Einleitung
Im Mai 2008 zog eine Welle der Gewalt gegen Ausländer durch
ganz Südafrika. Sie startete in der Armensiedlung in
Johannesburg und erreichte in den folgenden Wochen über
verschiedene Marginalsiedlungen im Norden des Landes die Metropole
Kapstadt. Die Attacken und Vorfälle blieben beschränkt
auf die Schwarzensiedlungen. Vor diesem Hintergrund wurden die
Vorfälle vor allem als Afrophobie und weniger als Xenophobie
charakterisiert. Wie verträgt sich diese Gewalt gegen
Ausländer mit dem dominanten Bild der Regenbogennation
(Rainbow Nation)? Im Postapartheidregime wurden Konflikte zumeist
als Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerungsgruppen mit
verschiedener Hautfarbe angesehen. In der schwarzen
Bevölkerung wurde eine Renaissance afrikanischer Werte und
Panafrikanismus propagiert. Insbesondere afrikanische
Solidarität und Ubuntu ("Ich bin, weil Du bist") standen hoch
auf der Agenda.
1 War diese Renaissance
afrikanischer Werte wie auch die "Regenbogennation" lediglich eine
Marketingkampagne, die keine Breitenwirkung hatte? Die
Regierungskampagnen gegen Rassismus und die Vorstellung des
damaligen Präsidenten Thabo Mbeki von einer afrikanischen
Renaissance scheinen eher ein Elitekonzept zu sein, das in den
Armensiedlungen nicht aufgegriffen wird. Der häufig
propagierte Geist Afrikas (Spirit of Africa), basierend auf einem
ausgeprägten Panafrikanismus, scheint in den schwarzen
"Townships" auf Widerstand zu stoßen. Oder sind die
ausländerfeindlichen Ausschreitungen lediglich das Resultat
der weiterhin bestehenden starken sozialen Ungleichheit und eine
Reaktion auf die mangelhaften sozialpolitischen Maßnahmen im
Wohnungsbau, Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie in der lokalen
Infrastrukturversorgung? Politische Beteiligung wird vielfach als
Teilnahme an Wahlen einerseits und als Abhaltung symbolischer oder
gewalttätiger Demonstrationen andererseits charakterisiert.
Letztere gelten als Mittel, um sich politisch Gehör zu
verschaffen. Bietet Südafrika in seinem
Quasi-Einparteiensystem
2 neben den oft als unzureichend
empfundenen Wahlen keine anderen Beteiligungsformen, um Protest zu
kanalisieren? Haben die urbanen Armen neben dem Wahlakt nur die
Möglichkeit des massiven gewalttätigen Protests (brick or
ballot - "Stein oder Stimmzettel")? Im Folgenden wird untersucht,
ob die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in einem direkten
Zusammenhang mit einem latenten Nationalismus stehen. Nationale
Identität ist für den Prozess der Nationenbildung (nation
building) und den sozialen Zusammenhalt in Südafrika wichtig.
Er kann aber auch ausländische Randgruppen ausgrenzen und zu
Opfern machen. Bestehen Möglichkeiten, einen friedlichen
Patriotismus zu etablieren, der das Zusammenleben mit
ausländischen Migrantinnen und Migranten ermöglicht?
Bietet hierfür die Fußballweltmeisterschaft 2010
besondere Chancen?
3 Untersuchungen von Donald
Horowitz zufolge gibt es für das Ausbrechen von
gewalttätigen, fremdenfeindlichen Ausschreitungen vier
relevante Faktoren.
4 Erstens und vor allem spielen
ethnische Antagonismen, also Spannungen zwischen ethnischen
Gruppen, eine Rolle. Zweitens sind Ausschreitungen in der Regel die
Antwort auf bestimmte reale oder medial konstruierte Ereignisse.
Drittens wird nach einer vernünftigen Rechtfertigung für
die Gewalt gesucht, und viertens findet Gewalttätigkeit vor
allem in risikolosen Situationen statt, in denen der "Mob" nicht
Gefahr läuft, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
5 In der
Analyse der Protestwellen und der Erhebungen zur Identität
sowie zur Fremdenfeindlichkeit sollen diese Thesen im Folgenden im
Hinblick auf Südafrika untersucht werden.
