Einleitung
Am 22. April 2009 fanden in Südafrika die vierten freien und
allgemeinen Wahlen statt. Von knapp 30 Millionen Wahlberechtigten
gingen 18 Millionen zu den Ur- nen und machten da- mit von einem
Recht Gebrauch, für das ihre schwarzen, "coloured-" oder
indischstämmigen Väter und Mütter jahrzehntelang
gekämpft hatten.
1 Zum vierten Mal war der
Wahlsieger der African National Congress (ANC). Sein Vorsitzender
Jacob Zuma ist der vierte Präsident des "neuen" Südafrika
nach Nelson Mandela, Thabo Mbeki und dem
Übergangspräsidenten Kgalema Motlanthe. Die Dominanz des
ANC - auch 15 Jahre nach seinem ersten Wahlsieg - verleitet manchen
Beobachter dazu, die Demokratie in Südafrika in Zweifel zu
ziehen. Aber wie ist es um das politische System und die Demokratie
in Südafrika wirklich bestellt?
Beginn des "neuen" Südafrika
Erst 1990 hatte die damalige Regierung der Apartheid unter
Präsident Frederik Willem de Klerk Nelson Mandela aus
27-jähriger Haft entlassen, die bislang verbotenen schwarzen
Befreiungsbewegungen wieder zugelassen und die Schaffung einer
neuen Verfassung mit gleichen Rechten für alle
Südafrikanerinnen und Südafrikaner verkündet. Es
folgten Verhandlungen über Machttransfer, Machtteilung, die
politische Zukunft und das politische System des neuen
Südafrika zwischen der regierenden National Party (NP), unter
deren Ägide die Politik der Apartheid institutionalisiert
worden war, und der prominentesten und größten
Befreiungsorganisation, dem ANC.
2 Das Ende des Ost-West-Konflikts
und wirtschaftspolitische Erwägungen hatten die
Konfliktparteien an den Verhandlungstisch gedrängt - die
weiße Minderheit in der Hoffnung, wenigstens ihre
wirtschaftliche Macht retten zu können, den ANC der Wille,
nicht in einem von Bürgerkriegen zerstörten Land die
Macht zu übernehmen. Realpolitische Überlegungen
prägten den Verhandlungsprozess und die neue politische
Ordnung.
3
Das Ergebnis der von Dezember 1991 bis August 1993 dauernden
Gespräche war eine Übergangsverfassung. Darin waren ein
Grundrechtskatalog und eine Liste von Verfassungsprinzipien
enthalten, die nur noch ausgestaltet, aber nicht mehr
verändert werden konnten. Sensibilisiert durch die
Rassendiskriminierung der Vergangenheit, erhielt Südafrika
eine der liberalsten Verfassungen der Welt, was individuelle Rechte
und den Schutz vor Diskriminierungen jeglicher Art betrifft. Was
der ANC hingegen nicht wollte - ebenfalls wegen den Erfahrungen der
Vergangenheit - waren ein kollektiver Minderheitenschutz oder
Volksgruppenrechte, wie von den Verhandlungsführern der
weißen Minderheit gewünscht. Diese verzichteten
schließlich darauf, der ANC aber stimmte einem
Proporzwahlrecht zu, das ethnischen oder politischen Minderheiten
bessere Chancen gibt als ein Mehrheitswahlrecht.
4 Anstelle einer
bundesstaatlichen Verfassung, wie ursprünglich von der NP und
den kleineren Parteien gewünscht, setzte sich der ANC mit
einem Kompromiss durch: Südafrika besteht seitdem aus neun
Provinzen mit gewählten Parlamenten und Regierungen, aber
eingeschränkter Steuerhoheit und begrenzten Kompetenzen.
5
Politische Entwicklungen seit 1994
Die Wahlen im April 1994 endeten mit einem
überwältigenden Sieg für die ehemalige
Befreiungsorganisation. Schon hier zeichnete sich das Muster ab,
das die südafrikanischen Wahlen heute noch prägt: Die
Bevölkerung stimmt überwiegend nach ethnischen
Gesichtspunkten. So votieren Schwarze mehrheitlich für die
Partei, die sie aus der Apartheid geführt hat, den ANC,
Weiße hingegen für eine der anderen Parteien unter
weißer Führung. Schon 1994 ließen sich Stimmen
vernehmen, die dieses Wahlverhalten als eine Bedrohung für die
junge Demokratie ansahen.
