Einleitung
Seit dem Ende der Apartheid 1994 hat Südafrika eine
beispiellose Karriere gemacht: Vom geächteten "Stinktier der
Welt"
1 zur
weltweit bewunderten "Regenbogennation" als Symbol für
Befreiung, Ausgleich und Wiedergutmachung historischen Unrechts.
Die Überwindung der weißen Minderheitsherrschaft, die
Verabschiedung einer Verfassung, die weitreichende Freiheits- und
soziale Rechte verbürgt, und eine modellhafte Wahrheits- und
Versöhnungskommission ließen das Land an der
Südspitze Afrikas zum Vorbild werden. Außenpolitisch
trat die neue, demokratisch gewählte Regierung des African
National Congress (ANC) mit dem Ziel an, ein "guter globaler
Bürger" zu sein. Bereits 1993 hatte der spätere
Präsident Nelson Mandela die grundlegenden Werte benannt, die
von nun an Südafrikas Außenpolitik leiten sollten. Dazu
gehören der Schutz der Menschenrechte, die Verbreitung der
Demokratie, gewaltfreie Konfliktlösungen, verstärkte
regionale und internationale Kooperation und die Hinwendung zum
afrikanischen Kontinent.
2 Auf der anderen Seite hofften die
Vereinigten Staaten und andere Regierungen im Norden, dass das
"neue" Südafrika mit seinen politischen, diplomatischen und
militärischen Fähigkeiten, seiner Wirtschaftskraft und
dem hohen internationalen Vertrauensvorschuss Orientierung für
einen ganzen Kontinent geben würde, der in vielerlei Hinsicht
seine Richtung verloren hatte. Erwartet wurde, so Jack Spence,
"eine konstruktive und dynamische Rolle, sowohl auf regionaler als
auch auf globaler Ebene".
3 Zu welchem Grad hat
Südafrika diese Führungsrolle in Afrika tatsächlich
eingenommen? Welche Faktoren haben das Ausüben dieser Rolle
befördert oder behindert?
Merkmale einer regionalen Führungsmacht
Seit einigen Jahren spielt die Frage nach der Bedeutung "neuer"
regionaler Führungsmächte in der deutschen und
internationalen Forschung eine zunehmende Rolle.
4 Dabei herrscht weder
Einigkeit darüber, wie das Postapartheid-Südafrika am
besten zu kategorisieren, noch darüber, wie seine Rolle auf
dem afrikanischen Kontinent genau einzuschätzen sei. So wird,
um nur einige Begriffe zu nennen, das Land als "aufstrebende
Mittelmacht", "regionale Führungsmacht", "hegemonische Macht"
oder "Zivilmacht" bezeichnet.
5 Zum einen kann bei der Frage "Was
macht eine regionale Führungsmacht zur Führungsmacht?"
die Anwendung materieller Machtressourcen (politisch,
wirtschaftlich, militärisch), zum anderen die ideelle
Führung einer Region untersucht werden. Dabei wird zwischen
verschiedenen Politikfeldern wie Sicherheits- oder
Wirtschaftspolitik unterschieden. Die Mehrzahl der Autoren
definiert Mittelmächte oder regionale Führungsmächte
nicht allein über objektive Kriterien wie Machtmittel
(Bruttoinlandsprodukt, Truppenstärke etc.), um sie von weniger
einflussreichen Staaten abzugrenzen, sondern als selbstgeschaffene
Identität oder Ideologie für außenpolitisches
Handeln.
6
Deswegen ist sowohl die Selbstwahrnehmung, also die Bereitschaft
zur Führung, als auch die Akzeptanz dieser Führung zu
beachten. Schließlich ist die Bezugsgröße
entscheidend: Die Rolle Südafrikas in der "Kernregion", dem
südlichen Afrika (markiert durch die Mitgliedschaft in der
Regionalorganisation Southern African Development Community, SADC),
wird unterschieden von der in ganz Afrika. Es zeigt sich, dass
Südafrika zwar insgesamt eine regionale Führungsposition
einnimmt, diese aber in verschiedenen Politikfeldern
unterschiedlich ausfüllt. Zudem schränken ein
widersprüchliches Selbstbild, interne Herausforderungen und
die mangelnde Akzeptanz in der Region diese Position deutlich ein.
Materielle Machtressourcen
Trotz oftmals völlig unterschiedlicher
Untersuchungsansätze besteht in der Forschung Einigkeit darin,
dass eine regionale Führungsmacht prinzipiell über
Größe und Ressourcen verfügen muss, um eine Region
beeinflussen bzw. die Nachbarstaaten führen zu können.