"Service Delivery Protest" und fremdenfeindliche
Ausschreitungen
Massiver und zum Teil gewalttätiger politischer Protest
innerhalb der schwarzen Townships waren ein zentraler Faktor beim
Zusammenbruch des Apartheidregimes. Miet- und Stromboykott, die
Zerstörung von öffentlichen Verwaltungsgebäuden und
Einrichtungen machten nicht nur die Townships unregierbar und zum
Teil zur no-go-area für die südafrikanische Polizei.
Diese mass action war Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre
prägend für den Übergang zum demokratischen
Südafrika. Mit den Wahlen 1994 und der neuen Regierung nahmen
die Proteste zwar zunächst ab, blieben aber weiterhin ein
Druckmittel der Unterprivilegierten. Bereits 1997 ersetzte der
African National Congress (ANC) sein Regierungsprogramm
"Reconstruction and Development" (RDP) durch ein stärker auf
Kostendeckung und weniger auf sozialen Ausgleich ausgerichtetes
Wirtschaftsprogramm. Insbesondere im Vorfeld der Kommunalwahlen
2006 kam es zu einer Welle von gewalttätigen oder symbolisch
Gewalt androhenden Ausschreitungen (toyi-toyi-Demonstration
6 ). Sie
begannen im Juli 2004 in informellen Siedlungen in Johannesburg
(Diepsloot) und breiteten sich schnell in den nördlichen
Provinzen (Harrismith, Vrybourg) und später im Süden
(Uitenhage, Mitchells Plein) aus. Der Protest richtete sich vor
allem gegen korrupte Kommunalbeamte und mangelnde Ausstattung mit
öffentlicher Infrastruktur (service delivery protest). In der
neuen Welle kam es bis September 2005 zu 5085 legalen und 883
illegalen Protestaktionen. Hochrangige Politiker versprachen
Besserung und sorgten so zunächst für eine Milderung.
Doch dem heftigen Gewaltausbruch gegen Ausländer 2008 folgte
nach den Parlamentswahlen 2009 ein erneutes Aufflammen des
Protestes gegen die miserable Infrastruktur. Bereits im Wahlkampf
hatte die neue ANC-Führung unter Jacob Zuma vielfältige
sozialpolitische Verbesserungen versprochen. Diese wurden nun in
einigen Siedlungen vehement reklamiert. Lokale Ratsmitglieder - des
Amtsmissbrauchs bezichtigt - konnten teilweise nur unter
Polizeischutz in Sicherheit gebracht werden. Die Aggression
richtete sich erneut gegen öffentliches Eigentum wie zum
Beispiel Gemeindehäuser, Verwaltungsgebäude und
städtische Bibliotheken. Auch Xenophobie ist kein neues
Phänomen; bereits in den 1990er Jahren hat es
gewalttätige Übergriffe gegen Ausländer gegeben.
Hieraus resultierten zum Teil schärfere Einwanderungsgesetze,
welche illegal aliens verhindern sollten. In verschiedenen Artikeln
wurde vor "barbarischen Horden" und der "Flut der Verarmten"
gewarnt.
7
So wurde noch 1998 das Protokoll des regionalen
Korporationszusammenschlusses Southern African Development
Community (SADC) zur Migration als problematisch angesehen und
nicht ratifiziert, da es vermeintlich für "Südafrika eine
Gefahr" bedeutet hätte. Das Verhalten der
südafrikanischen Polizei gegenüber Migranten war
häufig repressiv - einigen korrupten Polizisten dienten
Migranten gar als "mobile Geldautomaten". Ihr ungeklärter
Status aufgrund unklarer Gesetzgebung setzte sie dem Missbrauch von
Polizei und Bevölkerung schutzlos aus. Allein im Zeitraum von
September 2007 bis Anfang 2008 wurden mehr als 1000
ausländerfeindliche Übergriffe registriert. Den Migranten
wurde vor allem der Missbrauch des südafrikanischen
Wohlfahrtsstaates vorgeworfen. Äußerungen aus dem
Innenministerium verstärkten ihre Stigmatisierung als
Kriminelle. Während die Mehrzahl von ihnen außerhalb der
Schwarzensiedlungen wohnt, leben einige ausländische
Händler, insbesondere aus Somalia, in den schwarzen Townships.
