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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Im pulsierenden Alltag
Gültig ab: 15.06.2007 09:19
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Im pulsierenden Alltag

Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) — Wahlkreis Aschaffenburg.
Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) — Wahlkreis Aschaffenburg.
© Daniel Biskup/boehmedia.de


Matthias Miersch (SPD, rechts) — Wahlkreis Hannover Land II.
Matthias Miersch (SPD, rechts) — Wahlkreis Hannover Land II.
© Büro Matthias Miersch


Katja Kipping (Die Linke.) — Wahlkreis Dresden I.
Katja Kipping (Die Linke.) — Wahlkreis Dresden I.
© momentphoto.de/Robert Michael


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Hubert Hüppe (CDU/CSU)
Wahlkreis Unna I
© Hubert Hüppe/privat


Detlef Parr (FDP) — Wahlkreis Mettmann II.
Detlef Parr (FDP) — Wahlkreis Mettmann II.
© BBK Landesverband NRW


Abreise aus Berlin - die Arbeit im Wahlkreis wartet schon.
Abreise aus Berlin - die Arbeit im Wahlkreis wartet schon.
© DBT/studio kohlmeier


Abgeordnete und ihr Wahlkreis

Wir wissen jetzt also, dass Abgeordnete nicht nur arbeiten, wenn wir sie im Plenarsaal sehen, ja dass sich die meiste Arbeit außerhalb abspielt. Was passiert dann aber in der Zeit, in der die Abgeordneten nicht einmal in Berlin sind? Wahlkreiswochen sind schließlich häufiger als Sitzungswochen. Bei jedem Abgeordneten ist das anders. Aber auch da hört der Stress nicht auf, wie einige Beispiele zeigen.

Wenn Christine Scheel, Finanzexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, in Sitzungswochen von Termin zu Termin hetzt, dann hofft sie mitunter darauf, am Ende der Woche, wenn sie in ihren bayerischen Wahlkreis Aschaffenburg heimkehrt, mal durchatmen, ausspannen zu können. Und, klappt das auch? Scheel lacht. Der Unterschied zwischen der Woche in Berlin und der Woche im Wahlkreis liegt zwar auf der Hand. Aber was den Arbeitsaufwand betrifft, ist er weder weniger noch mehr, sondern „einfach nur anders”.

Und seit Bündnis 90/Die Grünen in der Regierung waren, ist das Interesse an den einzelnen Abgeordneten größer geworden. Scheel schätzt, dass sich die Zahl der Anfragen verdreifacht hat. Alle wahrzunehmen — ein Ding der Unmöglichkeit. Zusammen mit ihren Mitarbeitern muss sie auch die Wahlkreiswochen durchstrukturieren, um wenigstens den wichtigsten Anliegen entsprechen zu können. Scheel ist durch Bürgerinitiativen in die Politik gekommen, hat einige selbst mit gegründet — und wirkt auch heute noch darin mit. Als Grüne, die per Landesliste in den Bundestag eingezogen ist, kommen auf sie aber auch jede Menge weiterer Termine außerhalb des eigenen Wahlkreises hinzu, denn die Basis im ganzen Land erwartet, ihre Abgeordnete von Zeit zu Zeit zu sehen und unmittelbar politische Projekte durchzusprechen. Die weiten Strecken legt Scheel alle mit dem Zug zurück. Das ist für sie nicht nur die ökologischste Lösung, sondern auch die zeitlich ökonomischste: Da sitzt sie dann mit dem Laptop auf dem Schoß und bereitet die nächsten Vorträge und Termine vor.

Bio-Tour im Wahlkreis

Matthias Miersch, im Wahlkreis Hannover-Land II direkt gewählter SPD-Abgeordneter, erreichen wir in seiner Kanzlei. Der Rechtsanwalt gehört zu den Abgeordneten, die mit Blick auf die Zeit nach dem Mandat nicht riskieren wollen, den Kontakt zur freiberuflichen Tätigkeit zu verlieren. So ist er in Wahlkreiswochen an manchen Tagen als Anwalt tätig. „Durchschnittlich vier Stunden täglich”, schätzt er, manchmal sieht man ihn auch gar nicht in der Kanzlei. Da ist er beispielsweise auf „Bio-Tour”, wie er jene Aktion mit Besuchen bei Firmen und Projekten nennt, die in seinem Wahlkreisetwas mit Energie zu tun haben.