Dies scheint im Fall von Südafrika sowohl für das
südliche Afrika als auch für den gesamten Kontinent
gegeben: Zwar steht das Land gemessen an der
Bevölkerungsgröße mit ca. 49 Millionen
Einwohnerinnen und Einwohnern international "nur" an 25. Stelle, in
Afrika ist es aber hinter Nigeria, Äthiopien, Ägypten und
der Demokratischen Republik Kongo das fünftgrößte,
im südlichen Afrika sogar das zweitgrößte Land.
Entscheidend ist allerdings seine wirtschaftliche und politische
Bedeutung. Südafrika verfügt als einziges Land des
subsaharischen Afrikas über eine international
wettbewerbsfähige Industrie und trägt in
Kaufkraftparitäten ca. 32 Prozent zum gesamten
Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Afrika bei. Das BIP Südafrikas
ist fast viermal größter als das der
zweitgrößten Ökonomie Ägypten.
7 Großkonzerne wie
SABMiller, AngloAmerican oder Sasol sind nicht nur in Afrika,
sondern weltweit aktiv, der Bankensektor mit den "großen
Vier" Standard Bank, Absa, First National und Nedbank gut ausgebaut
und - trotz weltweiter Finanzkrise - sehr stabil. Im Hinblick auf
die militärische Leistungskraft fällt das Bild gemischter
aus, trotzdem gilt die South African National Defence Force als
eine der schlagkräftigsten auf dem Kontinent. Die
Streitkräfte beschäftigen 59 800 Soldaten, weniger als
etwa Nigeria mit knapp 80 000 Soldaten, dafür sind die
Militärausgaben mit 3,53 Millionen US-Dollar (2006) im
afrikanischen Vergleich sehr hoch.
8 Armee, Marine und Luftwaffe sind
mit modernem Gerät ausgestattet, die für rasche
Truppenverlegungen und damit für regionale und internationale
Militäreinsätze bedeutsame Kapazität von
Transportflugzeugen ist allerdings eingeschränkt.
9 Seit 1994
hat das vormals isolierte Südafrika mehr als 40 diplomatische
Vertretungen in Afrika eröffnet und die Zahl der bilateralen
Kommissionen stark erhöht. Im Jahr 2007 bestanden 13 solcher
Kommissionen, unter anderem mit Marokko, dem einzigen afrikanischen
Staat, der nicht Mitglied der 2002 gegründete African Union
ist.
10
Südafrika ist damit im Gegensatz zu vielen anderen
afrikanischen Ländern auf dem gesamten Kontinent vertreten.
Allerdings wird sowohl in Gesprächen mit Diplomaten des
südafrikanischen Ministeriums für Internationale
Beziehungen und Entwicklung wie auch in der Literatur festgestellt,
dass "Einstellung, Beschäftigung und Karrieremanagement von
versierten außenpolitischen Praktikern eine Achillesferse des
Außenministeriums"
11 sind. Das Ministerium ist
deswegen zum Teil nur schwerlich in der Lage, seine
außenpolitischen Ziele durchzusetzen. Am bemerkenswertesten
ist die Ausbreitung der südafrikanischen Wirtschaft in Afrika
und hier vor allem im südlichen Afrika. Der Handel mit dem
Rest des Kontinents erhöhte sich zwischen 1993 und 2003 um 328
Prozent. Südafrikas Direktinvestitionen im Ausland stiegen von
8 Milliarden Rand 1996 auf 26 Milliarden im Jahr 2000. Im Handel
mit dem afrikanischen Kontinent erzielt das Land einen großen
Überschuss: 2003 standen Importen im Wert von 13 Milliarden
Rand Exporte in Höhe von 39 Milliarden gegenüber.
12 Die
Ausbreitung südafrikanischer Konzerne wie der Handelsketten
Shoprite Checkers und Game geht im südlichen Afrika so weit,
dass unter Forschern linker Provenienz bereits eine Diskussion
über die Natur des "Sub-Imperialismus" Südafrikas
entbrannt ist.
13 Wirtschaftlich ist das Land
sicherlich der bedeutendste Akteur auf dem afrikanischen Kontinent.
Insgesamt sagen die materiellen Machtressourcen allerdings wenig
darüber aus, wie groß der Einfluss Südafrikas
tatsächlich ist. Dafür müssen die ideellen
Ressourcen, der Führungsanspruch und die Akzeptanz in der
Region in den Blick genommen werden.