Sie betreiben Läden und nutzen dabei angemietete
Räumlichkeiten, die in der Regel durch staatliche
Wohnungsbauprogramme erstellt wurden. Daraus entwickelte sich das
Gerücht, dass Ausländer in den Wohnungsbauprogrammen
bevorzugt würden. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der
miserablen Wohnsituation sind die bestehenden geringen
Sozialleistungen wie Kindergeld, Waisenrenten, Altersrenten sowie
Ansprüche in Bezug auf sozialen Wohnungsbau für die
unteren Einkommensschichten von besonderer Bedeutung. Auch wenn
Migranten als Asylbewerber - abgesehen von akuten
Gesundheitsdienstleistungen - in der Regel keine Ansprüche im
Wohlfahrtssystem haben, werden sie häufig als Konkurrenten
wahrgenommen, insbesondere von den einheimischen Händlern. Zu
Beginn waren die Ausschreitungen 2008 durch brutale Gewalt
gekennzeichnet. 60 Personen wurden getötet. Dabei handelte es
sich vor allem um Bürger aus Somalia, Mosambik und Simbabwe.
Auch 20 Südafrikaner wurden Opfer des gewalttätigen Mobs.
Alle Opfer waren Schwarzafrikaner. Insgesamt wurden über 340
Läden (spaza shops) geplündert, 220 Häuser
niedergebrannt und 1400 Verdächtige festgenommen. Unter den
Opfern waren auch einige wenige asiatische, insbesondere
pakistanische Händler, deren Läden zerstört wurden.
8 Die
Plünderung der Geschäfte war insbesondere in der Region
um Kapstadt weit verbreitet, während direkte Ausschreitungen
gegen Migranten hier eher ausblieben. Allein in der Provinz Western
Cape wurden 18 000 Emigranten vertrieben und in sogenannten safe
refugee camps untergebracht. Die späteren Untersuchungen der
Ereignisse vom Mai 2008 zeigten unter anderem, dass einige lokale
politische Führer die Ausschreitungen initiiert hatten, in der
Hoffnung, ihre Anhängerschaft ausweiten zu können.
International wurden die afrophobischen Vorfälle sehr kritisch
wahrgenommen, und im Land entwickelte sich bald eine breite
Solidaritätsbewegung mit den Migranten. Die
Flüchtlingscamps wurden zum Teil noch bis Ende 2008
beibehalten, da viele sich nicht zurück in ihre Wohnungen
wagten.
Nationalismus, Nationalstolz und Patriotismus
Die Diskussion um nationale Identität ist im
Postapartheid-Südafrika eng mit der Diskussion um
Staatenbildung und Nationenbildung verknüpft. Südafrika
hat eine komplexe nationale Identität, die im Apartheidregime
sozialräumlich und soziostrukturell fundiert wurde. So gab und
gibt es genau genommen verschiedene nebeneinander existierende
Identitäten. Die Trennung zwischen dem Selbst und dem Anderen
war dabei vor allem durch die Spannungslinie zwischen
Ethnizität und "Rasse", aber auch Sprache und Religion
geprägt.
9 Eine Identitätsbildung
über Beruf und Einkommen (Mittelschicht) oder die Nation ist
nachrangig.
10 Insofern ist die Bildung einer
nationalen Identität stark mit Strategien zur
Überbrückung der ethnischen Identitäten
verknüpft. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe verdeutlicht die
Bildung und sozialräumliche Trennung von
Parrallelgesellschaften (in black, white und "coloured" townships).