6 Nelson Mandela setzte
während seiner fünfjährigen Amtszeit auf Dialog und
Aussöhnung mit der weißen Minderheit. 1999 gewann
wiederum der ANC die Wahlen, diesmal sogar mit einer für
Verfassungsänderungen nötigen Zweidrittelmehrheit. Neuer
Präsident wurde Thabo Mbeki, der im September 2009 einige
Monate vor dem Ablauf seiner zweiten Amtszeit von seiner eigenen
Partei zum Rücktritt aufgefordert wurde. Ihm wurde
vorgeworfen, in eine Intrige gegen seinen innerparteilichen Gegner
Jacob Zuma
7 verwickelt zu sein, die zur
Wiederaufnahme eines Prozesses gegen Zuma wegen
Korruptionsverdacht, Steuerhinterziehung, Betrug und
Geldwäsche geführt hatte. Der Vorwurf gegen Mbeki ist bis
heute noch nicht ausgeräumt. Bis zu den Wahlen im April 2009
hielt Motlanthe, der bisherige Generalsekretär des ANC, den
Stuhl für Zuma warm, der nach den Wahlen und dem erneuten
Wahlsieg des ANC am 9. Mai 2009 als neuer Präsident
Südafrikas vereidigt wurde. Die absolute Mehrheit verfehlte
der ANC diesmal knapp. Der Machtwechsel in Südafrika von der
Herrschaft einer ethnischen Minderheit zur "Regenbogennation" war
friedlich verlaufen. Das Land konnte außerdem auf eine
wesentlich längere Geschichte von politischen Parteien
zurückblicken als andere Länder, in denen
Befreiungsbewegungen die Macht übernommen hatten - auch wenn
die Mehrheit der Bevölkerung von der politischen Teilhabe
ausgeschlossen gewesen war.
8 Somit war schon bei den ersten
Wahlen 1994 eine große Bandbreite von Parteien angetreten.
Die Zahl der Oppositionsparteien ist seitdem gewachsen, da es keine
Sperrminorität oder Direktwahlklauseln gibt.
9 Dennoch wurde die Dominanz
des ANC bislang freilich nicht ernsthaft gefährdet. Die sich
abzeichnende Zersplitterung der Opposition kam 2009 vorerst zu
einem Ende, als sich die Wählerstimmen auf die regierende
Partei und die beiden Oppositionsparteien, die Democratic Alliance
(DA) und den neugegründeten Congress of the People (COPE),
konzentrierten.
10
African National Congress
Der ANC blickt auf eine lange Geschichte zurück - nicht als
Partei, sondern als Befreiungsbewegung.
11 Er wurde 1912 als
Interessensvertretung der schwarzen und "coloured" Bevölkerung
gegründet und forderte die vollen Bürgerrechte für
alle Südafrikanerinnen und Südafrikaner. Dafür trat
er lange Zeit mit ausschließlich friedlichen Mitteln wie
Streiks und Boykotte ein und blieb selbst nach der
Machtübernahme der NP 1948 dabei. 1955 verabschiedete er die
Freedom Charter, die bis zu seiner Wiederzulassung 1990 sein
politisches Manifest blieb und heute noch die Grundlage der
südafrikanischen Verfassung für ein freies,
nichtrassisches Südafrika darstellt. Nachdem der friedliche
Protest erfolglos geblieben war, die Repressionen gegen die
schwarze Bevölkerung aber zunahmen, gründete der ANC 1961
einen bewaffneten Flügel - Umkonto we Sizwe (Zulu: "Speer der
Nation"). Zu seinen Gründungsmitgliedern gehörte auch
Nelson Mandela. Die Organisation sollte Sabotageakte gegen
Infrastruktur, Polizeibüros und anderes mehr verüben.
Anfang der 1960er Jahre verbot die NP den ANC, Umkhonto we Sizwe
und andere oppositionelle Bewegungen. Die Führer des ANC
wurden entweder auf Robben Island inhaftiert wie Nelson Mandela und
viele seiner Weggefährten, oder gingen ins Exil in andere
Länder Afrikas, in die Sowjetunion oder nach
Großbritannien, wie der ehemalige Präsident Mbeki. Er
kehrte nach 30 Jahren (1990) zurück und war maßgeblich
an den Verhandlungen mit der weißen Regierung beteiligt. Auch
der Pan Africanist Congress (PAC), der sich 1959 vom ANC
abgespalten hatte, war von der Apartheid-Regierung verboten worden.