Führungsanspruch und Akzeptanz in der Region
Zwei Hauptelemente prägen die ehrgeizigen internationalen
Bemühungen des Landes seit dem Ende der Apartheid: zum einen
die eigene friedliche Transformation, zum anderen die afrikanische
Identität. Während erstere ein demokratisches Gemeinwesen
hervorbrachte, ist letztere eine starke Triebkraft sowohl für
den Kampf gegen die "globale Apartheid", also die Ungleichheit
zwischen Nord und Süd, als auch für die Vertretung
Afrikas auf globaler Ebene sowie das große Engagement auf dem
afrikanischen Kontinent selbst. Südafrikas erster demokratisch
gewählter Präsident Nelson Mandela vertrat eine explizit
normengeleitete Außenpolitik. Bereits 1992 erklärte er,
die zentrale außenpolitische Aufgabe Südafrikas sei es,
"ein Freund jeder Nation in der Welt zu sein".
14 Die Verbreitung von
Demokratie und Menschenrechten sollte nach der geglückten
Transformation des Landes den Stützpfeiler der
Außenpolitik bilden. Der ANC-Regierung wurden allerdings
umgehend die Grenzen der Gefolgschaft für normenbasiertes
Handeln aufgezeigt. Dies verdeutlichten die Reaktionen auf Mandela,
als dieser 1995 das nigerianische Regime unter General Sani Abacha
wegen der Exekution des Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa und acht
seiner Mitstreiter öffentlich anprangerte und den
südafrikanischen Botschafter aus Nigeria abzog. Mit dieser
unilateralen Handlung durchbrach Mandela die Solidaritätsnorm
der afrikanischen Staaten. Die Frage nach der Identität
Südafrikas und zu welchem Ausmaß das Land denn wirklich
ein "afrikanischer Staat" oder doch nur ein "Lakai" des Westens
sei, rückte in Mittelpunkt. Dies gipfelte in der Feststellung
des damaligen nigerianischen Außenministers, Südafrika
sei "ein weißes Land mit einem schwarzen Präsidenten".
15 Auf
dem afrikanischen Kontinent hat das Land seitdem in erster Linie
eine "Strategie der kooperativen Hegemonie"
16 verfolgt. So nahm
Südafrika 2002 unter Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki eine
Schlüsselrolle bei der Gründung der African Union (AU)
ein. Mbeki wirkte auch als treibende Kraft der New Partnership for
Africa's Development (NEPAD), die im Juli 2001 von den
afrikanischen Staats- und Regierungschefs in Sambias Hauptstadt
Lusaka beschlossen wurde. Kerngedanke von NEPAD ist es, durch gute
Regierungsführung zu Wachstum und Entwicklung in Afrika
beizutragen. Das wesentliche Element bildet der African Peer Review
Mechanism (APRM), der sicherstellen soll, dass die Prinzipien guter
Regierungsführung von den NEPAD-Mitgliedsländern
eingehalten werden. 2001 war Südafrika ebenfalls
maßgeblich beteiligt an der umfassenden Reform der SADC. 1980
war die SADC (damals noch SADCC) als Gegengewicht der
Frontlinienstaaten zum Apartheid-Südafrika gegründet
worden. Die Strategie der "kooperativen Hegemonie" sieht vor, dass
die regionale Führungsmacht öffentliche Güter zur
Verfügung stellt, also zu einem guten Teil die Lasten für
Aufbau und Bestand von Institutionen trägt.