Auch der Sportbereich erscheint getrennt: Rugby und Cricket ist der
Sport der Englisch oder Afrikaans sprechenden Weißen,
während Fußball eher der Sport der Schwarzen und zum
Teil der Afrikaans sprechenden "coloureds" ist. Die
Rugby-Weltmeisterschaft 1995 sollte eine mit sich versöhnte
Regenbogennation zeigen und lief unter dem Slogan Simunye ("Wir
sind Eins"), der auch durch die südafrikanischen
Fernsehgesellschaften und anderen Medien forciert wurde. Über
den Sport und in diesem Falle über das siegreiche
südafrikanische Rugbyteam wurde die nationale Versöhnung
zur Strategie. Das Bild Nelson Mandelas im Trikot der springboks
(so wird das eigene Rugbyteam genannt) bei der Übergabe des
Weltpokals ist zum Symbol für die Versöhnung von Schwarz
und Weiß geworden. Südafrika ist durch ein hohes
Maß an Nationalismus, Nationalstolz und spezifischem
Patriotismus geprägt. Dennoch bestehen weiterhin ethnische
Identitäten, und der Regenbogennation ist es bislang nicht
gelungen, die Spaltung in Parallelgesellschaften zu
überwinden. In Bezug auf Nationalismus liegt Südafrika in
vergleichenden Umfragen auf Platz fünf hinter den USA,
Venezuela, Australien und Österreich. 85 Prozent der befragten
Südafrikanerinnen und Südafrikaner präferieren ihr
Land gegenüber anderen Ländern. 60 Prozent sind der
Meinung, dass "die Welt besser da stehen würde, wenn mehr
Menschen ähnlich den Südafrikanern wären". 50
Prozent sind (sehr stark) der Meinung, dass die "Bevölkerung
ihr Heimatland in allen Situationen stark unterstützen muss".
Auf der anderen Seite geben immerhin 55 Prozent zu, dass
Südafrika "sich für bestimmte Perioden seiner Geschichte
schämen muss". Als zentraler Indikator in Bezug auf
"aggressiven Nationalismus" gilt die Frage, "inwieweit man die
eigene Nation in der internationalen Hierarchie über andere
stellt".
11 Dem Statement, dass
"Südafrika generell besser ist als alle anderen Länder",
stimmen 70 Prozent der Südafrikaner (sehr stark) zu.
Während diese Meinung in anderen Ländern vor allem von
Männern vertreten wird, äußern sie in
Südafrika vor allem Frauen. Verschiedene kulturelle Milieus
und Bevölkerungsgruppen zeigen dabei unterschiedliche
Intensitäten von Nationalismus. So ist er in der
zahlenmäßig dominierenden schwarzen Bevölkerung
stark verankert, gleichzeitig vor allem in den Gruppen mit sehr
niedriger und jenen mit sehr hoher Bildung. Die Förderung von
nationaler Identität und Nationalstolz geschieht nicht nur
über die dreisprachige Nationalhymne. Auch der Abbau von
Vorurteilen gegenüber afrikanischen Ländern im
Allgemeinen scheint im Vordergrund zu stehen. Im re-branding
Südafrikas, bei dem die Fußball-WM 2010 einen wichtigen
Beitrag liefern soll, verweist die südafrikanische Regierung
auf Weltraumprojekte, auf moderne Nukleartechnologie (Pebble Bed
Reaktor), auf Hochleistungsverkehrsmittel (Gautrain) und auf
Literaturnobelpreisträger (Doris Lessing, John M. Coetzee).
Stolz auf die südafrikanische Demokratie und die Verfassung
wird als Indikator für "moderaten Patriotismus" definiert.
12 Der
spezifische Nationalstolz hat ebenfalls sehr hohe Werte (Tabelle).
Die Bereiche Sport und Literatur sind dabei die beiden wichtigsten
Quellen für Nationalstolz: So empfinden 88 Prozent der
Bevölkerung Stolz in Bezug auf Südafrikas sportliche
Erfolge, 82 Prozent sind stolz auf die Leistungen in Kunst und
Literatur. Dabei zeigen sich zwischen den Geschlechtern und den
verschiedenen Altersgruppen keine Unterschiede. Lediglich in Bezug
auf die Hautfarbe wird deutlich, dass Nationalstolz in der
schwarzen Bevölkerung weiter verbreitet ist. Diese ist
wiederum stärker durch soziale Ungleichheit, einen niedrigeren
Bildungsstand und Armut geprägt als die anderen
Bevölkerungsgruppen.
Ausländerfeindlichkeit
Kennzeichen des Apartheidregimes war, dass es bestimmte
Bevölkerungsgruppen ausgrenzte. Der "Andere" war nicht aus
einem anderen Land, sondern vielmehr Südafrikaner mit
schwarzer Hautfarbe im eigenen Land. Der Group Areas Act aus den
frühen 1960er Jahren war ein Ausdruck der forcierten
räumlichen Trennung. Mit der Bildung der Homelands wurde eine
weitere Ausgrenzung vollzogen. Südafrika war seit jeher
geprägt von einem hohen Maß an Zuwanderung aus den
Nachbarländern und interner Migration aus Richtung der
Homelands und ländlichen Regionen in die urbanen Zentren.