Im Gegensatz zum ANC, der Freiheit für alle Südafrikaner
ohne Unterschied der Herkunft anstrebte, setzte der PAC auf eine
Politik ausschließlich zugunsten der schwarzen Mehrheit.
Prägend für die ideologische Bandbreite des ANC wurde
seit den Jahren des Exils die sogenannte Dreier-Allianz: das
Bündnis mit den Gewerkschaften und der South African Communist
Party (SACP). Die SACP war schon 1953 verboten worden, und viele
ihrer Mitglieder traten danach dem ANC bei. Die beiden
Allianzpartner sind bis heute innerhalb des ANC verankert und
spielen in der Parteipolitik eine entscheidende Rolle. Das
äußerte sich nicht zuletzt im Machtkampf zwischen Thabo
Mbeki und dem damaligen Vizepräsidenten Jacob Zuma beim
Parteitag im Dezember 2007 in Polokwane. Mbeki, der sich nicht mehr
um eine dritte Amtszeit als Präsident des Landes, wohl aber
als ANC-Vorsitzender bewerben konnte, erlitt eine herbe Niederlage
gegen Zuma. Es waren vor allem der linke Flügel und auch die
ANC Youth League unter der Führung von Julius Malema, die
für Zuma stimmten. Damit war seit Polokwane auch klar, wer der
nächste Präsidentschaftskandidat des ANC sein würde:
der wegen Korruption und Vergewaltigung wiederholt angeklagte, aber
immer freigesprochene Zuma - wie Mbeki politisches Urgestein des
ANC. Sie waren politische Weggefährten und Freunde gewesen.
12 Auch
Zuma hatte viele Jahre im Exil verbracht und den Geheimdienst des
ANC von Lusaka/Sambia aus geleitet. Allerdings ist Mbeki Teil der
ANC-Aristokratie, er gehört zum Volk der Xhosa, wie Mandela
auch. Sein Vater Govan Mbeki war zusammen mit Mandela auf Robben
Island in Haft gewesen und 1987 freigelassen worden.
13 Zuma stammt dagegen
aus einer armen Familie aus der Provinz KwaZulu Natal und hat sich
vom analphabetischen Hirtenjungen zum erfolgreichen Politiker
hochgearbeitet. Auch er musste einige Jahre in Haft auf Robben
Island verbringen. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein
Machtkampf zweier gleichaltriger Männer, ist im Grunde ein
Kampf zwischen den verschiedenen Flügeln des ANC, der immer
noch dabei ist, sich von einer Befreiungsbewegung zu einer Partei
zu wandeln. Aus der Zeit des Exils und des bewaffneten Kampfes ist
der Partei nämlich - trotz aller demokratischen Ansprüche
an die Basis - eine Art geheime Kommandostruktur geblieben.
Wichtige Entscheidungen werden im inneren Zirkel gefällt.
Andere Gruppen fühlen sich ausgeschlossen - wie zum Beispiel
häufig der Dachverband der Gewerkschaften (Cosatu). Bei der
Wahl Zumas setzte sich der linke Flügel durch. Das Ergebnis
spiegelte die Stimmung der enttäuschten ANC-Basis wider,
insbesondere auch der marginalisierten Jugend. Viele Jugendliche
wohnen in den schwarzen Wohngebieten, den (ehemaligen) Townships.
Die Zeit der Apartheid haben sie zwar nicht mehr bewusst miterlebt,
aber deren Folgen - schlechte Bildungschancen, hohe
Arbeitslosigkeit, mangelhafte Infrastruktur - bekommen sie noch
immer zu spüren. Vielfältige Programme - die Versorgung
mit Wohnraum, Elektrizität oder Wasser, vor allem aber die
bevorzugte Einstellung von Schwarzen im privaten und
öffentlichen Sektor (affirmative action) - sind bei den ganz
Armen nicht angekommen. Dass die Bereitstellung vieler
öffentlicher Leistungen (service delivery) misslang, lag nicht
zuletzt auch an der Korruption in den Reihen des ANC. Die
Ausländerhatz in den Townships im Mai 2008, bei denen rund 70
Einwanderer getötet und viele weitere verletzt und vertrieben
wurden, war ein trauriges Resultat der vorhandenen Frustration und
der Unfähigkeit des amtierenden Präsidenten Mbeki, auf
die eskalierende Situation zu reagieren. Immer deutlicher wird die
Schwäche der vom ANC eingesetzten Lokalverwaltungen, die nicht
in der Lage sind, mit den dringenden Problemen der Bevölkerung
in den - wie es heißt - ehemals benachteiligten Gegenden
angemessen und kompetent umzugehen. In ihrer Hilflosigkeit wendet
sich die Bevölkerung gegen die Symbole dieser
Repräsentanz: Landesweit werden Verwaltungsgebäude und
andere öffentliche Einrichtungen niedergebrannt und somit die
ohnehin schon spärliche Infrastruktur weiter zerstört.