17 Neben AU, NEPAD und SADC
ist die Zollunion des südlichen Afrika (South African Customs
Union, SACU) ein Beispiel dafür: Die gesamten Einnahmen der
ältesten Zollgemeinschaft der Welt werden unter den
Mitgliedern Südafrika, Botswana, Lesotho, Swasiland und
Namibia aufgeteilt. Der Verteilungsschlüssel bevorzugt die
kleinen Staaten der Union überproportional, eine Tatsache, die
in Südafrika teilweise als eine versteckte Form der
Entwicklungshilfe wahrgenommen wird und zumindest dem
südafrikanischen Finanzministerium beständig ein Dorn im
Auge ist. Schließlich finanziert Südafrika zu einem
wesentlichen Teil das Panafrikanische Parlament der AU mit Sitz im
südafrikanischen Midrand. Diese signifikanten Vorleistungen
zur Bildung multilateraler Organisationen und das Vorangehen
innerhalb der Institutionen müssen als Führungsanspruch
der südafrikanischen Regierung sowohl im südlichen Afrika
als auch auf dem gesamten Kontinent gewertet werden. Die Einbindung
in multilaterale Institutionen auf dem afrikanischen Kontinent
zeigt sich auch deutlich in der Sicherheits- und
Militärpolitik - die neue afrikanische Friedens- und
Sicherheitsarchitektur hat eine starke südafrikanische
Prägung. Auch hier machte ein Ereignis schon früh die
Begrenzungen südafrikanischer Vorherrschaft und die mangelnde
Akzeptanz nationaler Alleingänge deutlich: Im September 1998
marschierten 600 südafrikanische Soldaten im kleinen
Nachbarstaat Lesotho ein, um gewaltsame Ausschreitungen nach
umstrittenen Parlamentswahlen zu beenden. "Operation Boleas" wurde
zwar durch 200 Soldaten aus Botswana unterstützt und hastig
als SADC-Einsatz ausgewiesen. Das de facto unilaterale Vorgehen
wurde aber von anderen Nachbarn kritisiert und verminderte die
regionale Akzeptanz von Südafrikas Führerschaft. Ein
weiterer Beleg für das regionale Engagement Südafrikas
sind die zahlreichen Vermittlungsbemühungen der
Präsidenten Mandela und Mbeki. Erfolgreich verliefen diese in
dem Konflikt zwischen Angola und Simbabwe 1994 und bei internen
Krisen in der DR Kongo seit 1999 sowie in Burundi seit 2000. Im
AU-Rahmen ist Südafrika zudem einer der engagiertesten
Truppensteller. Zu Beginn 2009 stellte die südafrikanische
Armee ungefähr 3400 Soldaten für UN- und AU-Missionen auf
dem afrikanischen Kontinent ab. Weniger erfolgreich verliefen die
diplomatischen Bemühungen in Nigeria (1995), Marokko und
Westsahara (1996), Zaire (1997) sowie in jüngster Zeit in
Simbabwe und Swasiland.
18 Südafrika ist eindeutig
nicht in der Lage, als regionale Führungsmacht
Verhandlungslösungen zur Beendigung von Konflikten zu
erzwingen. Der Einsatz von Truppen beschränkt sich auf
Friedensmissionen, die durch SADC, AU oder die Vereinten Nationen
sanktioniert sind. Ganz anders stellt sich das Bild bei der
Expansion südafrikanischer Unternehmen dar, die durch die
Politik flankiert wird: In Handelsfragen hat Südafrika
häufig aus Eigeninteresse und ohne Rücksichtnahme
gehandelt. So weigerte sich das Land im Dezember 2007, das Economic
Partnership Agreement (EPA) zu unterzeichnen, das die anderen
SACU-Partner mit der Europäischen Union (EU) ausgehandelt
hatten. Die Regierung erklärte, dass wesentliche Teile des
Abkommens dem Land die Freiheit bei der Gestaltung seines
Handelsregimes nähmen und somit der heimischen Wirtschaft
schaden könnten. Die eigenmächtige Entscheidung
führte zu Spannungen mit den von Botswana angeführten
anderen SACU-Mitgliedern, die zu einer Vereinbarung mit den
Europäern kommen wollten. Bereits im Jahr 1999 hatte
Südafrika gegen das SACU-Abkommen verstoßen und ein
bilaterales Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnet, ohne die
Partner zu konsultieren.
19 Mit Südafrikas
dominierender Industrie im Rücken setzte sich Präsident
Mbeki auch auf regionaler Ebene für die Liberalisierung der
Handelsregime ein. So sind die SADC-Zollunion und -Freihandelszone
vor allem im Interesse der südafrikanischen Industrie, die
mehr als zwei Drittel des gesamten BIPs der SADC erwirtschaftet.
Auch die erwogene Harmonisierung der Vorschriften in der SADC und
den beiden anderen Regionalorganisationen COMESA (Common Market for
Eastern and Southern Africa) und EAC (East African Community) kann
vor diesem Hintergrund gesehen werden. Bei den Nachbarn besteht
erhebliches Misstrauen, dass Südafrika den Abbau der
Zollgrenzen einseitig zum Vorteil der eigenen Großkonzerne
ausnutzen könnte. So schützte das Land seine
Textilindustrie über nichttarifäre Handelshemmnisse
(Ursprungsregeln) gegenüber Importen aus anderen
SADC-Ländern wie zum Beispiel Malawi, während die
Regierung gleichzeitig massiv auf den Abbau der Zölle
drängte.
