Die grob gestrickten Wollsocken hat sie behalten. Ihr kleines Ökodetail aus der Vergangenheit. So macht es sich Sylvia Kotting-Uhl in ihrem Büro bequem. Als Mitglied des Bundestags sei es recht schwierig "ökologisch korrekt" zu leben. Dabei hat sie genau dieser Wunsch zur Politik gebracht: Nach der Geburt ihres ersten Sohnes, wollte sie gesund leben, "im Einklang mit der Natur", deshalb zog sie mit ihrer jungen Familie aufs Land und begann selbst anzubauen - eben alles "ökologisch". Die Realität drum herum war alles andere als "öko": Tschernobyl, Ozonloch, Waldsterben. Ihr wurde bewusst, dass ihre "grüne Insel" innerhalb der Gesellschaft nicht ausreicht, um die Umwelt zu schützen. Sie beschloss, umweltpolitisch aktiv zu werden.
Heute ist Sylvia Kotting-Uhl umweltpolitische Sprecherin der Grünen Fraktion. Sie vertritt das Kernfeld der grünen Politik. Das ist für sie eine besondere Auszeichnung ihrer Partei. Aufmerksam widmet sie sich dem Bereich "Umwelt und Gesundheit". Da die Technologisierung immer weiter ansteige, müsse auch an den Gesundheitsaspekt gedacht werden, betont sie. Beispiel Kinderkrebsstudien: Es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Nähe zu einem Atomkraftwerk und dem Risiko für ein Kind an Leukämie zu erkranken. Das sei wissenschaftlich bewiesen, trotzdem entstehe bisher noch kein Handlungszwang für die Politik, kritisiert Kotting-Uhl. Sie will deshalb den Vorsorgegedanken neu diskutieren. Ihre Themen erregen wohl nicht so sehr die öffentliche Aufmerksamkeit wie die Themen Klimawandel, Biodiversität und Energieversorgung. Sie nimmt sich der "vergessenen" Umweltpolitik an. "Diese Dinge, die nicht tagtäglich in der Presse sind, nicht aus dem Fokus zu verlieren, das sehe ich als meine Aufgabe", sagt sie. Im Jahr 2005 in den Bundestag eingezogen, gehört Kotting-Uhl zu den neuen Parlamentariern. Ein 14-Stunden-Tag schüchtert die Abgeordnete nicht ein. Die abwechslungsreiche und spannende Arbeit begeistert sie. "Wissen, das ich mir früher mühsam besorgen musste, bekomme ich jetzt auf dem Silbertablett", berichtet sie beeindruckt von den Vorzügen ihrer Position. Lebenslanges Lernen könne sie hierbei so richtig ausleben. Ihre Geburtsstadt Karlsruhe ist mittlerweile auch ihr Wahlkreis. 1952 wurde sie dort geboren. Schon mit 15 Jahren entwickelt Kotting-Uhl ein politisches Interesse. Sie studiert Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte in Heidelberg, Edinburgh und Zaragoza und arbeitet zunächst im Theater als Dramaturgin. Als sie aufs Land zieht, gründet sie eine Galerie und eine Kinderwerkstatt. Einige Jahre später, als ihre beiden Söhne schon älter sind, beginnt sie bei freien Bildungsträgern Ausländer, Arbeitslose und Jugendliche ohne Ausbildungsplatz zu unterrichten. Die Arbeit mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen schärft ihren sozialpolitischen Standpunkt. "Eine Gesellschaft muss sich immer am Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern messen. Nur so gut ist eine Gesellschaft", erklärt sie mit Nachdruck. Sie findet es "untragbar", dass in einem reichen Land wie Deutschland relativ viele Menschen mit wenig Geld auskommen müssen. Man hört heraus, dass sie nicht mit Scheuklappen nur die Umwelt im Sinn hat. Ökologie ist eng verbunden mit sozialer Gerechtigkeit, das ist Kotting-Uhls politischer Grundsatz. "Wenn man Umweltschutz nicht verfolgt, wenn man die Lebensgrundlagen kaputt gehen lässt, das bezahlen immer die ärmeren Menschen der Gesellschaft", erklärt sie.
Etwas traurig blickt sie zurück: "Früher habe ich sehr grün gelebt, heute nicht mehr, muss ich gestehen. Grün arbeiten und richtig grün leben, passt irgendwie nicht zusammen." Schon das Hin und Her zwischen Berlin und Baden-Württemberg entspricht nicht ihrer ursprünglichen Idee der Naturverbundenheit. Die Mobilität, die von einem Abgeordneten verlangt wird, schade der Umwelt, sagt sie selbstkritisch. Ihr eigenes Leben zeigt ihr, dass vieles gar nicht von einzelnen Personen beeinflusst werden kann. Deshalb möchte sie vorrangig nicht den Bürgern predigen, ihren Lebensstil anzupassen, sondern die politischen Rahmenbedingungen so verändern, dass für jeden ein Anreiz entsteht, die Umwelt zu schützen.