Migrantinnen und Migranten waren und sind billige
Arbeitskräfte, durch sie konnte das Lohnniveau niedrig
gehalten werden. Erst am Ende des Apartheidregimes wurde im
sogenannten Aliens Control Act Migrationspolitik neu geregelt,
wobei die Kontrolle von ausländischen Migranten im Vordergrund
stand. Die Gesetzgebung im "neuen" Südafrika (Immigration Act
von 2001) war jedoch weiterhin nicht auf die Integration von
Arbeitskräften ausgerichtet, sondern auf die Kontrolle und
Regulierung der Migration. In Bezug auf Ausländer kommt es in
der Diskussion in Südafrika kaum zu einer Differenzierung.
Obwohl die internationale Migration in Südafrika in den
vergangenen zehn Jahren eher zugenommen hat, wird selten zwischen
Asylbewerbern und Arbeitsmigranten differenziert. Deutlich wird
aber, dass die Gewalt sich vor allem gegen afrikanische
Ausländer und nicht gegen weiße, zum Beispiel
europäische Migranten richtet. Dabei wird häufig von
übertriebenen Einwanderungsstatistiken ausgegangen.
13
Südafrika bildet in der Region den Hegemon, dessen
Ökonomie und Arbeitsmarkt deutlich stärker sind als die
der Nachbarländer. Aus diesem Grund absorbierte Südafrika
jahrelang Arbeiter aus Lesotho und Swasiland, insbesondere für
den Bergbau. Die Krisen in der DR Kongo und seit 2000 in Simbabwe
führten zu einer verstärkten Einwanderung nach
Südafrika. Doch gerade in Bezug auf Simbabwe handelte es sich
dabei häufig nicht um dauerhafte Migration, sondern um
kurzfristige cross-border activities. Zudem wurden seit 1995
jährlich etwa 200 000 Migranten abgeschoben. Während NGOs
schätzen, dass etwa eine Million simbabwische Einwanderer in
Südafrika sind, war in den Medien von vier Millionen die Rede.
Die zögerliche Politik des ehemaligen Präsidenten Thabo
Mbeki gegenüber Simbabwe wurde heftig kritisiert. Sie gilt als
ein Auslöser der Unruhen im Mai 2008. Aufgrund
sozialräumlicher Trennung sind die Kontakte zwischen der
dominierenden schwarzen Bevölkerung und den afrikanischen
Immigranten in der Regel relativ selten. Der Apartheidstaat
förderte durch seine starke Trennung der
Bevölkerungsgruppen zum Teil die Kontakte der schwarzen
Bevölkerung zu den Ausländern, die ebenfalls in den
Townships wohnten. Im Postapartheid-Südafrika leben
afrikanische Immigranten nun häufig am Rande der
Weißensiedlungen bzw. zwischen diesen und den schwarzen
Townships. Die Ursache hierfür liegt in der unterschwelligen
Gewalt gegenüber Ausländern, die im Mai 2008 eskalierte.
Die Einstellung gegenüber Migration hat sich seit 1994
verändert.
14 Während 1995 etwa 16
Prozent der Bevölkerung "Immigranten daran hindern wollten, in
Südafrika einzuwandern", wuchs diese Gruppe auf rund 20
Prozent 1997 und 30 Prozent 2006 an. Im Vergleich zu anderen
afrikanischen Ländern wie zum Beispiel Nigeria (2000: 3
Prozent), Tansania (2001: 6 Prozent) und Simbabwe (2001: 9 Prozent)
liegt der Wert der Ausländerfeindlichkeit damit deutlich
höher. Gleichzeitig ist in Südafrika die Zahl derjenigen,
"die alle Immigranten ins Land lassen würden", von 6 Prozent
1995 auf 2 Prozent 2006 gesunken.
15 In Nigeria würden immerhin
28 Prozent, in Simbabwe 12 Prozent und in Tansania 9 Prozent alle
Migranten akzeptieren. Diese Ausländerfeindlichkeit besteht
auch in Zeiten der wirtschaftlichen Konjunktur. So gaben 1997 17
Prozent der Südafrikaner an, sie würden "Migranten ins
Land kommen lassen, wenn entsprechend viele Arbeitsplätze zur
Verfügung stünden", während 1999 nur noch 12 Prozent
dieser Meinung waren. In Nigeria lagen diese Werte bei 41 Prozent,
in Simbabwe bei 53 Prozent und in Tansania bei 20 Prozent.