Immer häufiger steht - wie zu Apartheidzeiten - die Armee in
den Townships einer aufgebrachten Menge gegenüber.
Congress of the People
Im September 2008 musste Thabo Mbeki auf Geheiß des
ANC-Zentralkomitees vorzeitig als Präsident zurücktreten,
da er nach seiner Niederlage in Polokwane angeblich die Aufnahme
des Korruptionsverfahrens gegen seinen Rivalen Zuma betrieben
hatte. Mbeki, der sein Leben in den Dienst des ANC gestellt hatte,
wehrte sich nicht gegen die Demütigung durch die Parteispitze
kurz vor Ablauf seiner Amtszeit, sondern rief die Partei zur
Einheit auf. Diese schien ihr abhanden gekommen zu sein, und ihre
Vormachtstellung war zum ersten Mal seit der Wahl 1994 in Frage
gestellt. Mit dem Congress of the People, kurz COPE, spaltete sich
eine neue Partei vom ANC ab, deren Mitglieder unter anderem vom
Umgang mit Mbeki enttäuscht waren. Treibende Kräfte waren
ANC-Dissidenten wie der ehemalige Verteidigungsminister Mosioua
"Terror" Lekota und der ehemalige Premier der Provinz Gauteng und
frühere Gewerkschaftsführer Mbhazima Sam Shilowa. Am
Gründungsparteitag am 16. Dezember 2008 - dem nationalen Tag
der Aussöhnung -, symbolträchtig in Bloemfontein, wo 1912
der ANC gegründet worden war, nahmen mehr als 6000 Delegierte
teil. Einflussreiche ANC-Mitglieder liefen zur neuen Partei
über. Manche kehrten aber auch bereits nach kurzer Zeit wieder
zur alten Partei zurück. Prominentester "Überläufer"
war der Pastor und frühere Antiapartheid-Aktivist Allan
Boesak, der daraufhin ins Provinzparlament im Western Cape
gewählt wurde.
14 Der ANC reagierte auf die
Konkurrenz aus den eigenen Reihen äußerst nervös:
Die Abtrünnigen wurden beschimpft, jegliche Anspielung im
Namen sowie im Parteiemblem der neuen Partei auf den ANC sollte
gerichtlich unterbunden werden (was fehlschlug).
Präsidentschaftskandidat wurde der Methodistenpfarrer und
langjährige Präsident der methodistischen
Bischofskonferenz Mvume Dandala und nicht wie erwartet einer der
beiden prominenten Dissidenten. Dies ließ schon früh auf
interne Rivalitäten schließen. Dandala gilt jedoch als
integer und als eine moralische Autorität, was der Partei in
der Konkurrenz mit dem umstrittenen Zuma durchaus Pluspunkte
hätte bescheren können. Die Gründung von COPE
markierte den Beginn des Wahlkampfes.
15 Anfänglich erwarteten
Beobachter Stimmengewinne bis zu 15 Prozent für die neue
Partei, die Zweidrittelmehrheit des ANC schien ernsthaft
gefährdet. In der Gründungseuphorie wurde die junge
Partei COPE offensichtlich überschätzt. Sie schaffte es
weder, sich landesweit zu verankern, noch eine politische
Alternative zum ANC zu entwickeln. Ihr Wahlkampfprogramm blieb
unpräzise und unterschied sich nicht wesentlich von dem des
ANC. Beide Parteien versprachen Arbeitsplätze, Investitionen
in Bildung, Gesundheit und ländliche Entwicklung sowie die
Bekämpfung der hohen Kriminalität - eines der
größten Probleme am Kap, das nicht nur den Alltag der
Bevölkerung prägt, sondern auch potenzielle Investoren
abschreckt. Obwohl sich COPE gegen Korruption aussprach und sich
als der bessere ANC darzustellen versuchte, vergab er die Chance,
sich für die schwarzen Wähler als politische Alternative
zum ANC zu etablieren, die er durchaus hätte werden
können. Bei den Parlamentswahlen errang er mit 7,42 Prozent
der Stimmen zwar einen Achtungserfolg, konnte sich aber bei den
gleichzeitig stattfindenden Provinzwahlen in keiner Provinz
durchsetzen.
