Krista Sager: „Ich lese ‚Der Besuch des Leibarztes’ von Per Olov Enquist.“

Zu meinen Lieblingsbüchern zählt ganz zweifellos „Der Besuch des Leibarztes“ von Per Olov Enquist. Das Buch erzählt die Geschichte eines Arztes aus Altona, der als Aufklärer und Reformer an den Hof des dänischen Königs gelangt. Hier herrschen Zwänge und Intrigen, die der Arbeit des deutschen Arztes Struensee wenig wohlwollend gegenüberstehen.

Der Leser erhält auf diese Weise nicht nur einen Einblick in die Verhältnisse an einem absolutistischen Hof, sondern bekommt zudem eine interessante Lebens- und Liebesgeschichte beschrieben. Enquist zeichnet die verschiedenen Charaktere mit tiefer Empathie nach. Da ist der vermeintlich schwachsinnige König, dessen Erziehung so angelegt war, ihn nie zu einer starken Persönlichkeit werden zu lassen, und der sein einziges Glück in den Armen der Prostituierten Stiefel-Caterine findet. Diese Beziehung kann aber nur ebenso schicksalhaft verlaufen wie die der jungen und in Dänemark fremden Königin, die zusammen mit ihrem Geliebten Struensee schließlich ein Kind bekommt. Es ist diese Mischung aus einem tiefen psychologischen Hineingehen in die einzelnen Figuren und der klugen Auseinandersetzung mit politischen und philosophischen Fragen, die das Buch zu einem echten Bestseller machen.

Das Buch begeistert als politisch-philosophischer, psychologischer und sozialpsychologischer Roman. Dabei ist es Enquist gelungen, mehrere literarische Gattungen in einem Buch zu vereinen. Für mich war das Buch ein echter Schlafkiller.

Für jemanden, der selbst Politik macht, ist es besonders spannend, zu sehen, wie die Ziele Vernunft und Freiheit ins Verhältnis gesetzt werden zu dem Einsatz von Machtmechanismen und auch dem persönlichen Umgang mit Macht. Struensee, der es schließlich zum alleinigen Regenten im Staat bringt, scheitert letztendlich mit seiner Fülle an gut gemeinten Reformen. Daraus lassen sich Fragen ableiten, die heute ebenso aktuell und brisant sind wie zu Zeiten des Absolutismus und das Buch somit zu einem zeitlosen Klassiker machen.

Per Olov Enquist, Der Besuch des Leibarztes, Carl Hanser Verlag, München 2001.

Foto: Deutscher Bundestag