Ein Gespräch mit dem Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios, Thomas Roth, der am Wahlabend im Ersten gemeinsam mit Anne Will moderiert.
Blickpunkt Bundestag: Herr Roth, Millionen von Zuschauern werden am 18. September die Wahlsendung der ARD verfolgen, die sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Anne Will moderieren. Bei der Tagesschau wird die Sehbeteiligung vermutlich wieder Spitzenwerte erreichen. Ist eine Bundestagswahl ein Medienevent wie ein Fußball-Länderspiel?
Thomas Roth: Mit der Quote werden wir am Wahltag fast an ein Länderspiel herankommen. Bei der letzten Bundestagswahl 2002 waren es allein 5,5 Millionen Zuschauer bei der Wahlsendung im Ersten um 18:00 Uhr und nahezu 11 Millionen bei der Tagesschau um 20:00 Uhr. Der vor uns liegende 18. September ist politisch gesehen sicher der spannendste Abend der letzten drei Jahre für Deutschland. Wenn Sie so wollen, ist es sicher auch ein Medienevent. Mehrere tausend Journalisten und alle Fernsehsender werden darüber berichten – was für eine lebendige Demokratie sicher kein Schaden ist.
Blickpunkt: Also gibt es für den Medienmenschen Roth durchaus Parallelen zwischen der Übertragung eines Sportereignisses und der Berichterstattung über den Wahlkampf und den Wahlabend?
Roth: Warum nicht? Zumindest bemühen wir uns ebenso wie die Kollegen vom Sport um eine faire und genaue Abbildung dessen, was sich im Stadion, sprich im Wahlkampf und am Wahlabend bei den Parteizentralen und im Deutschen Bundestag abspielt. Es geht im Vorfeld der Wahl für uns Journalisten unter anderem darum, die Wahlprogramme so darzustellen, dass die Wähler auch verstehen können, was eigentlich mit den einzelnen Aussagen gemeint ist, welche Auswirkungen die Konzepte der Parteien auf ihr Leben haben können. Diese Aufgabe stellt sich uns übrigens auch außerhalb des Wahlereignisses jeden Tag immer wieder aufs Neue.
Blickpunkt: Und bei Fouls greifen Sie zur Pfeife?
Roth: Ganz sicher achten wir darauf, ob die beteiligten Politiker und Parteien Fairness wahren, so wie sie das ja auch immer selbst ankündigen. Dazu nehmen wir zum Beispiel im „Bericht aus Berlin“ den Wahlkampf ganz genau unter die Lupe.
Blickpunkt: Ist der Wahlkampf für einen journalistischen Beobachter wie Sie eigentlich immer noch spannend? Lange Zeit sah es ja so aus, als sei alles längst vor dem Schlusspfiff gelaufen.
Roth: Das hat sich ja inzwischen geändert. Durch die Linkspartei ist für mich eine überraschende Bewegung ins Spiel gekommen. Der Umgang mit dieser Partei im linken Spektrum unterliegt dabei den gleichen journalistischen Kriterien wie diejenigen, welche wir bei den anderen Parteien anlegen. Das heißt auch, dass wir ganz genau hinschauen, was in dieser Ecke des Spielfeldes passiert.
Blickpunkt: Also keine rote Karte für Lafontaine und Gysi?
Roth: Lafontaine und Gysi zu ignorieren, wäre sowohl politisch als auch journalistisch falsch. Wir müssen vielmehr untersuchen, woher die Unterstützung für diese Partei im Einzelnen kommt. Wenn man in die Programme schaut, so werden dort nur alte Rezepte vorgeschlagen, die in Wirklichkeit schon in den 70er Jahren ausgedient haben. Während die in Fraktionsstärke im Bundestag vertretenen Parteien bisher überwiegend um sachliche Lösungen konkurriert haben, kommt jetzt plötzlich eine Art von Politik ins Spiel, die überwiegend auf Emotionen und Frustrationen zielt. Das löst aber keine Probleme. Es könnte darüber hinaus sogar den sozialen Frieden in der Gesellschaft gefährden. Den zu erhalten, dass sollte das Ziel der Parteien sein. Und unsere Aufgabe als Journalisten ist es, über die politischen Prozesse angemessen und wahrheitsgemäß zu berichten.
Blickpunkt: Was macht der Journalist Roth eigentlich nach dem Schlusspfiff am 18. September?
Roth: Jedenfalls geht der nicht in Urlaub. Für mich geht die Wahlberichterstattung weiter, wenn die Regierung gebildet ist. Denn dann erst lässt sich feststellen, wie glaubwürdig die Politiker im Wahlkampf waren. Glaubwürdigkeit von Politikern, das heißt: zu tun, was man sagt und zu sagen, was man tut. Diese Frage steht für mich im Zentrum. Und die lässt sich erst beantworten, wenn es ans Regieren geht.
Das Interview führte Klaus
Lantermann
Foto: ARD-Hauptstadtstudio
Erschienen am 13. September 2005