Democratic Alliance
Der wirkliche Machtkampf - allerdings nicht auf nationaler, sondern
auf Provinzebene - spielte sich letztendlich zwischen dem ANC und
der Democratic Alliance (DA) ab. Die DA ist die Nachfolgepartei der
Democratic Party, die schon zu Zeiten der Apartheid im Parlament
als liberale Opposition vertreten war (seinerzeit als Progressive
Federal Party) - lange Zeit nur mit einer Abgeordneten, der mutigen
Helen Suzman. Sie war so etwas wie das "weiße Gewissen" im
Apartheid-Staat und hielt mit ihren parlamentarischen Anfragen die
Erinnerung an die verhaftete ANC-Führung wach.
16 Zwei Provinzen,
nämlich KwaZulu Natal und das Western Cape gelten als
Gradmesser für die Stärke des ANC. Beide sind keine
Stammländer des ANC, hier stellte er nicht immer wie
selbstverständlich die Provinzregierung. So gewannen 1994 und
1999 die Inkatha Freedom Party (IFP) KwaZulu Natal, die NP bzw.
deren Nachfolgepartei New National Party (NNP) die Kapprovinz. Die
Mehrheit der dortigen Bevölkerung sind sogenannte "coloureds",
Nachkommen der burischen Siedler und der Schwarzen. Sie sind
häufig Arbeiter auf Farmen, und viele von ihnen sind
arbeitslos. Was Sprache und Religion anbelangt, stehen sie ihren
weißen Vorfahren näher als ihren schwarzen. Der
Großteil der Bevölkerung spricht Afrikaans und
gehört der Reformierten Kirche an. Zudem leben in Western Cape
mehr Weiße als in anderen Provinzen. Viele sind erst in
jüngster Zeit dorthin gezogen, da dort bis vor kurzem das
Leben als wesentlich sicherer galt als im wirtschaftlich boomenden
Gauteng. Die Kapprovinz spiegelt daher nicht die ethnische
Zusammensetzung des Landes wider. Nach fünf Jahren
ANC-Herrschaft hatte die DA nun 2009 eine realistische Chance, hier
die Macht zu erringen. Erst kurz vor dem Wahltermin beendete der
Generalstaatsanwalt das jahrelange juristische Tauziehen um Zuma
und stellte das Verfahren ein. Für Zuma war damit der Weg zur
Präsidentschaft endgültig frei, weshalb die Vorsitzende
der DA, Helen Zille, in den letzten Wochen vor dem Urnengang auf
eine "Stop Zuma"-Kampagne setzte. Die Bürgermeisterin von
Kapstadt hatte den Parteivorsitz 2006 von Tony Leon
übernommen, der als Vertreter der größten
Oppositionspartei den ANC immer wieder heftig angegriffen und ihm
fehlende Effizienz bei der Armuts- und
Arbeitslosigkeitsbekämpfung vorgeworfen hatte. Mit 16,66
Prozent wurde die DA auf nationaler Ebene nun erneut
zweitstärkste Partei. Aus der Wahl im Westkap ging sie als
Siegerin hervor, und Zille wurde zur neuen Premierministerin der
Provinz gekürt.
Übrige Parteien
Die IFP, deren Hochburg in KwaZulu Natal liegt und die damit als
Zulu-Partei gilt, hat seit dem Ende der Apartheid immer weiter an
Bedeutung verloren.
17 Ursprünglich mit dem
Einverständnis des Exil-ANC gegründet, um im
Apartheid-Staat die Möglichkeiten und Grenzen einer
politischen Partei, welche die Führung im damaligen Homeland
KwaZulu Natal stellte, auszuloten, stand ihr Führer Mangosuthu
Buthelezi seit 1994 im Schatten Mandelas. Kämpfe zwischen
Zulu-Wanderarbeitern und anderen Bewohnern der Townships in
Gauteng, aber auch politische Gewalt zwischen ANC- und
IFP-Anhängern erregten mehr Aufsehen als die Politik der IFP.