Verblüfft hat er schon viele Bürger mit seinem Konzept, auf sie zuzugehen. Statt regelmäßiger Bürgersprechstunden zieht er von Marktplatz zu Marktplatz, baut da einen Stand auf und steht für die Bürger zur Verfügung. „Wie, sind schon wieder Wahlen?”, lautete eine spontane Frage. Nach seinem Eindruck kommt man auf diese Weise deutlich leichter ins Gespräch. Mit den Bürgermeistern aller Städte und Gemeinden im Wahlkreis hat er einen „ständigen Ausschuss” gebildet, bei dem sie alle Themen ansprechen, die für die Kommunen interessant sind. Wie ist das mit der Gewerbesteuer? Und mit der Gebäudesanierung? Hier bringt Miersch die Hintergründe der Bundespläne mit und bekommt vermittelt, wie es vor Ort wirkt. Aktuell zum Beispiel die Warnung, der Bund möge in Sachen Ausbau der Kinderbetreuung nicht zu viele Details vorschreiben. Der Bedarf in den einzelnen Städten sei nun einmal höchst unterschiedlich.

Miersch überlegt mit seinen Mitarbeitern immer wieder, wie sie Themen auf die kommunale Ebene und auf die einzelnen Menschen „runterzoomen” können. Das neueste Ergebnis: ein Stromsparwettbewerb unter allen zwölf Kommunen seines Wahlkreises. Da wird repräsentativ der Stromverbrauch gemessen, eine Woche intensive Aufklärung betrieben, wo der einzelne Haushalt sparen kann, und dann erneut gemessen: Ein Spektakel nach dem Vorbild von „Spiel ohne Grenzen”, das jeden Einzelnen in die Klimaschutzpolitik mit einbeziehen soll.

Mobiles Abgeordnetenbüro

Auch Katja Kipping sitzt gerade in einer Besprechung mit ihrem Team. Aufgabe: Ideen entwickeln, wie man in ihrem Wahlkreis in Dresden das Projekt „Sozial-Ticket” voranbringen könnte. Eine Idee, die soeben entstanden ist: prominente Dresdner zu öffentlichen Statements gewinnen, um den Gedanken voranzubringen, dass ALG-II-Bezieher, die sich normale Fahrpreise nicht leisten können, künftig mit einem Sozialticket wieder mobil sein können. Für die Fraktion Die Linke. ist Kipping über die sächsische Landesliste in den Bundestag eingezogen. Am Morgen hat sie bereits den Verein „Arbeit und Lernen” besucht und sich über die Realität von Beschäftigungsmaßnahmen informiert. Eine Erkenntnis, in der Kipping bestärkt wurde, dass nicht nur die schlechte Bezahlung und der Zwang ein Problem bei Ein-Euro-Jobs sind: Auch die zeitliche Befristung derartiger Beschäftigungen stößt in der Praxis auf starke Bedenken: „Kaum haben sich die Menschen richtig eingearbeitet, da müssen sie auch schon wieder gehen.”

In ihrem Wahlkreisbüro, das in eine große „WIR-AG” integriert ist, steht sie in Wahlkreiswochen allen Bürgern zu einer Sprechstunde zur Verfügung. Jüngst nahm sie Beschwerden einer Akademiker-Arbeitslosen-Initiative über Gängeleien in der Arbeitsagentur entgegen. Das will sie gleich mal mit dem Agenturchef besprechen. Sagt's und schwingt sich aufs Fahrrad. Auch das ist ein Projekt. Die Aufschrift „mobiles Abgeordnetenbüro Katja Kipping” verleitet tatsächlich häufiger dazu, dass Bürger sie ansprechen.

