Eva Bulling-Schröter weiß, dass neue Ideen mutige Menschen brauchen und mutige Menschen viel Unterstützung. Sonst bleibt alles beim Alten.
Thomas Kaiser wird immer lauter beim Reden und haut am Ende auf den Tisch, dass es kracht. Tim Brand lächelt und gießt sich noch eine Tasse Kaffee ein. Den hat er sich verdient an diesem wie an jedem anderen Morgen, nachdem das Milchvieh versorgt ist. Tim Brand kennt seinen Freund. Wenn der anfängt, über den Nutzen von Pflanzenöl für Mensch, Tier und Maschine zu reden und darüber, ob die Politik die richtigen Gesetze für diesen wunderbaren Energieträger macht, gibt es kein Halten mehr. Thomas Kaiser ist verzweifelt und hat im nächsten Augenblick schon wieder eine Idee. Er ist ein Macher und ein Tüftler, Mitbegründer der Vereinigten Werkstätten für Pflanzenöltechnologie, Freund des Biobauern Tim Brand, mit dessen Familie er in einem Denkendorfer Bauernhaus im Bayrischen Altmühltal wohnt und mit dem er Neues ausprobiert.
Mischfrucht zum Beispiel – Erbsen, Leindotter und Nackthafer auf einem Feld. Da muss man nur noch zwei Mal auf den Acker: zur Aussaat und zur Ernte. Das pflegt sich geradezu selbst. Genial. Und jetzt hat Thomas Kaiser auch noch ein amerikanisches Unternehmen gefunden, das die passenden Motoren für sein Rapsöl baut. Motoren, die man einfach umrüsten kann. Ein Hektar Raps bringt bis zu 1.500 Liter Öl und Eiweiß für die Tiere und Nahrung für den Menschen. „Und das“, ruft Thomas Kaiser mit einer Theaterstimme, die es locker bis unters Dach des Bauernhauses schafft, „will man dann demnächst besteuern? Ja denkt denn keiner an die Zukunft?“
Die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter von der Bundestagsfraktion Die Linke. sitzt beim Biobauern mit am Tisch und schafft es, beim Zuhören eine Laugenbrezel in zwei gleich große Hälften zu teilen, um sie mit Butter zu bestreichen. Dafür muss man wahrscheinlich in Bayern groß geworden sein. Ist die Ingolstädterin auch, eine von drei Abgeordneten ihrer Fraktion aus Bayern. In den letzten drei Jahren hat sie, nach vorher achtjährigem Bundestagsmandat, wieder in ihrem Beruf gearbeitet: als Schlosserin. Tim Brand und Thomas Kaiser kennt sie schon lange. Nicht nur, aber auch, weil Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit nachwachsende Energien, Tierschutz, Umwelt sind. Alles große Themen und weite Felder. In Bayern tut sich da viel. Und in Bayern ist man wie anderswo auch abhängig davon, dass die Bundespolitik die richtigen Weichen stellt und gute Gesetze macht. Wenn Eva Bulling-Schröter in ihrem Wahlkreis unterwegs ist, bekommt sie darüber eine Menge zu hören. Gutes und Schlechtes. Das mit der möglichen Besteuerung von Pflanzenöl, das nicht als Kraftstoff für landwirtschaftliche Fahrzeuge eingesetzt wird, gehört zum Schlechten. Findet sie. Und deshalb redet sie mit Tim Brand und Thomas Kaiser, um Argumente zu sammeln und zu besprechen, was man gegen die Pläne der Bundesregierung tun kann. Sie ist in der Opposition, da heißt es kämpfen und Allianzen schmieden, um etwas zu bewegen. Und gute Argumente haben.
Über Gesetze und deren Tauglichkeit können die Menschen hier viel erzählen. Das ist der Abgeordneten wichtig, dafür ist sie im Wahlkreis unterwegs, denn sie weiß: Der „Pudding“ wird immer noch beim Essen geprüft – und ein Gesetz in der Praxis.