Ebenfalls 1999 befürworteten 49 Prozent der Südafrikaner
eine "strikte Begrenzung der Zahl der Ausländer, die ins Land
kommen". 86 Prozent würden Ausländer, die ernsthafte
Verbrechen begehen, sofort ausweisen. 63 Prozent würden
"Migranten mit HIV/Aids" ausweisen. Lediglich 74 Prozent der
Südafrikaner würden im Kriegsfall Asyl gewähren.
16
Über zwei Drittel sind der Meinung, dass Migranten die
"südafrikanische Ressourcen verbrauchen und missbrauchen",
"Arbeitsplätze wegnehmen", "Frauen wegnehmen", "Verbrechen
begehen". Immerhin die Hälfte glaubt, dass sie "Krankheiten
einschleppen".
17 Diese negativen Attribute
werden insbesondere den Gruppen aus Nigeria, der DR Kongo, Somalia
und Simbabwe zugeschrieben.
Lösungsmöglichkeiten
Der Ausbruch politischer Proteste in gewalttätigen oder
zumindest symbolisch Gewalt androhenden toyi-toyi-Demonstrationen
wird häufig als Fortsetzung der Protestaktionen während
des Apartheidregimes gesehen.
18 Für ihre Zunahme scheinen
zumindest zwei Ursachen maßgeblich zu sein. Erfahrene lokale
politische Führer sind zum Teil vom ANC kooptiert worden und
in hochrangige politische Ämter gewechselt. Sie stehen auf
lokaler Ebene nicht mehr als Integrationsagenturen zur
Verfügung. Chris Tapscott
19 sieht keinen Mangel an
Partizipation im neuen Südafrika, sondern lediglich das
Versagen der politischen Administration, attraktive
Beteiligungsinstrumente bereitzustellen. So sollen effiziente und
effektive Möglichkeiten der politischen Einflussnahme die
gewalttätigen Proteste durch friedliche Instrumente
kanalisieren. Die Wahl von politischen Oppositionsparteien kommt
für viele städtische und ländliche Arme nicht in
Frage, da diese sich stärker an den Mittel- und Oberschichten
orientieren. Sowohl die südafrikanische Verfassung als auch
verschiedene Konzeptpapiere (wie etwa green paper und white paper)
sowie Gesetze auf lokaler Ebene sehen vielfältige
Möglichkeiten zur politischen Beteiligung vor. Im
internationalen Vergleich werden dabei zum Teil die stellenweise
umgesetzten Integrated Development Plans (IDP), die sogenannten
Imbizos, sowie die Ward Committees als best practice-Instrumente
angesehen. IDPs sind länger angelegte Planungsprozesse, die
Anhörungen der Bevölkerung einschließen. Imbizos
(politische Foren) sind dagegen häufig eher Ortsbegehungen auf
lokaler Ebene von den exekutiven Bürgermeistern. Ward
Committees haben ebenfalls eher Konsultationscharakter für
bestehende organisierte Interessengruppen. Alle drei Instrumente
sind somit stark durch die lokalen politischen Hierarchien und
Parteistrukturen geprägt. So bestehen kaum Möglichkeiten,
lokale Interessen "von unten" zu artikulieren. Die Instrumente
wurden zudem nicht flächendeckend umgesetzt und werden von der
Bevölkerung oft nicht wahrgenommen. Bestimmte Interessen wie
zum Beispiel die der Immigranten kommen in diesen
Beteiligungsprozessen wegen mangelnder Einbindung nicht zur
Geltung. Letztendlich werden diese Instrumente als ineffektiv und
als zu stark durch das bestehende Parteiensystem geprägt
angesehen. Politisches Engagement in toyi-toyi-Demonstrationen
bringt dagegen eine stärkere Öffentlichkeit und direkte
Reaktionen der Politiker mit sich. So ist mit einer Abnahme dieser
Protestform nicht zu rechnen, solange der sozialen Ungleichheit
durch eine stärkere Umverteilung nicht entgegengewirkt wird.
Das heißt, es bedarf einer Sozial- und Wirtschaftspolitik,
welche die Wohn- und Lebenssituation der urbanen Armen deutlich
verbessert und sich an deren Interessen orientiert.