Mit dem Zulu Zuma als Präsidentschaftskandidaten verlor die
IFP auch ihren politischen Einfluss und fiel in die
Bedeutungslosigkeit einer regionalen Partei zurück. Die
ehemalige Partei der Apartheid, die NP, überlebte den
Niedergang ihrer Politik nicht lange. Nach dem politischen
Rückzug ihres Vorsitzenden Frederik Willem de Klerk, der die
Abkehr von der Rassentrennung und die Aufhebung des Verbots der
schwarzen Befreiungsorganisationen verkündet hatte, versuchte
die Partei ihrem Apartheid-Image zu entkommen und nannte sich um in
New National Party. Kurzfristig schloss sie sich im Jahr 2000 mit
der Democratic Party zur Democratic Alliance zusammen, um als
Oppositionsallianz gegen den ANC mehr Gewicht zu haben. 2001
führte der neue Vorsitzende Marthinus van Schalkwyk seine
Partei in ein Bündnis mit dem ANC. Durch diese Nähe zum
ANC stellte die NNP keine politische Option mehr für die
weiße und die "coloured" Bevölkerung dar. Als den
Abgeordneten 2002 mit dem Gesetz des "Floor Crossing" dann auch
noch die Möglichkeit eröffnet wurde, die Partei unter
Mitnahme ihres Mandats zu wechseln, liefen viele Abgeordnete der
NNP zum ANC über. Der Stimmenrückgang von 20 Prozent bei
der Wahl 1994 auf 7 Prozent 1999 und 2 Prozent 2004 kann als
Resultat dieses Schlingerkurses der Partei gesehen werden.
Konsequenterweise löste sie sich 2005 auf. Als weiße
Vertretung einer kleinen Hardlinergruppe ist nur noch die Freedom
Front, inzwischen nennt sie sich Freedom Front Plus (FF+),
übrig. Sie wurde kurz vor der Wahl 1994 von dem ehemaligen
General Constand Viljoen gegründet und vertritt die Interessen
der Buren. Ihr erklärtes Ziel ist die Absicherung der
Selbstbestimmung der Buren oder Afrikaaner, wie sie sich selbst
nennen. Pieter Mulder, früher Führer der NP, ist heute
prominentestes Mitglied der FF+ und stellvertretender
Landwirtschaftsminister im Kabinett Zuma. Zwei kleinere Parteien
verdienen noch Erwähnung, der PAC und die African Christian
Democratic Party (ACDP). Der PAC hatte seit seiner Abspaltung vom
ANC 1959 bewusst einen militanten Weg gegen die Politik der
Apartheid gewählt. Berüchtigt war sein Slogan "One
settler, one bullet" ("Ein Siedler, eine Kugel"). Im neuen
Südafrika geht es ihm in erster Linie um Umverteilung des
Landes an die schwarze Bevölkerung. Seit dem Ausscheiden
seiner Vorsitzenden Patricia de Lille im Jahr 2003, die nun
Vorsitzende der PAC-Abspaltung Independent Democrats (ID) ist,
verliert der PAC zunehmend an Bedeutung. Die ACDP wurde 1993 von
dem evangelikalen Geistlichen Kenneth Meshoe gegründet.
Wiewohl auch sie nur noch drei Abgeordnete im südafrikanischen
Parlament hat, sollte ihr Einfluss nicht unterschätzt werden.
Sie vertritt die wachsende Gruppe evangelikaler-charismatischer
Christen, die sich für ein Rechtssystem basierend auf
fundamentalen christlichen Werten einsetzen und zum Beispiel gegen
die gleichgeschlechtliche Ehe oder Abtreibung sind.
Wahlen oder Zensus?
Im Jahr 2007, also knapp zwei Jahre vor der Gründung von COPE,
veranlasste das Arnold-Bergstraesser-Institut eine
repräsentative Meinungsbefragung in Südafrika.
18 Wie
die Wählerinnen und Wähler unterschiedlicher Hautfarben
sich zu ihrer Parteipräferenz äußerten, ist in
Tabelle 2 zusammengefasst. Die demographischen Fakten am Kap - 79
Prozent der Bevölkerung sind Schwarze, 9,6 Prozent
Weiße, 8,9 Prozent "coloureds" und 2,5 Prozent
Indischstämmige - spiegeln sich in den Ergebnissen wider:
Wahlen in Südafrika sind nach wie vor ethnische Wahlen.