20 Im Politikfeld Handel und
Wirtschaft besteht somit die größte Interessendivergenz
mit dem Rest des südlichen Afrikas. Der Führungsanspruch
Südafrikas in diesem Bereich wird äußerst
misstrauisch beobachtet, die Bereitschaft zur Gefolgschaft ist nur
eingeschränkt vorhanden.
Beschränkung südafrikanischer Hegemonie
Der damalige Präsident Mbeki vermied die Formulierung eines
allzu deutlichen Führungsanspruchs in Afrika. Seine Regierung
war geradezu übervorsichtig, nicht als "regionaler Rüpel"
oder Hegemon dazustehen. Die offizielle Sprachregelung lautet
vielmehr bis heute, "Verantwortung" für den Kontinent zu
übernehmen. Neben den Vorbehalten gegenüber der
wirtschaftlichen Dominanz Südafrikas muss die
Führungsfunktion des Landes aus weiteren Gründen als
eingeschränkt gelten: • Südafrika trägt schwer
an dem historischen Ballast des Apartheidregimes. Mit seiner
Politik der regionalen Destabilisierung verursachte dieses bei den
Nachbarn ein tiefsitzendes Misstrauen. Aus diesem Grund verbietet
es sich für südafrikanische Entscheidungsträger bis
heute, einen Führungsanspruch offensiv zu formulieren. Dies
hat in der Konsequenz zu einem widersprüchlichen Selbstbild im
Hinblick auf regionale Führung geführt. • Die
Staatschefs anderer Länder wie Simbabwe und Angola oder auf
kontinentaler Ebene Libyen und Nigeria verfolgen eigene hegemoniale
Interessen. Als Beispiel kann die Rivalität zwischen
Südafrika und Simbabwe um die Führerschaft im SADC-Organ
für Politik, Verteidigung und Sicherheit gelten. Noch 2003 kam
Maxi Schoeman zu dem Schluss: "Simbabwe wird noch immer als ein
(wenn nicht der) politische(r) Anführer in der Subregion
angesehen."
21 Im subsaharischen Afrika wird
oftmals Nigeria, das ebenfalls stark in AU-Friedensmissionen
engagiert ist, als Sprecher Afrikas betrachtet. • Die von
Südafrika vertretenen liberaldemokratischen Werte werden
oftmals mit dem Norden in Verbindung gebracht. Autoritär
regierende Herrscher haben zudem naturgemäß nur geringes
Interesse an der Verbreitung demokratischer Werte. Südafrikas
Postapartheid-Demokratie wird demzufolge keineswegs von allen
Staats- und Regierungschefs in Afrika als Vorbild akzeptiert.
• Die materiellen Kapazitäten Südafrikas für
Friedensmissionen, diplomatische Aktivitäten und eine
Führungsrolle auf dem Kontinent wurden im In- und Ausland
überschätzt. Innenpolitische Probleme wie massive Armut,
Ungleichheit und Arbeitslosigkeit binden die meisten Ressourcen des
Landes. Demgemäß waren die fünf Prioritäten
des ANC im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen im April 2009
Bildung, Gesundheit, Kriminalitätsbekämpfung,
Beschäftigung und ländliche Entwicklung (und nicht
Außenpolitik). • Im Laufe der Zeit hat sich gezeigt,
dass das Eintreten für die Menschenrechte auch in
Südafrika mit nationalen Interessen abgewogen wird. Die
Weigerung Mbekis, das simbabwische Regime unter Robert Mugabe zu
kritisieren, oder als nichtständiges Mitglied im
UN-Sicherheitsrat (von 2007 bis Ende 2008) einer Verurteilung der
Regime in Myanmar, Sudan und Simbabwe zuzustimmen, haben der
moralischen Autorität der Regenbogennation Schaden
zugefügt. Demgegenüber hat die südafrikanische
Regierung ihren Führungsanspruch auf der globalen Ebene sehr
viel deutlicher artikuliert. Auch ist die Akzeptanz der
Führungsrolle im Norden schon immer höher gewesen als in
Afrika selbst. Durch den friedlichen Umbruch, die Beteiligung an
multilateralen Friedensmissionen und Entscheidungen wie die
Beendigung des Atomwaffenprogramms aus Apartheidzeiten genoss
Südafrika einen hohen Vertrauensvorschuss. Diesen nutzte die
Regierung, um als globaler Brückenbauer zwischen Nord und
Süd und im Laufe der Zeit immer stärker als Sprecher
Afrikas aufzutreten. Mit dem Begriff der "afrikanischen
Wiedergeburt" war Thabo Mbeki lange Zeit sehr erfolgreich darin,
den Kontinent auf die Tagesordnung internationaler Gipfel und
Konferenzen zu bringen. Schon seit langem betont Südafrika die
Notwendigkeit einer Reform der Strukturen globaler
Regierungsführung, um die "globale Apartheid" zu
überwinden. Deutlichster Ausdruck des Führungsanspruchs
auf globaler Ebene ist das Bestreben Südafrikas, im Zuge der
UN-Reform einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat zu erhalten.
