VERTREIBUNG
Das Gesetz zur »Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung« ist verabschiedet. Das Projekt sorgte jahrelang für diplomatische Spannungen
Noch vor wenigen Monaten war das Thema heiß umstritten. Als Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) im Februar dieses Jahres nach einem Gespräch mit dem polnischen Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski bekannt gab, die polnische Regierung lehne das "sichtbare Zeichen" nicht länger ab, war das noch eine kleine Sensation. Die Dokumentationsstätte, mit der vor allem an die Vertreibungen von Deutschen aus den ehemals deutschen Gebieten Osteuropas nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert werden soll, hatte seit Jahren für Spannungen zwischen Deutschland und Polen sowie Tschechien gesorgt. Die Idee der Einrichtung einer Gedenkstätte für deutsche Opfer des Krieges und der Initiator, der Bund der Vertriebenen (BdV), hatten Ängste geweckt, die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg solle relativiert werden.
Von der außenpolitischen Brisanz des Themas war am 4. Dezember im Bundestag äußerlich nichts zu merken. Die Reden zum Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD ( 16/10571), mit dem die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" nun eingerichtet werden soll, wurden nur zu Protokoll gegeben. Der Entwurf wurde mit den Stimmen von Union, SPD und FDP angenommen, Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich und Die Linke stimmte dagegen.
Mit dem Gesetz wird zum einen die "Stiftung Deutsches Historisches Museum" eingerichtet. Diese Stiftung öffentlichen Rechts soll die endgültige Trägerschaft des in Berlin beheimateten Museums regeln. Zum zweiten wird eine unselbständige "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" eingerichtet. Diese Rechtsform wird auch Treuhandstiftung genannt. Der Träger wird die DHM-Stiftung sein.
"Ich halte es für sehr unglücklich, dass dieses jahrelang umstrittene und außenpolitisch brisante Thema nur zu Protokoll gegeben wird", sagte Hans-Joachim Otto (FDP) im Gespräch mit dieser Zeitung. Lukrezia Jochimsen (Die Linke) bezeichnete es gar als "einen absoluten Skandal", dass es auch zur Verabschiedung des Gesetzes keine richtige Debatte gegeben habe. Schon 2002, als der Bundestag beschloss, ein "europäisches Zentrum gegen Vertreibungen" einzurichten, seien die Reden nachts lediglich zu Protokoll gegeben worden.
Die Koalitionsfraktionen und die FDP, die sich dem Gesetzentwurf angeschlossen hatte, zeigten sich jedoch insgesamt erleichtert, die Stiftung auf den Weg gebracht zu haben. "Es ist wichtig, dass wir schwierige Fragen der Geschichte so behandeln, dass wir nicht mit dem Finger auf andere zeigen", betonte Markus Meckel (SPD). Mit dem internationalen Symposium, auf dem im kommenden Jahr Historiker verschiedener Länder Vorschläge zur inhaltlichen Gestaltung der Stiftung machen sollen, sowie dem wissenschaftlichen Beraterkreis, der dem Stiftungsrat zur Seite gestellt werde, sei diese Bedingung erfüllt. "Es soll an das Unrecht von Vertreibung erinnert und Vertreibung für immer geächtet werden", sagte Wolfgang Börnsen (CDU). Diese Thematik aufzuarbeiten liege auch im Interesse von Nachbarländern wie Polen und Tschechien. "Viele Millionen Europäer sind von Vertreibungen betroffen. Deswegen halte ich die Stiftung für absolut notwendig", meinte Otto.
Katrin Göring-Eckhardt (Bündnis 90/Die Grünen) begründete die Enthaltung ihrer Fraktion mit der Unsicherheit über die inhaltliche Gestaltung der Stiftung. Bisher sei lediglich die "organisatorische Hülle" geschaffen. Grundsätzlich seien die Grünen jedoch dafür, den deutschen Opfern der Vertreibungen zu gedenken. Lange Zeit habe "gerade in der westdeutschen politischen Linken" die Auffassung geherrscht, die Vertreibungen seien eine "gerechte Strafe" für die Verbrechen der Nationalsozialisten gewesen. Jedoch müsse man beachten, dass unter den Vertriebenen nicht nur Anhänger der Nazis gewesen seien. Wer die Vertreibungen als historisch gerecht bezeichne, weise damit allen Vertriebenen kollektiv die gleiche Schuld und Verantwortung an den Verbrechen zu.