Schwarze stimmen überwiegend für den ANC, Weiße und
"coloureds" eher für die DA. Die ID steht bei "coloureds",
Weißen und Indern in der Gunst, die SACP
überdurchschnittlich hoch bei Indern. Die Minderheiten der
Inder, Weißen und "coloureds" sind sich
überdurchschnittlich häufig unsicher, wen sie wählen
sollen, und enthalten sich überdurchschnittlich häufig
der Stimme. Die befragten Südafrikanerinnen und
Südafrikaner entschieden sich rational, nämlich
überdurchschnittlich häufig für die Partei, von der
oder auch von deren Führer bzw. Führerin sie die
größte Unterstützung für ihre jeweilige Gruppe
erwarten. Das wird besonders deutlich bei dem Zuspruch der
"coloureds" für die ID, deren Parteivorsitzende Patricia de
Lille ist. Aber auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, sind
die Schwarzen keine einheitliche Wählerschaft. Die
Unterschiede zwischen Arm und Reich sind größer
geworden. Vom Aufschwung der Mbeki-Präsidentschaft profitierte
eine erstarkende, kleine schwarze Mittelschicht.
19 Insbesondere auf diese
Gruppe zielte der Wahlkampf von COPE. Daher gewann die Partei auch
wenige Stimmen in den ländlichen Gebieten und in den
Townships. Zieht man noch einmal die erwähnte
Meinungsbefragung hinzu, wird deutlich, dass im Vergleich zu einer
Befragung von 2002 die Zahl der Südafrikaner, die sich
wirtschaftlich besser gestellt fühlen und optimistischer in
ihre eigene und die Zukunft ihrer Kinder schauen, deutlich
angewachsen ist.
20 Lässt sich aber aus der
weiter bestehenden Dominanz des ANC auf eine Gefahr für die
Demokratie in Südafrika schließen? Ideologische
Auseinandersetzungen finden innerhalb des ANC zwischen den
verschiedenen Flügeln statt, weniger zwischen der
Regierungspartei und den Oppositionsparteien. Und schließlich
ist Südafrika nicht das einzige Land, das über viele
Jahre von einer dominanten Mehrheitspartei regiert wurde: Man denke
an die Kongresspartei in Indien, die Liberaldemokratische Partei in
Japan oder die Democrazia Cristiana in Italien. In Italien endete
die Herrschaft der Mehrheitspartei nach vier Jahrzehnten 1990, in
Japan fand erst 2009 der erste Regierungswechsel seit 1947 statt.
In Indien wurde die Kongresspartei unter Indira Gandhi 1977 nach
drei Jahrzehnten abgewählt, errang aber drei Jahre später
erneut die Mehrheit und ist seitdem, mit Ausnahme der Jahre 1989
bis 1991, wieder an der Macht. In allen drei Ländern wurde die
Qualität des demokratischen Systems nie ernsthaft in Frage
gestellt. Warum dann in Südafrika?
21 Der ANC ist erst im 16. Jahr
seiner Herrschaft. Weitaus wichtiger für die Zukunft der
Demokratie am Kap ist die Frage, ob sich die Gewaltenteilung und
insbesondere die unabhängige Justiz weiter werden behaupten
können. Bislang galt die Justiz in Südafrika als Garant
für die Verfassung. Seit den Prozessen gegen Zuma und der
umstrittenen Aufhebung der Verfahren gegen sind erste Kratzer im
demokratischen Lack. Die Ernennung von Sandile Ngcobo zum neuen
Vorsitzenden des Verfassungsgerichts durch den Präsidenten am
1. Oktober 2009 sowie die Ernennung vier weiterer Richter in das
Gremium stießen auf weitgehende Zustimmung auch der
Oppositionsparteien. Es ist freilich verfrüht, daraus zu
schließen, dass auch Jacob Zuma die Gewaltenteilung ernst
nimmt und ein Garant für die demokratische Entwicklung im
neuen Südafrika sein kann und sein will.
1 Die
Wahlbeteiligung ist 2009 auf 60 Prozent gesunken (von 86 Prozent
1994). "Coloureds" ("Farbige") ist ein Begriff aus Apartheidzeiten,
der aus pragmatischen Gründen auch heute noch in
Südafrika verwendet wird.