Resümee
Zu einem gewissen Ausmaß ist Ausländerfeindlichkeit in
Südafrika ein Produkt der medialen Berichterstattung. Die
ausländerfeindlichen Attacken im Mai 2008 waren keine
plötzliche Eruption krimineller Elemente, sondern sie basieren
auf weitverbreiteten Vorurteilen innerhalb der
südafrikanischen Gesellschaft. Obwohl verschiedene politische
Institutionen und die Regierung Toleranz und Panafrikanismus
"predigen", sind andere Regierungsinstitutionen, wie lange Zeit das
Innenministerium, an der Diskreditierung der Ausländer
beteiligt. Dies zeigen auch erste Reaktionen auf die
Ausschreitungen im Mai 2008. So kam es zunächst nicht zu
Überlegungen, inwieweit Migranten geschützt werden
könnten oder integriert werden sollten, sondern vielmehr zu
Vorschlägen, die Grenzen für Migration ganz zu
schließen. Doch es gab auch Vorschläge, die sich auf
längerfristige Maßnahmen zur Aufhebung der Ungleichheit
innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft konzentrierten.
Interessanterweise wurde die Migrationsdebatte im April 2009 erneut
entfacht, als die südafrikanische Regierung die Einreise von
Simbabwern erleichterte und ihnen die Arbeitserlaubnis erteilte.
Hierbei handelte es sich um bilaterale Zugeständnisse
gegenüber Nachbarländern, die bereits mit Malawi und
Mosambik bestanden und auf der Neuformulierung des SADC-Protokolls
zu Migration beruhen. Gleichzeitig kam es bei Urteilen des
Verfassungsgerichts zu einer Neubewertung der Rechte der long term
residents. So wurde der Gesetzgeber aufgefordert, die
Gültigkeit der Bill of Rights mit ihren vielfältigen
sozioökonomischen Rechten auch auf Nichtbürger, die seit
Langem in Südafrika leben, auszudehnen. Panafrikanismus und
afrikanische Renaissance scheinen Konzepte der afrikanischen Eliten
und Mittelklassen zu sein. In ihnen werden die Bürgerinnen und
Bürger anderer afrikanischer Länder als Mitstreiterinnen
und Mitstreiter im Befreiungskampf gegen den Apartheidstaat und die
Kolonialmächte angesehen. In den Armensiedlungen
Südafrikas sind die "Fremden" dagegen Konkurrenten, die
zumeist nicht toleriert und akzeptiert werden. Soziale Distanz und
Ausländerfeindlichkeit sind weit verbreitet und häufig
gepaart mit starkem Nationalismus. Dieser wird durch nationale
Projekte zur Bildung eines gemeinsamen Südafrikas forciert.
Hierbei scheint es wichtig, chauvinistische und nationalistische
Ideen sowie Fremdenfeindlichkeit (outgroup hostility) zu vermeiden.
In den verschiedenen Narrativen zur Identität und in den
multiplen Identitäten müssen Stereotype gegenüber
anderen afrikanischen Ländern abgebaut werden. Es gilt, den
aggressiven Nationalismus, der sich gegen andere Gruppen richtet,
zu überwinden und den positiven Patriotismus, der sich auf die
moderne Verfassung, den Wohlfahrtsstaat, Toleranz und die
Demokratie richtet, zu verbreiten. In diesem Bereich kann
Sozialmarketing im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft in
Südafrika wichtige Beiträge leisten. Diese bedeuten
jedoch eine Gratwanderung zwischen negativem Nationalismus und
positivem Sportpatriotismus. Südafrika hat seine moralische
Verantwortung zum Teil akzeptiert und muss, wenn es in Bezug auf
Menschenrechte in Afrika eine zentrale Rolle spielen will, die
Integration von Ausländern gewährleisten. Die
Verringerung der internen Ungleichheiten ist dabei eine wichtige
Strategie. Umverteilung sollte dabei nicht bloße Verteilung
von Sozialleistungen und Wohnungen vorsehen, sondern das
Eigenengagement (auch im Wohnungsbau) fördern sowie Bildung
und Arbeitschancen unterstützen. Überwindung der
Diskriminierung des "Anderen" kann aber nicht bei den nationalen
Gruppen haltmachen, sondern muss - besonders langjährige -
Einwohner einschließen. Ausländerfeindliche Gewalt
(insbesondere durch die Polizei selbst) gilt es rigoros zu
bekämpfen. Informationskampagnen zu den Migranten sind
notwendig. Zur politischen Integration wäre die
Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft zum
Beispiel für Angehörige von SADC-Staaten ein zentraler
Schritt, was aber nicht die Übertragung aller
sozioökonomischen Rechte für alle Migranten bedeutet. Die
Inklusionsstrategie sollte organisierte Interessen der
Ausländer vor allem auf der kommunalen Ebene aufnehmen, um
eine teilweise politische Integration zu gewährleisten. Dies
setzt aber den Aufbau effektiver Beteiligungsinstrumente voraus,
die bislang noch stark durch bestehende Hierarchien und
Paternalismus geprägt sind. Das Motto der
Fußballweltmeisterschaft 2010 zelebriert afrikanische
Humanität: "Ke Nako. Celebrate Africa's Humanity".