Im Biomasse-Heizkraftwerk Pfaffenhofen zum Beispiel, wo man wirtschaftlich, zuverlässig und absolut umweltschonend Wärme und Kälte bereitstellt. Für die Firma Hipp, für Schulen und andere Einrichtungen der Kreisstadt. Wärme und Kälte, die Prozesskälte heißt, werden aus Schwach- und Restholz gewonnen. Der Energieträger kommt aus den Wäldern ringsum und ist auf lange Sicht verfügbar. 300.000 Schnittkubikmeter werden im Jahr verbraucht – das Heizkraftwerk ist ein Wunder der Technik, Organisation und Effizienz. Nur zehn Leute managen das System. Das Geheimnis? „Man darf nicht an einer bestimmten Stelle aufhören zu denken“, sagt der Geschäftsführer Herbert Bauer. „Und man muss alle Parameter genau kennen, damit sich alles rechnet.“ So sollte, sagt Bauer, die Politik auch arbeiten. Es gäbe da noch zu viele Gesetze, deren Grundgedanke richtig sei, während die Durchführungsbestimmungen nicht funktionierten. „Nach dem Gesetz müssen wir zum Beispiel Holzasche, die eigentlich ein ideales Düngemittel ist, wie andere Asche entsorgen. Wir sind ja auch für unseren Abfall verantwortlich. Anstatt eines geschlossenen Kreislaufes – Holz aus dem Wald, Energie aus Holz, Holzasche als natürlicher Dünger – haben wir also hohe Kosten für die Entsorgung. Das macht keinen Sinn.“ Das will die Abgeordnete nun überprüfen.
Sie weiß allerdings auch, und darüber redet sie nach einem Rundgang durch das Heizkraftwerk mit Herbert Bauer und dem Kraftwerksmeister Roland Wein, dass es oft unglaublich lange dauert, bis sich etwas ändert. Sie spricht über Abläufe in der parlamentarischen Arbeit, darüber, wie viel Zeit es braucht, um ein Gesetzesvorhaben in verschiedenen Ausschüssen zu beraten.
Herbert Bauer sagt: „Wenn wir hier erneuerbare Rohstoffe nutzen, umweltverträgliche Technik, dann ist das Daseinsvorsorge für Zeiten, die mal anders sind, weil Rohstoffe noch knapper und Energie noch teurer sein werden. Wir wollen nur nicht gegängelt werden.“ Zwei Seiten einer Medaille, Praxis und Politik. Nicht aus einem Guss in diesem Fall. Das mit der Regelung für Holzasche, verspricht die Abgeordnete, schaut sie sich genau an, vielleicht lässt sich was machen. Vielleicht.
Ob sich etwas gegen die Pläne für den Bau einer dritten Startbahn für den Flughafen München machen lässt, hängt weniger von der Bundes- und mehr von der Landespolitik ab. Beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Freising jedenfalls, wo sich die Abgeordnete Bulling-Schröter nach dem Besuch im Heizkraftwerk mit Gegnerinnen und Gegnern des Flughafenausbaus trifft, ist man nicht pessimistisch. Die Argumente lägen doch klar auf der Hand und seien nicht zu übersehen.
Man fährt gemeinsam in die Dörfer Eittingermoos und Schwaigermoos, in denen 400 Menschen leben – zwischen Flughafen und Autobahn. Beide Orte verschwänden, wenn die dritte Startbahn kommt, es würde noch lauter werden, es gäbe noch mehr Kerosinablagerungen auf Feldern und in Gärten, die Naturlandschaft Erdinger Moos wäre in Gefahr. Die Bürgerinitiative hält das Versprechen von der Jobmaschine Startbahn 3 für ein Märchen – die Region Freising/Erding habe bereits jetzt die niedrigste Arbeitslosenquote Deutschlands und der Flughafen sei schon jetzt überdimensioniert. Eva Bulling-Schröter ist auch hier, um Mut zu machen, Widerstand gegen große Pläne braucht langen Atem.
Um Gesetze, Verordnungen, Pläne ging es am Tag zuvor auch in der Insel-Tagesstätte für psychisch Kranke, die in der Ingolstädter Schäffbräustraße untergebracht ist und seit 1992 existiert. Betrieben wird sie vom Förderverein „Insel“. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in der Stadt. Hier werden rund 80 Menschen betreut, aufgebaut, ermutigt, unterstützt bei ihren Versuchen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zur Tagesstätte gehört eine Werkstatt, in der chronisch psychisch kranke Menschen mit sinnvoller Arbeit ein bisschen Geld verdienen können. Geld haben sie alle nur sehr wenig. In den hellen und schönen Aufenthaltsräumen gibt es jeden Tag gutes Essen, die Möglichkeit, zusammen zu sein und etwas miteinander zu tun.