Dieses Anliegen wird indes ebenfalls keineswegs von allen
afrikanischen Staaten unterstützt.
Südafrika - eingeschränkte Führungsmacht
Seit dem demokratischen Übergang agiert Südafrika in
Afrika und - noch viel stärker - im südlichen Afrika als
regionale Führungsmacht. Die regionale Führung des Landes
unterliegt allerdings gravierenden Einschränkungen und
äußert sich in verschiedenen Politikfeldern
unterschiedlich. Gerade in der unmittelbaren Phase nach dem Ende
der Apartheid bildete die normative Orientierung an Frieden,
Menschenrechten, Demokratie und Multilateralismus den Kern
südafrikanischer Außenpolitik. Das Land war am Aufbau
der neuen Architektur des afrikanischen Kontinents maßgeblich
beteiligt, hat wesentlich zur Schaffung von Institutionen wie AU,
NEPAD, SADC beigetragen und leistet bis heute
überproportionale Beiträge zur Stärkung dieser
Institutionen. Diese Strategie kann als "kooperative Hegemonie" und
als Ausdruck eines Führungsanspruchs verstanden werden, der
nicht nur den Interessen Südafrikas, sondern des gesamten
Kontinents dient. Vor allem die Mbeki-Regierung war darum
bemüht, auf keinen Fall als "regionaler Bulldozer" dazustehen.
Dies umso mehr, als das Verhalten in Wirtschafts- und Handelsfragen
nicht durchgehend als kooperative Hegemonie gedeutet werden kann.
Zwar hat Südafrika versucht, die Interessen des Südens zu
vertreten (z.B. im Rahmen der Welthandelsorganisation), allerdings
besteht eine signifikante Interessendivergenz mit den meisten
Ländern Afrikas im Bereich der Handelsliberalisierung. Das
Abwägen zwischen Werten und Interessen ist ein normaler
Prozess der Außenpolitik. Im Fall von Südafrika hat
dieser Prozess der Normalisierung allerdings zu
Widersprüchlichkeit und zur Entwertung des eigenen
"moralischen Kapitals" geführt. Gerade die Haltung im Bezug
auf Menschenrechte macht dies deutlich: Nicht selten kollidiert
deren Förderung mit Normen afrikanischer Solidarität.
Trotz der Institutionalisierung der Menschenrechte durch die AU und
die afrikanische Charta der Menschenrechte, mannigfaltige
Beteiligung an Friedensmissionen und der Unterstützung des
Internationalen Strafgerichtshofs ist Südafrika in Fällen
wie Simbabwe oder Sudan zurückhaltend geblieben. Diese
Entwicklung südafrikanischer Außenpolitik ist wohl nicht
nur der zunehmenden Sozialisierung mit Normen der
Süd-Süd-Kooperation geschuldet, sondern auch der eigenen
zwiespältigen Identität und der Einsicht, dass die
eigenen Mittel beschränkt sind. In der Euphorie der
Postapartheidzeit wurden die südafrikanischen Machtressourcen
im In- und Ausland weit überschätzt. Unterschiede zeigen
sich auf subregionaler, regionaler und globaler Ebene: Auf
wirtschaftlichem und militärischem Gebiet muss Südafrika
gerade im südlichen Afrika als Führungsmacht gesehen
werden. Interne Herausforderungen und mangelnde Akzeptanz setzen
seinem Einfluss jedoch Grenzen. Auch im Hinblick auf Gesamtafrika
kann das Land als regionale Führungsmacht betrachtet werden.
Doch auch hier ist eine Differenzierung nach Politikfeldern
notwendig: Die Führung durch "kooperative Hegemonie" in
multilateralen Organisationen ist auf dem Gebiet der
Sicherheitspolitik am stärksten ausgeprägt.