Hierüber soll der banale Nationalismus, der latent
ausländerfeindlich sein kann, gebremst werden. Die
Inklusionsstrategie und der Abbau von Ausländerfeindlichkeit
und sozialer Ungleichheit sollten aber kein kurzfristiges Projekt
sein, sondern auch nach dem Abpfiff des WM-Endspiels eine wichtige
Aufgabe bleiben.
1 Vgl. Malegapuru
William Makgoba (ed.), African Renaissance, Cape Town 1999.
2 Zum Parteiensystem siehe den Artikel
von Helga Dickow in dieser Ausgabe.
3 Vgl. Norbert Kersting, Sport and
National Identity. A comparison of 2006 and 2010 Fifa World Cup,
in: Politikon, 3 (2007), S. 277 - 294.
4 Vgl. Donald Horowitz, The Deadly
Ethnic Riot, Berkeley 2001.
5 Vgl. Henri Tajfel/John C. Turner, An
Integrative Theory of Intergroup Conflict, in: William G.
Austin/Stephen Worchel (eds.), The Social Psychology of Intergrup
Relations, Monterey 1979, S. 33 - 47.
6 Toyi-toyi ist eine Form von Tanz und
Gesang, die politischen Protest zum Ausdruck bringen soll.
7 Vgl. Jonathan Crush, Making up the
Numbers. Measuring "Illegal Immigration" to South Africa, Southern
African Migration Programme (SAMP) Migration Policy Brief 3, Cape
Town 2001.
8 Vgl. Human Sciences Research Council,
Citizenship, Violence and Xenophobia in South Africa. Perceptions
from South African Communities, Pretoria 2008; ders., Violence and
Xenophobia in South Africa. Developing Consensus Moving to Action,
Round table 2008, Pretoria 2008.
9 Vgl. Ursula van Beek/Bernard Lategan,
Historical Memory and Identity, in: Ursula van Beek (ed.),
Democracy Under Construction, Bloomfield Hills-Opladen 2005.
10 Vgl. Arlene Grossberg u.a.,
Multicultural National Identity and Pride, in: Udesh Pillay u.a.
(eds.), South African Social Attitudes, Cape Town 2006.
11 Vgl. Anthony K. Smith, National
Identity, London 1991; Tom W. Smith/Lars Jarkko, National Pride. A
Cross-national Analysis, GSS Cross-national Report 19, Chicago
1998.
12 Vgl. Tom W. Smith/Seokho Kim,
National Pride in Transnational and Temporal Perspective, in:
International Journal of Public Opinion Research, 18 (2006), S. 127
- 136.
13 Vgl. J. Crush (Anm. 7).
14 Vgl. Bob Mattes, Waiting for the
Barbarians, Cape Town 1999.
15 Vgl. Hennie Kotze, South Africa
World Value Study, Stellenbosch 2007.
16 Vgl. B. Mattes (Anm. 14).
17 Vgl. SAMP, The Perfect Storm, Cape
Town 2008.
18 Vgl. Ralph Mathekga/Buccus Imraan,
The Challenge of Local Government Structures in South Africa:
Securing Community Participation, Johannesburg 2006.
19 Vgl. Chris Tapscott, Formal
Participation or Effective Exclusion. The Challenges of
Participatory Local Government in South Africa, Fukuoka
2006.