2 Auch kleinere Parteien und die
Regierungen der damaligen Homelands waren an den Gesprächen
beteiligt. Letztendlich aber fielen die Entscheidungen in Absprache
zwischen dem ANC und der National Party.
3 Vgl. Allister Sparks, Tomorrow is
Another Country. The Inside Stories of South Africa's Negotiated
Revolutions, Wynberg 1995.
4 Des Weiteren sollte eine
Koalitionsregierung, an der alle großen Parteien beteiligt
waren, bis zu den ersten Wahlen, die erst für das Jahr 1999
angesetzt waren, das Land regieren. Zunehmender Druck und Unruhen
sowie die Ermordung des populären ANC-Mitglieds Chris Hanis
und der Austritt der NP aus der Regierung hatten zur Folge, dass
die ersten Wahlen bereits im April 1994 abgehalten wurden.
5 Vgl. Gretchen Bauer/Scott D. Taylor
(eds.) Politics in Southern Africa. State and Society in
Transition, London 2005; Albert Venter/Chris Landsberg (eds.),
Government and Politics in the New South Africa, Pretoria
2006.
6 Vgl. Hermann Giliomee, South Africa's
Emerging Dominant-Party Regime, in: Larry Diamond/Marc F. Plattner
(eds.), Democratization in Africa, Baltimore-London 1999; Paul
Graham/Alice Coetzee (eds.), In the Balance? Debating the State of
Democracy in South Africa, Cape Town 2000.
7 Hier geht es um Zumas angebliche
Verstrickung in ein Waffengeschäft bzw. die Annahme von
Bestechungsgeldern einer französischen Waffenfirma im Jahr
1999. Vgl. Paul Holden, Arms Deal in your Pocket, Johannesburg
2008.
8 "Coloureds" und indischstämmige
Südafrikaner erhielten 1984 das Wahlrecht im
Drei-Kammer-Parlament. Ihre Häuser hatten freilich im
Gegensatz zum weißen Parlament keine politische Macht. Vgl.
Theodor Hanf, De la dite concordance en Afrique du Sud et de son
utilisation a des fins utiles, in: Revue Internationale de
Politique Comparée, (1997) 4, S. 567-678.
9 Sobald eine Partei die für einen
Sitz notwendige Stimmenzahl gewonnen hat, erhält sie einen
Abgeordnetenplatz im Parlament.
10 Vier Parteien gewannen bei den
Wahlen 2009 je einen Sitz, eine Partei zwei Sitze, eine drei Sitze.
Drei Parteien sind mit je vier Sitzen vertreten, die IFP mit 18,
COPE mit 30, die DA mit 67 und der ANC mit 264.
11 Vgl. Raymond Suttner, The African
National Congress (ANC) as a Dominant Organisation: Power and
Crisis of Power, Maputo 2008.
12 Vgl. Helga Dickow, Südafrika
zwischen Thabo Mbeki und Jacob Zuma, in: Theodor Hanf/Hans N.
Weiler/Helga Dickow, Entwicklung als Beruf. Festschrift für
Peter Molt, Baden-Baden 2009, S. 101 - 110.
13 Die Entlassung des prominenten
ANC-Häftlings Govan Mbeki wird als Vorbereitung der
Apartheid-Regierung auf die Freilassung Mandelas gewertet. Mbeki
engagierte sich sofort wieder für den ANC.
14 Boesak trat allerdings im November
2009 aus COPE aus.
15 Vgl. Roger Southall/John Daniel,
Zunami! The 2009 South African Elections, Johannesburg 2009.
16 Die Gefangenen auf Robben Island
durften in der Öffentlichkeit nicht erwähnt werden, in
Reden im Parlament freilich schon.
17 Vgl. Franz Ansprenger, Inkatha
Freedom Party: Eine Kraft im demokratischen Südafrika, Bonn
1999.
18 Vgl. Helga Dickow, unveröff.
Ms. zu religiösen Bewegungen in Südafrika, Freiburg/Br.
2009.
19 Vgl. Jeremy Seekings/Nicoli
Nattrass, Class, Race, and Inequality in South Africa, New
Haven-New York 2005.
20 Vgl. Valerie Mࣺller/Theodor
Hanf, South Africa's New Democrats: A 2002 Profile of Democracy in
the Making, Byblos 2007, S. 336ff.
21 Vgl. Tom Lodge, South Africa's Party
System, in: Journal of Democracy, 17 (2006) 3, S. 152 -
166.