Schließlich wird Südafrikas regionale Führungsrolle
weltweit stärker akzeptiert als von den Staaten in der Region
selbst. Es ist allerdings auch hier eine Normalisierung
eingetreten: Das Land steht nicht mehr, wie noch den 1990er Jahren,
als "Liebling"
22der internationalen Gemeinschaft
da. Wie geht es nun weiter mit Südafrikas Rolle als regionale
Führungsmacht? In den Mühen der Ebene werden nun wohl
weniger große Konzepte wie die "afrikanische Wiedergeburt"
auf der Agenda stehen. Es ist abzusehen, dass Südafrika neben
globalen Aktivitäten, zum Beispiel als Mitglied der G20, einen
(noch) stärkeren Akzent auf seine unmittelbare Umgebung, also
das südliche Afrika, legen wird. Dies deutet der Staatsbesuch
von Präsident Jacob Zuma beim subregionalen Rivalen Angola an,
zu dem lange Zeit schlechte Beziehungen bestanden. Südafrika
wird außerdem weiter eine tragende Rolle in den
multilateralen Institutionen des Kontinents spielen, sei es im
Hinblick auf regionale Integration, Vermittlung oder
Friedensmissionen. Das Spannungsverhältnis zwischen
verschiedenen Identitäten und die ambivalente Haltung zur
Hegemonie werden auf absehbare Zeit bestehen bleiben: Die
vorgesehene Gründung der South African Development Partnership
Agency deutet zwar an,
23 dass Südafrika auch
weiterin eine Führungsrolle auf dem Kontinent ausüben
will, ohne dass jeweils in allen Fällen direkte Vorteile
für das Land ersichtlich wären. Aber ebenso sieht die
Regierungspartei ANC in ihren Parteitagsbeschlüssen von
Polokwane im Dezember 2007 eine Stärkung der
Außenwirtschaftsförderung durch die diplomatischen
Vertretungen vor. In diesem Politikfeld ist damit weiter ein
interessengeleitetes Handeln Südafrikas zu erwarten.
Paradoxerweise könnte gerade der vor der Parlamentswahl im
April 2009 umstrittene Präsident Zuma als Pragmatiker und
Populist der Richtige sein, um die Gegensätze auf regionaler
und globaler Ebene besser auszutarieren und die Akzeptanz
Südafrikas in Afrika zu erhöhen.
1 Dieser Ausdruck
wird Nelson Mandela zugeschrieben, zit. in: David White, Moving on
in South Africa, in: Survival, 51 (2009) 4, S. 149-158, hier S. 150
(alle Übersetzungen CvS).
2 Vgl. Nelson Mandela, South Africa's
Future Foreign Policy, in: Foreign Affairs, 72 (1993) 5, S. 86-97,
hier S. 87.
3 Jack Spence, South Africa's Foreign
Policy: Vision and Reality, in: Elizabeth Sidiropoulos (ed.), South
Africa's Foreign Policy 1994-2004: Apartheid Past, Renaissance
Future, Johannesburg 2004, S. 35-48, hier S. 36; Adebayo Adedeji
(ed.), South Africa and Africa: Within or Apart?, London 1996, S.
4-27.
4 Genannt sei das "Ankerlandkonzept" des
Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) sowie das
Regional Powers Network und entsprechende Publikationen des GIGA
German Institute of Global and Area Studies
(www.giga-hamburg.de/projects/rpn). Zum Ankerlandkonzept vgl.
Andreas Stamm, Schwellen- und Ankerländer als Akteure einer
globalen Partnerschaft, DIE Discussion Paper 1, Bonn 2004.
5 Vgl. Maxi Schoeman, South Africa as an
Emerging Middle Power: 1994-2003, in: John Daniel u.a. (eds.),
State of the Nation, Cape Town 2003, S. 349-367; Daniel Flemes,
Regional Power South Africa: Co-operative Hegemony Constrained by
Historical Legacy, in: Journal of Contemporary African Studies, 27
(2009) 2, S. 135-157; Chris Alden/Garth Le Pere, South Africa's
Post-apartheid Foreign Policy: From Reconciliation to Ambiguity?,
in: Review of African Political Economy, (2004) 100, S. 283-297;
Gero Erdmann, Südafrika: Regionaler Hegemon, Mittel- oder
Zivilmacht?, in: Jörg Husar u.a. (Hrsg.), Neue
Führungsmächte: Partner deutscher Außenpolitik?,
Baden-Baden 2009, S. 99-121; Siegmar Schmidt, Zivilmacht
Südafrika?, in: Helga Dickow u.a. (Hrsg.), Entwicklung als
Beruf. Festschrift für Peter Molt, Baden-Baden 2009, S.
85-100.
