschlägen (siehe Kasten) werden vermutlich weitere hinzukommen. Alle Initiatoren kennen die Gratwanderung, auf die sie sich mit dem Thema begeben: Eine Regelung der Spätabtreibungen muss sowohl die größtmögliche Hilfe für Schwangere in schweren Konfliktsituationen bieten als auch den Schutz des ungeborenen Lebens sicher stellen, zu dem der Staat verpflichtet ist.
Seit 1995 sind, nach Paragraf 218, Schwangerschaftsabbrüche auch nach der 12. Schwangerschaftswoche möglich, wenn die Frau aus medizinischen oder psychologischen Gründen nicht in der Lage ist, die Schwangerschaft fortzusetzen. Eine mögliche Behinderung des Kindes darf keine Begründung für einen Abbruch mehr sein. Eine zeitliche Befristung gibt es nicht, er ist bis kurz vor der Geburt möglich - auch, wenn die Kinder lebensfähig wären. 229 solcher Abbrüche nach der 25. Woche hat es im vergangenen Jahr in Deutschland gegeben, bei insgesamt knapp 117.000 Abtreibungen.
Nur knapp 2 Prozent aller Abbrüche finden nach der 13. Woche statt - doch was sich in reinen Zahlen gering anhört, ist für die betroffenen Frauen meist die größte Katastrophe ihres Lebens. Sie haben sich bewusst für ihre Kinder entschieden und erfahren dann, dass ihre Kinder schwer krank oder behindert sein werden. Möglich macht solche genauen Diagnosen schon vor der Geburt die Pränataldiagnostik.
"Wir wissen aus vielen Berichten, dass sich Frauen im Fall derartiger Diagnosen bedrängt fühlen, einen Abbruch vornehmen zu lassen", sagt der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion Johannes Singhammer gegenüber dieser Zeitung. "Und das darf in einer solch existenziellen, schwierigsten Lebenssituation nicht sein." Diese Ansicht teilt auch die SPD-Familienpolitikerin Kerstin Griese. Bislang sei ein Beratungsrecht der Frauen nicht gesetzlich verankert. Für Griese eine gravierende Lücke: "Bei Abbrüchen bis zur 12. Woche gibt es eine Pflichtberatung, bei allen Untersuchungen nach dem Gendiagnostikgesetz wird es Beratungen vor und nach den Untersuchungen geben. Nur im schwierigsten aller Konfliktfälle, der Entscheidung, ob eine Schwangerschaft abgebrochen werden soll, für die die Frauen sich bewusst entschieden haben, ist nicht sichergestellt, dass tatsächlich eine Beratung vermittelt wird."
Griese stellt sich damit gegen Teile ihrer Fraktion um Christel Humme, die das Schwangerschaftskonfliktgesetz nicht ändern wollen, weil es ihnen als ausreichend erscheint. Humme empfindet die Forderungen nach einer längeren Bedenkzeit als "zynisch", weil man so unterstelle, "dass die Frauen es sich leicht machen - und das stimmt nicht".
Auch die von Singhammer beabsichtigte Dokumentationspflicht des Arzt-Patientinnengesprächs lehnt Humme strikt ab. Das beschädige das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin in einer "Konfliktsituation, in der die Frau nichts so sehr wie Unterstützung und Vertrauen zu ihrem Arzt" brauche. Zudem: Gerade unter Frauenrechtlerinnen ist die Angst groß, das Thema könne genutzt werden, um den Paragrafen 218 zu kippen.
Auch Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) sieht in ihrer Fraktion viele, die fürchten, das Gesetz könnte "zu einem neuen Feldzug gegen Frauen führen". Da Teile der Grünen die Initiativen kritisierten, "weil damit das Leben der Behinderten nicht genug geschützt wird", erwartet sie, dass es weitere Entwürfe geben wird. Die werden auch von den Linken noch kommen, die das Thema ebenfalls untergesetzlich angehen wollen, so deren familienpolitischer Sprecher, Jörn Wunderlich. "Wir wollen vor allem, dass die Beratung und Betreuung der Frauen nicht bei der Entscheidung für oder gegen einen Abbruch endet. Die schwere Zeit ist ja dann nicht vorbei."
Sowohl Griese und Singhammer streben eine gesetzlich verankerte dreitägige Frist zwischen ärztlicher Beratung und Feststellung der medizinischen Indikation an. "Die Diagnose darf nicht dazu führen, dass im Schockzustand die Entscheidung für eine Abtreibung gefällt wird", so Griese. Dies sei bislang häufig der Fall, sagt der Direktor der Lübecker Frauenklinik Klaus Diedrich. "Eine Frau kann diese schwere Entscheidung aber besser verarbeiten, wenn sie in Ruhe darüber nachdenken kann, was die Diagnose konkret bedeutet." Davon ist auch Ina Lenke (FDP) überzeugt. Sie will jedoch, anders als Singhammer und Griese, keine höheren Strafen für Ärzte, die ihrer Beratungspflicht nicht nachkommen. Damit verkenne man, dass auch sie die Spätabtreibungen vor hohe Belastungen stellten. "Die Ärzte sind keine Maschinen."
Der Humangenetiker Claus Bartram ist froh, dass diese Zwangslage endlich thematisiert wird. "Frühgeborene können heute ohne Schäden überleben, wenn sie in der 20. oder 21. Woche geboren werden. Bei Spätabtreibungen ist es der Auftrag der Ärzte, den Tod von Kindern in einem solchen Entwicklungsstadium herbeizuführen." Dieser Fetozid sei für ihn persönlich eine "Grenzüberschreitung" und für die meisten Ärzte nur schwer erträglich. Deshalb ist auch die Bundesärztekammer froh, dass eine Änderung des Gesetzes in Sicht ist. Es sei an der Zeit, Beratungspflicht und Bedenkzeit gesetzlich zu verankern, so Präsident Jörg-Dietrich Hoppe. Der Vorsitzende der Lebenshilfe, Robert Antretter, verspricht sich indes viel von einer verstärkten Beratung. "Wenn die Frauen besser wüssten, wie das Leben mit behinderten Kindern aussehen kann, würde ihnen das vielleicht ein wenig die Hoffnungslosigkeit nehmen."