Das Gespräch der Abgeordneten mit der Geschäftsführerin des Trägervereins, Ulrike Adlkofer, der Vereinsvorsitzenden, Gertraud Merkel, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Tagesstätte dreht sich um Eingliederungshilfe, Sozialhilfe, pauschale Finanzierung, das Sozialgesetzbuch und die drohende Herabsenkung von Standards, wenn der Markt geöffnet wird. Mehr als zwei Stunden verbringt die Abgeordnete in der Einrichtung. Wie überall nimmt sie sich Zeit, um zuzuhören, zu fragen und zu erklären, so dass jeder Termin am Ende für alle auch wirklich befriedigend und nutzbringend ist. Sie ist neugierig, vermittelt den Eindruck, noch nicht alles gesehen und gehört zu haben.
Im Münchener Tierheim dann kann sich die in diesen Tagen von einer heftigen Erkältung geplagte Abgeordnete gleich gar nicht mehr losreißen. Ein Huskie-Welpe hat es ihr so angetan, dass Anwesende vermuten, sie nimmt das Tier gleich mit nach Hause. Tut die 50-Jährige mit den blonden, immer ein wenig strubblig wirkenden Haaren nicht, aber irgendwann einmal vielleicht.
Tierschutz liegt ihr sehr am Herzen. Und hier, wo jährlich rund 7.000 Tiere aufgenommen, geschützt und gepflegt werden, dreht sich fast alles um dieses Thema. Die hier arbeiten möchten, dass diese Arbeit anerkannt und gesetzgeberisch unterstützt wird. Auch künftig und vielleicht besser noch als jetzt. Der Tierschutzverein München, einst zum Schutz der misshandelten Droschkenpferde gegründet, betreibt das Tierheim. Hier bekommen Hunde und Katzen von ihren Pflegerinnen und Pflegern so schöne Namen wie Johnny Wurzl oder Martin Kesici, der laut Charakterstudie Arbeitszimmer und Autos verteidigt. Hier werden Affen gesund gepflegt und Hunde trainiert. Für manche Tiere ist das Heim die letzte Lebensstation.
Nach dem Rundgang – die Abgeordnete hätte am liebsten jeden zweiten Hund mit nach Hause genommen – findet mit dem Leiter des Tierschutzvereins, Kurt Perlinger, ein Gespräch statt. Auch Kurt Perlinger ist ein leidenschaftlicher Redner: Warum nicht einen Tierschutzminister berufen, um das Thema mehr ins Bewusstsein zu rücken? Und Schlagfallen müssten endlich verboten werden, ebenso wie die Abschusserlaubnis für frei laufende Haustiere. Eine halbe Million erschossene Katzen pro Jahr, das ginge nicht an. Zudem soll die Stadt ihrer Verantwortung gerecht werden und ein Drittel des Geldes geben, das so ein Tierheim braucht.
Eva Bulling-Schröter verlässt das Tierheim ohne Hund, um an diesem Abend noch an einer Diskussionsveranstaltung im Münchener EineWeltHaus teilzunehmen. „100 Tage Linksfraktion“, darüber redet sie eine halbe Stunde – verschnupft, aber konzentriert. Danach Fragen über Fragen und eine späte Heimfahrt nach Ingolstadt, wo mehr als 30.000 Menschen bei Audi arbeiten.
Die Bundestagsabgeordnete und Schlosserin hat, denkt man nach solchen Terminen, ein Faible für Kämpfernaturen und kritische Geister. Für Menschen, die auch mal auf den Tisch hauen und sagen: Das könnt ihr in Berlin so nicht machen, da müsst ihr noch mal ran. Das gefällt der Oppositionspolitikerin. So bleibt vielleicht nicht alles beim Alten. Und dafür strengt sie sich schließlich an.
Text: Kathrin Gerlof
Foto: studio kohlmeier
Erschienen am 8. Mai 2006
Eva Bulling-Schröter (Die
Linke.):
E-Mail:
eva.bulling-schroeter@bundestag.de
Webseite:
www.bulling-schroeter.de
Webseite:
www.ingolstadt.de
Webseite:
www.landkreis-eichstaett.de
Webseite:
www.neuburg-schrobenhausen.de