6 Vgl. Detlef Nolte, Macht und
Machthierarchien in den internationalen Beziehungen: Ein
Analysekonzept für die Forschung über regionale
Führungsmächte, GIGA Working Paper 29, Hamburg 2006, S.
26f.
7 Vgl. Tim Hughes, South Africa: The
Contrarian Big African State, in: Christopher Clapham u.a. (eds.),
Big African States, Johannesburg 2006, S. 155-185, hier S.
156.
8 Vgl. International Institute of
Strategic Studies, The Military Balance 2008, London 2008.
9 Vgl. Gero Erdmann, Südafrika -
afrikanischer Hegemon oder Zivilmacht?, GIGA Focus Afrika 2,
Hamburg 2007, S 4.
10 Vgl. Maxi Schoeman, South Africa in
Africa: Behemoth, Hegemon, Partner or "Just another Kid on the
Block"?, in: Adekye Adebajo u.a. (eds.), South Africa in Africa:
The Post-Apartheid Era, Pietermaritzburg 2007, S. 92-104, hier S.
98.
11 Tim Hughes, Has South Africa's
foreign policy influence peaked?, Johannesburg 2009; vgl. auch D.
White (Anm. 1), S. 157.
12 Vgl. John Daniel/Jessica Lutchman,
South Africa in Africa: Scrambling for Energy, in: Sakhela Buhlungu
u.a. (eds.), State of the Nation, South Africa 2005-2006, Cape Town
2006, S. 484-509, hier S. 487; Chris Alden/Mills Soko, South
Africa's Economic Relations with Africa: Hegemony and Its
Discontents, in: Journal of Modern African Studies, 43 (2005) 3, S.
367-392.
13 Vgl. Melanie Samson, (Sub)imperial
South Africa? Reframing the Debate, in: Review of African Political
Economy, (2009) 119, S. 93-113; Patrick Bond, The ANC's "Left Turn"
and South African Sub-imperialism, in: Review of African Political
Economy, (2004) 102, S. 599-616.
14 Zit. in: Simon Tisdall, Where Are
Human Rights in Zuma's Plan?, in: Mail & Guardian vom 21. 4.
2009.
15 Zit. in: Janis van der Westhuizen,
Has South Africa Lost Its Soft Power?, in: Foreign Policy.com blog,
http://experts.foreignpolicy.com/posts/2009/04/10/has_south_
africa_lost_its_soft_power (20. 10. 2009).
16 D. Flemes (Anm. 5), S. 146.
17 Vgl. Miriam Prys, Developing a
Contextually Relevant Concept of Regional Hegemony: The Case of
South Africa, Zimbabwe and "Quiet Diplomacy", GIGA Working Paper
77, Hamburg 2008, S. 11.
18 Vgl. D. Flemes (Anm. 5), S. 145.
Für weitere Informationen siehe die Homepage der
UN-Friedenseinsätze: www.un.org/Depts/dpko/dpko/ (11. 10.
2009).
19 So heißt es in Artikel 31 des
Abkommens: "Kein Mitgliedstaat soll ohne die Zustimmung der anderen
Mitgliedstaaten neue Handelsabkommen mit Drittparteien aushandeln
oder abschließen oder existierende Abkommen verändern."
2002 Southern African Customs Union Agreement, online:
www.sacu.int/main.php?include=docs/legislation/2002-agreement/part5.html
(9. 11. 2009).
20 Vgl. Christian von Soest, Regionale
Integration im südlichen Afrika: Wohin steuert die SADC?, GIGA
Focus, Hamburg 2006, S. 4.
21 M. Schoeman (Anm. 5), S. 361.
22 Elizabeth Sidiropoulos, Die
Außenpolitik Südafrika in der Post-Mbeki-Ära, in:
KAS Auslandsinformationen, (2009) 4, S. 49-73, hier S. 50. Der
bekannte südafrikanische Antiapartheid-Aktivist Neville
Alexander sagte schon früh die "Normalisierung" seines Landes
voraus. Vgl. Neville Alexander, Südafrika - Der Weg von der
Apartheid zur Demokratie, München 2001 (engl. Originaltitel:
"An ordinary country").
23 Vgl. Jacob Zuma, State of the Nation
Address by His Excellency JG Zuma, President of the Republic of
South Africa, Joint Sitting of Parliament, Cape Town, 3. Juni 2009,
online: www.info.gov.za/speeches/2009/09060310551001.htm (10. 10.
2009); zu Südafrikas Entwicklungspolitik siehe Wolfe Braude
u.a., Emerging Donors in International Development Assistance: The
South Africa Case, Ottawa 2008.