Ein Gespräch mit Gunther Krichbaum (CDU/CSU), Vorsitzender des Europaausschusses, über das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Nein, nach der Verhandlungsführung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) war allen Beteiligten klar, dass das Gericht Leitplanken für eine stärkere Beteiligung des Bundestages in europapolitischen Entscheidungen einziehen würde.
Ihm kommt eine noch wichtigere Rolle bei europapolitischen Entscheidungen zu. Wir dürfen nicht übersehen, dass die Außen- und Europapolitik traditionell eher regierungsgeprägt ist. Der Bundestag hat hier bereits seit dem Maastricht-Urteil 1992 seine Beteiligungsrechte stetig ausgebaut. So kam es vor zwei Jahren zu einer Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung, wonach dem Parlament bei vielen Entscheidungen ein stärkeres Gewicht zukommt. Das Urteil wirkt auf diesem Weg wie ein Katalysator. Mit den Vorgaben des Urteils gelangen wir bereits heute an einen Punkt, an dem wir ansonsten erst in vier bis fünf Jahren angelangt wären.
Das Gericht macht sehr präzise Vorgaben, an die wir uns eng halten sollten. So verlangt es eine ausdrückliche Zustimmung durch Gesetz beim vereinfachten Vertragsänderungsverfahren und bei den allgemeinen und einigen speziellen Brückenklauseln sowie der Flexibilitätsklausel. Neu ist auch, dass die Bundesregierung in einigen eng umgrenzten Bereichen im Rat nur nach Weisung des Parlaments handeln kann, beispielsweise bei Mindestvorschriften im Strafrecht.
Ja, denn das ist im Sinne Deutschlands und seiner Rolle in Europa. Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass in den anderen Mitgliedsstaaten sehr genau auf das geschaut wird, was wir jetzt tun.
Man sollte den Tenor des Urteils nicht missverstehen: Das Gericht hat ausdrücklich klargestellt, dass die Europafreundlichkeit einen Verfassungsauftrag darstellt. Gleichzeitig haben wir es aber mit einem Spannungsfeld zu tun, das das Gericht mit dem Urteil ein Stück weit auflösen möchte. Eine vertiefende Integration soll nicht zum Verlust an parlamentarischer Mitbestimmung führen, sondern vielmehr bedingt das eine das andere. Wichtig ist, dass nun die Vorgaben des Urteils 1:1 umgesetzt werden und nicht überzogene Forderungen zu einer Lähmung der Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel führen. Das Gewicht Deutschlands darf nicht geschwächt werden. Gerade dies liegt auch im Interesse des Parlaments.
Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass dem Europaausschuss hier eine größere Bedeutung zukommt, weil er als einziger Bundestagsausschuss ermächtigt werden kann, plenarersetzende Beschlüsse zu fassen.
Interview Gregor Mayntz
Erschienen am 7. August
2009
Gunther Krichbaum (CDU/CSU), Jahrgang 1964, ist seit 2007 Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
E-Mail:
gunther.krichbaum@bundestag.de
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