Ratinger „Spiesratze”

Die jederzeitige Ansprechbarkeit steht auch bei Detlef Parr im Vordergrund. Auf dem Briefkopf des FDP-Abgeordneten aus dem Kreis Mettmann, der über die NRW-Landesliste in den Bundestag einzog, steht sogar seine Privatadresse. Das führt dazu, dass er morgens nach dem Besuch des Briefträgers einen zehn bis 15 Zentimeter hohen Poststapel auf dem Schreibtisch hat. Ungefiltert durch irgendwelche Büros, halt „der direktere Abgeordnete”. Den Arbeitsrhythmus in Wahlkreiswochen geben die zehn Ortsverbände vor, deren Kreisvorsitzender er zugleich ist. Und dann ist „Berlin” auch nie ganz aus dem Blick. Täglich kommen auch Rückmeldungen aus dem Bundestagsbüro, ist Parr über Fax, E-Mail und Telefon mit dem Fortgang der Bundespolitik verbunden.

Wahlkreis ist für Parr „pulsierender Alltag”. Dabei sieht er keinen Unterschied zwischen einem direkt oder per Liste gewählten Abgeordneten. „Die Leute haben doch auch mich gewählt, also bin ich auch für sie da.” Gesicht zeigen bei vielen Veranstaltungen ist für ihn ein absolutes Muss, und besonders viel Spaß macht ihm das bei der Heimat- und Brauchtumspflege. Als karnevalsbegeisterter Politiker tanzte er selbst schon im Männerballett mit und zählt zu den aktiven Mitgliedern der Ratinger „Spiesratze”. Kein Wunder, dass Parr auch schon sein Ebenbild aus Pappmaché in Karnevalsumzügen gesehen hat. Eine ganze besondere Art für Abgeordnete, während der Wahlkreiswochen „auf der Straße” Präsenz zu zeigen.

Wahlkreise

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Die 299 Wahlkreise bei der Bundestagswahl. Die Färbung zeigt, welche Partei bei der Wahl 2005 das Direktmandat gewonnen hat. © DBT/Karl-Heinz Döring.

Mit den Augen der Wähler

Wenn Hubert Hüppe freitagabends zu Hause in seinem Wahlkreis in Unna ankommt, dann liest er erst einmal genau in den Lokalzeitungen nach, was die Menschen in den zehn Stadt- und 25 Ortsverbänden seines Wahlkreises so alles beschäftigt hat. Denn vieles davon wird bereits bei den ersten Terminen am Wochenende zur Sprache kommen. Er versucht, die Wirklichkeit seiner Wähler auch aus anderen Perspektiven wahrzunehmen. Und so hat er schon einmal im weißen Kittel in der Frühschicht auf einer Intensivstation des örtlichen Krankenhauses gearbeitet. Oder als Pfleger im Pflegeheim. Gerade bereitet er ein Forum zur Integration von Behinderten in Regelschulen vor. Hüppe ist Behindertenbeauftragter der Unionsfraktion.

Und das bricht er mit interessanten Projekten nicht nur auf seinen eigenen Wahlkreis herunter, das bedeutet für ihn auch, in Wahlkreiswochen bundesweit für Veranstaltungen zur Verfügung zu stehen. Hier ein Vortrag in Borken, dort der Besuch des Ärztetages in Münster, Thema Bioethik in Ulm. „Das geht manchmal ganz schön rund”, sagt Hüppe. Aber ohne Seufzen. Jeden Tag zudem die Anrufe aus seinem Berliner Büro, oft in seiner Beauftragtenfunktion: „Sollen wir hier einsteigen?” „Möchten Sie dazu etwas sagen?” „Wie sollen wir mit dieser Einladung umgehen, wie mit jener?”

Nebenbei organisiert Hüppe als Kreisvorsitzender die örtliche Debatte über die Familienpolitik seiner Partei, bereitet für den Abend einen Vortrag über Patientenverfügungen in Holzwickede vor und versucht dabei eines immer noch im Blick zu behalten: Zeit für die Familie. Da der Morgen und der Abend von Verpflichtungen kaum freizuhalten sind, versucht er seine drei Kinder nach dem Schulbesuch wenigstens mittags und nachmittags zu sehen. Das ist ein klarer Vorteil von Wahlkreiswochen. Doch sonst, wenn der Stress wieder von allen Seiten anklopft, wünscht er sich auch schon mal „eine Sitzungswoche zum Ausruhen” herbei.

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Text: Gregor Mayntz
Aktualisiert am 7. Juli 2008


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