1999 hatte die Vorsitzende BdV, Erika Steinbach (CDU), zu einem "Zentrum gegen Vertreibungen" aufgerufen. Knapp ein Jahr später wurde eine Stiftung dieses Namens eingerichtet, deren Vorsitz Steinbach zusammen mit Peter Glotz (SPD), übernahm. Nach dem Willen der Stiftung sollte in einer Dauerausstellung die Geschichte der deutschen Vertriebenen gezeigt werden, in Wechselausstellungen "aktuelles Vertreibungsgeschehen". Außerdem planten die Unterstützer, die Forschung über Vertreibung voranzutreiben.
Die Kritik an diesem Projekt war harsch. Gegner des Zentrums warfen den Initiatoren revanchistische Absichten vor. Deutsche Opfer würden in den Mittelpunkt gestellt, die Ursachen für die Vertreibung ausgeblendet. Diese Angst wurde durch die Tatsache gesteigert, dass BdV der Träger der Stiftung war. In Polen etwa wurde der Verband mit der Preußischen Treuhand gleichgesetzt, einer umstrittenen Organisation, die sich für die Durchsetzung von Eigentumsansprüchen von deutschen Vertriebenen in Polen einsetzt. In Tschechien war der BdV unter anderem in schlechter Erinnerung, weil er sich 1997 ablehnend zur Deutsch-Tschechischen Erklärung, eine der wichtigsten Grundlagen der Beziehungen beider Länder zueinander, geäußert hatte. Das Beharren der Initiatoren auf dem Standort Berlin sorgte ebenfalls für Spannungen. Berlin sei ein schlechtes Symbol, weil die Nationalsozialisten von hier den Vernichtungskrieg geplant hatten, hieß es.
Befürworter des Zentrums hielten der Kritik entgegen, dass es noch keine Einrichtung in Deutschland gebe, die sich mit dem Schicksal der Vertriebenen auseinandersetze. Berlin sei als zentraler Standort notwendig. Der BdV gebe zudem revanchistischen Tönen in den eigenen Reihen keine Chance mehr, er habe sich weiterentwickelt.
Um die Mitarbeit anderer europäischer Staaten an einem Projekt gegen Vertreibung sicherzustellen, regte der Sozialdemokrat Markus Meckel Anfang 2002 ein Europäisches Netzwerk gegen Vertreibungen an. Drei Jahre später wurde von Deutschen, Polen, Ungaren und Slowaken in Warschau das "Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität" gegründet. Zwei zeitgleiche Ausstellungen, "Erzwungene Wege" vom BdV und "Flucht, Vertreibung, Integration" vom Bonner Haus der Geschichte, befeuerten die Diskussion weiter. Im Koalitionsvertrag einigten sich CDU/CSU und SPD 2005 schließlich, ein "sichtbares Zeichen" gegen Vertreibung zu errichten.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes sind noch längst nicht alle Fragen geklärt. Fest steht zwar der Sitz der Dokumentationsstätte, das Deutschlandhaus in Berlin. In diesem Gebäude, das dem Bund gehört, hat unter anderem der Berliner Landesverband des BdV seine Büros. Auch ist klar, dass eine Dauerausstellung entstehen soll, die an die Ausstellung des Hauses der Geschichte angelehnt ist. Offen ist aber unter anderem die Besetzung des Stiftungsrates. Zu dessen 13 Mitgliedern sollen neben Vertretern des Bundes, des Bundestages und der Kirchen auch drei Mitglieder des Bundes der Vertriebenen gehören. Allein die Möglichkeit, dass dessen Vorsitzende Erika Steinbach eines der Mitglieder werden könnte, hatte zu Medienberichten über mögliche außenpolitische Spannungen geführt. Die Parlamentarier wollten die Personalie im Gespräch mit dieser Zeitung nicht weiter kommentieren. "Wir sind zufrieden, dass wir eine Einigung gefunden haben, die international ausgerichtet ist. In diesem Sinne sollte auch die Personalbenennung erfolgen", sagte Meckel. "Dass der BdV vertreten ist, ist nur konsequent", meinte Otto. Welche seiner Mitglieder der Verband als Vertreter entsende, entscheide er selbst.